„Wir werden weiter kämpfen“
Ganz großes Kino in der Arena – mit dem tränenreichen Ende für alle Freunde der TBB Trier. Henrik Rödl hatte es fast die Sprache verschlagen, als er die 71:74-Niederlage seiner Mannschaft nach Verlängerung gegen die Lti Gießen 46er kommentieren musste. „Wir sind alle sehr enttäuscht“, sagte der Offenbacher. „Das war ein Vier-Punkte-Spiel, leider mit dem schlechteren Ausgang für uns.“ 2846 Zuschauer erlebten, wie die TBB den schon sicher geglaubten Sieg noch aus der Hand gab. Wo Rödl mit versteinerter Miene saß, konnte Björn Harmsen zufrieden analysieren. „Trier war über weite Strecken besser“, räumte der Gießener Trainer ein, „aber wir haben uns zweimal ins Spiel zurückgekämpft. Darauf bin ich sehr stolz.“
TRIER. Allein diese eine Szene wird ihnen mindestens eine schlaflose Nacht bescheren, wenn nicht sogar gleich mehrere nacheinander. Etwas mehr als 16 Sekunden sind in der Verlängerung noch zu spielen. Es ist inzwischen 22 Uhr. Philip Zwiener hat den Ball. Gießen führt mit 74:71. Zwiener zielt aus der Distanz, wirft, der Ball springt vom Ring ab. E.J. Gallup holt ihn. Der Amerikaner steigt hoch. Jetzt kommt der Versuch zum Dreier von außen. Wieder der Ring, wieder springt der Ball zurück ins Feld – genau in die Arme von Dru Joyce. Auch er zielt, wirft. Diesmal knallt die rote Kugel ans Brett. Schluss. Vorbei. Das Spiel ist aus.
Maik Zirbes schlägt die Hände vors Gesicht. Der 2,07-Meter-Mann wankt wie ein Baum im Sturm. Er scheint gefällt von diesem sportlichen Drama, das auch er nicht verhindern konnte. „Was soll ich sagen?“, fragt er und holt tief Luft. Die Worte kommen undeutlich, weil die Sprache kaum ausreicht, um das zuvor Erlebte zu beschreiben. „Uns haben einfach die Nerven versagt.“ Was alleine dadurch deutlich wurde, dass Trier in den fünf Minuten der Verlängerung nur drei Punkte erzielen konnte. Gießen machte deren auch nur sechs, aber somit eben drei mehr als der Gegner. Das reichte. „Dabei haben wir das Spiel fast die ganze Zeit dominiert“, sagte Zirbes noch. Der Zweifel stand nach wie vor in seinen Augen. „Ich kann es immer noch nicht glauben.“
Damit lag er nicht weit von seinem Trainer entfernt. „Wir haben schon wie der vermeintliche Sieger ausgesehen“, sagte Rödl. „Aber dann haben wirklich die Nerven meinen Spielern einen Streich gespielt.“ Dennoch habe er auch heute viele gute Dinge gesehen. „Die Mannschaft wird sich demnächst auch wieder für ihr Spiel belohnen, davon bin ich überzeugt.“ Dann voraussichtlich aber ohne E.J. Gallup. Der Vertrag des Amerikaners wird über den 30. November hinaus nicht verlängert. Zu verschieden waren die finanziellen Vorstellungen der beiden Parteien in den fruchtlosen Verhandlungen.
Möglich, dass hinter der Entscheidung des Vereins ganz pragmatische Überlegungen des Trainers stecken. Denn nach den Spielen gegen Gießen und Frankfurt kommen ohnehin jene dicken Brocken, die für die TBB unter normalen Umständen auch mit dem Amerikaner nicht zu knacken sein werden. Warum also nicht warten bis zum Winter, um sich dann nach Verstärkung umzusehen? Sollte der Streik in der NBA zur Absage der kompletten Saison in den USA führen, dürfte der Markt ohnehin überquellen. Rödl kann also zum jetzigen Zeitpunkt gelassen sein. „Das werden wir auch tun“, betonte er. „Wir haben da keinen Druck.“
Seinem Distanzspezialisten ließ Rödl gegen Gießen allerdings zunächst einmal auf der Bank. Oskar Faßler rutschte dafür in die Startformation. Aber auch ohne Gallup waren die Trierer diesmal von der Startsirene weg hellwach. Frisch wirkten sie, bereit, die zwei Niederlagen in Folge schnell vergessen zu machen. Zudem war John Bynum nach überstandener Magen-Darm-Infektion zurück im Kader, was Rödl Alternativen in den taktischen Varianten eröffnete. Am kämpferischen Einsatz seiner Männer hat der Hesse ohnehin nur äußerst selten etwas zu kritisieren. Darüber knackten sie bis zur Pause auch das Bollwerk der Gießener. Einzig die Wurfausbeute ließ auch heuer zu wünschen übrig.
