Ein Bischof in der Arbeitsagentur

Kommt ein Bischof ins Jobcenter und meldet sich arbeitslos – ist das ein Witz, zynische Öffentlichkeitsarbeit oder eine angemessene Methode, mediale Aufmerksamkeit auf Langzeitarbeitslosigkeit zu lenken? Auf diese Frage liefert auch Stephan Ackermanns Besuch in der Trierer Agentur für Arbeit keine Antwort.

TRIER. Die Journalisten sind zahlreich erschienen. Wann gibt es das schon: Einen Termin, der nicht nur spruchreife O-Töne und schöne Bilder bietet, sondern auch mühelos wie eine tatort-Folge ein brisantes soziales Kernthema aufgreift und sich zudem als hübsche Lach- und Sachgeschichte verpacken lässt? Die Pressestelle der Agentur für Arbeit hat geladen: „Bischof Ackermann möchte selbst einmal erfahren, welche Anforderungen auf einen Arbeitslosen bei seiner ersten Meldung zukommen. Er wird daher in verkürzter Form den gesamten Prozess einmal aus Sicht eines Arbeitssuchenden durchlaufen, die entsprechenden Papiere erhalten und ein Beratungsgespräch mit einer Arbeitsvermittlerin führen.“

Für die Verhältnisse eines Nachmittagstermins in der Arbeitsagentur sind es sehr viele Text-, Hörfunk- und Fernsehjournalisten, die in der Dasbachstraße im Industriegebiet Nord auf den Protagonisten des Termins warten. Kaum angekommen, ist Bischof Stephan Ackermann umringt von Kameras und Mikrofonen und spricht spruchreife Sätze in die Notizblöcke: „Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit war schon vor meiner Zeit ein wichtiges Thema im Bistum und ist es – unter anderem in Form der Aktion Arbeit – auch heute ganz besonders. Wir dürfen keinen Langzeitarbeitslosen alleine lassen, das gilt vor allem für die älteren Arbeitnehmer.“

Mit Stephan Ackermann spricht ein Vertreter der katholischen Kirche, aus dessen Mund diese Worte nicht zynisch klingen, nicht einmal phrasenhaft; der in Fragen der katholischen Soziallehre, der Haltung gegenüber Homosexuellen und der AIDS-Prävention so deutlich näher an der Gegenwart agiert als weite Teile der Kirche, in deren Dienst er steht. Dass es ihm ein ernstes Anliegen ist, die Lebenswirklichkeit eines Menschen zu kennen, der sich in das Heer der Arbeitslosen einreihen muss – das glaubt man ihm sogar. Ob die gewählte Methode eines inszenierten Pressetermins das korrekte Medium zur Verbreitung dieser Glaubwürdigkeit ist, darüber darf diskutiert werden.

Der Bischof blickt sich um in dem Gebäude, das er zum ersten Mal von innen sieht. Noch im Foyer lobt er die offene, transparente Raumwirkung des Neubaus aus dem Jahr 2000. Der Arge-Chef bekräftigt: „Die architektonische Absicht ist, endlich wegzukommen von diesen dunklen, grauen Fluren.“ Die steingewordene Idee der schönen neuen Verwaltungswelt: Wo früher Arbeitslose auf Stühlen aus Hartplastik warteten, erhalten nun „Kunden“ in „Jobcentern“ „Serviceleistungen“. Bischof Ackermann posiert vor einer konvexen Glaswand mit dem Arbeitsamt-Logo und lächelt in die Kameras. In der Hand hält er die zusammengerollten Unterlagen, die ein Mitarbeiter für ihn ausgefüllt hat. Er betont: „Ich mache mir keine Illusionen über das Realitätslevel dieses Versuchs.“ Trotzdem sei es ihm ein Anliegen, wenigstens einmal die gleichen Situationen zu durchlaufen, wie ein Erwerbsloser bei seiner ersten Meldung. Wer katholisch sozialisiert wurde, denkt spätestens jetzt an den Kreuzweg.

Erste Station. Mit seinen Unterlagen sitzt der 49-Jährige am Schreibtisch des Sachbearbeiters und führt ein Gespräch im Konjunktiv: „Wenn Sie sich arbeitslos melden würden, dann würde ich jetzt ihre Akte aufrufen“, sagt der Fachangestellte für Arbeitsförderung. „Dann würde ich Ihnen diesen Antrag aushändigen und Ihnen einen Rückgabetermin nennen.“ Stephan Ackermann sammelt die Formulare zusammen und stellt Fragen praktischer Natur: Ab wann bekommt man Arbeitslosengeld? Wie lange dauern die Gespräche? Wie geht man mit aggressiven Kunden um? Eine Journalistin fragt, wie viel Arbeitslosengeld I dem Bischof zustünde. Für einen Moment herrscht Ratlosigkeit, dann verhaltenes Lachen. Stephan Ackermann sagt mit hochgezogenen Schultern, fast schuldbewusst dreinblickend: „Den Höchstsatz, natürlich“, etwas über 2000 Euro. So ist es in dieser fiktiven Arbeitslosmeldung: Der Erkenntnisgewinn ist mager und wenig überraschend.

Zweite Station. Im halogenhellen Schulungsraum hat jemand eine Beamer-Präsentation vorbereitet, zum Thema „Arbeitsmarkt aktuell“. An einem Partystehtisch mit weißer Tischdecke stehen Ackermann und Agentur-Chef Leibe und sprechen über die Zahlen an der Wand: Trier, das im Flickenteppich der regionalen Arbeitslosigkeit wie eine Insel der Glückseligen erscheint. „Genau das sind wir aber nicht“, betont Leibe. „Probleme tauchen vor allem im Bereich Langzeitarbeitslose auf.“ Wer in Hartz IV sei, der komme oft wieder zurück in die Arbeitsagentur. In der Region Trier jedoch, sagt Leibe, „sind wir nah an dem Punkt, von Vollbeschäftigung reden zu können.“

Heute vor zehn Jahren wurden mit den Hartz-Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die Arbeitsämter in jene Organisationsform umgewandelt, die heute Grundlage für die Arbeit in den Jobcentern ist. „Optimierte Vermittlung“ sagen die einen, „Türöffner für Sozialabbau und Ausbeutung“, sagen die anderen. Darf man den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit loben und dabei übergehen, dass die Anzahl in Armut lebender Kinder noch nie so hoch war wie heute? Soll man die Vermittlung in Arbeitsverhältnisse bedingungslos begrüßen, ohne darüber zu reden, dass die Zahl derer steigt, die arm trotz Arbeit sind? Die Gewerkschaften warnen vor den Folgen des Booms von Leiharbeit und geringfügiger Beschäftigung, auch in Trier. Hier hat das Geschäft mit der menschlichen Arbeitskraft gerade eine Rekordwachstumsrate von 80 Prozent erreicht.

Die dritte Station, inszeniert als letzter Akt und dramaturgischer Höhepunkt des Schauspiels, spielt im obersten Stock des transparenten, offenen Baus. Hier soll die Berufsberatung stattfinden, sollen die Qualifikationen und Sekundärtugenden abgeklopft werden, um herauszufinden, was der Bischof denn noch werden könne. In dem Feld „Persönliche Qualifikationen“ hat der Mitarbeiter des Bischofs auch die Selbstbewertung der Soft Skills vorgenommen: Heiterkeit, als Ackerman verliest, dass es zwar Häkchen bei Einfühlungsvermögen und Auffassungsgabe, Kommunikationsfähigkeit und Sorgfalt gegeben habe, nicht aber bei Motivation, Leistungsfähigkeit und ganzheitlichem Denken. Vier passende Stellenangebote im bundesweiten Pool findet die Vermittlerin für den promovierten Theologen. Von einer wissenschaftlichen Hilfskraft bis hin zum Assistenten des Essener Generalvikars. „Wenn ich Arbeit suchen würde? Warum nicht. Ich glaube, ich könnte dem Generalvikar von Essen gute Dienste leisten.“ Dem Bischof ist das Lachen der Berichterstatter sicher, den Journalisten die Pointe für ihre Artikel.

Im Anschluss die Abschlussstatements für Mikrofone und Kamera. „Mir ist es wichtig, nicht nur von oben herab gescheit zu reden, sondern diesen Ablauf konkret zu erfahren und echten Kontakt zu den Menschen zu haben“. Langzeitlosigkeit sei ein wichtiges Thema, niemand dürfe abgeschrieben werden: „Ich hoffe und glaube, dass jeder Antragsteller hier genauso behandelt wird wie ich heute. Hier steht wirklich der Mensch im Mittelpunkt.“

Als die Kameras weg sind und im Job-Center wieder alltägliche Betriebsamkeit einkehrt, bleibt der ambivalente Eindruck, dass hier eine ursprünglich gute Absicht in die Form einer konzertierten PR-Aktion zur Imagepflege wurde, die keinen der beiden Beteiligten in einem wirklich guten Licht erscheinen lässt. An dem Versuch der formellen Imitation einer Lage, in der Bischof in diesem Leben nicht mehr kommen wird, haftet ein Beigeschmack, der sich auch durch die gute Absicht nicht kaschieren lässt.

Der Pressesprecher erzählt später, dass Ackermanns Idee ursprünglich die einer echten Inkognito-Aktion war, entstanden unter dem Eindruck der Schaffrock-Installation: Ohne Presse, ohne Priesterkragen, ohne öffentliche Thematisierung seiner eigenen Rolle. „Wir mussten ihm erklären, dass das so nicht funktioniert. Was hätte der Bischof gemacht, wenn nach seiner Sozialversicherungsnummer und Unterlagen früherer Arbeitgeber gefragt wurde?“. So entstand die Idee zur fiktiven Arbeitslosmeldung – die auf dem Weg ihrer Umsetzung zu einer PR-Performance mutiert ist, die so weit unterhalb der differenzierten Sicht auf die Wirklichkeit liegt, die man sonst von den Wortmeldungen dieses Bischofs gewohnt ist. Daneben steht allerdings ganz gleichberechtigt die Frage, ob ein klassisches Informationsgespräch über Arbeit und Arbeitsmarktpolitik genauso viele Journalisten in die Dasbachstraße gelockt hätte.

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