Stewart wirft Gießen in die Extrazeit
Was im ersten Viertel noch nahezu perfekt funktionierte und den Trierern über die Kreativität eines Philipp Zwiener (vier Punkte) und die Sicherheit eines Maik Zirbes (6) eine 23:16-Führung bescherte, krankte dann im zweiten Abschnitt. Gießen wurde hier beileibe nicht besser, sondern profitierte von der Schwäche der Gastgeber, die viele leichte Bälle verwarfen. So spiegelte der Pausenstand von 34:32 das wahre Kräfteverhältnis auf dem Parkett nicht korrekt wider. Trier hätte höher führen müssen, weil Zwiener und Kollegen klar überlegen waren. Allein was fehlte, war die Effizienz unter dem Korb und aus der Distanz – trotz des frenetisch bejubelten Dreiers von Gallup.
Folglich blieb es ein Gedulds- und auch Nervenspiel für die TBB, weil auch der Druck auf Rödls junge Mannschaft stetig wuchs. Ein Sieg gegen Gießen heute und der nächste am kommenden Wochenende in Frankfurt sind fast schon Pflicht, um in den Wochen vor Weihnachten nicht in den Strudel des Abstiegskampfes gezogen zu werden. Die Wurfausbeute wurde nach dem Seitenwechsel zwar besser, entscheidend absetzen konnte sich Trier allerdings auch hier nicht. Erst Gallups zweiter Dreier praktisch mit der Schlusssirene des dritten Viertel verschaffte der TBB mit dem 53:44 ein wenig Luft und mehr Abstand zum Gegner.
Entschieden war die Begegnung zu diesem Zeitpunkt aber noch keineswegs. Gießen biss sich geradezu in den letzten Abschnitt hinein. Auf vier Punkte verkürzten die Hessen den Rückstand: Trier wankte, weil jetzt durch den Kräfteverschleiß auch Fehler im Aufbauspiel hinzukamen. Trier fiel aber noch nicht, weil es sich über die individuelle Klasse rettete. Kapitän Dragan Dojcin traf von der Distanzlinie, Joyce machte es ihm nach. Das waren die Nadelstiche, die Gießen überhaupt nicht schmeckten. Daran hatten die Hessen schwer zu kauen. „Aber sie haben einfach nicht locker gelassen“, sagte Zirbes, „auch nicht, als wir mit zehn Punkten vorne lagen.“
Ausgerechnet der Ex-Trierer Barry Stewart warf die Hessen Sekunden vor dem Ende in die Verlängerung. Er glich zum 68:68 aus, nachdem Joyce zuvor mit zwei Freiwürfen ein letztes Mal für die TBB vorgelegt hatte. Stewart war es auch, der seine Mannschaft in der Extrazeit in Führung brachte. Maurice Jeffers besorgte mit zwei Freiwürfen den Rest. Zwiener, Gallup und Joyce konnten nicht mehr kontern. Trier fiel, und Gießen rettete sich strauchelnd ins Ziel.
Trotz der zweiten Heimniederlage in Folge wollte Rödl den Druck auf seine Mannschaft vor dem Auswärtsspiel in Frankfurt nicht erhöhen. „Nein, das ist jetzt kein Sechs-Punkte-Spiel für uns“, beantwortete er die diesbezügliche Frage. „Wir werden jetzt erst einmal richtig regenerieren, und dann fahren wir natürlich nach Frankfurt, um dort zu gewinnen.“ Auch heute habe man gesehen, dass die Mannschaft konkurrenzfähig sei. „Und das werden wir demnächst auch wieder durch Erfolge beweisen, weil wir nicht aufhören werden, von Woche zu Woche zu kämpfen.“
TBB Trier: Linhart (6), Joyce (13), Saibou, Zwiener (11), Dojcin (8), Faßler (2), Seiferth (4), Gallup (6), Picard, Zirbes (8), Bynum (13), Dietz.
Lti Gießen 46er: Stewart (19), Ovcina (5), Perl, Zazai (1), Prewitt, Djurasovic, Oehle (6), Jeffers (14), Archibong (15), Nikagbatse (8), Bernard (6).
Viertelstände: 23:16; 34:32; 53:44; 68:68; 71:74 (OT)
Zuschauer: 2846
von Eric Thielen