„Schublade auf, Schublade zu, fertig“

Vier Tage nach der Niederlage im DFB-Pokal gegen den Hamburger SV musste sich Eintracht Trier am Samstagnachmittag vor 6.238 Zuschauern im Moselstadion mit einem torlosen Unentschieden gegen Aufsteiger Rot-Weiss Essen begnügen. Den Spielern des Titelaspiranten fehlte vor allem die geistige Frische. „Wir können natürlich nicht zufrieden sein“, sagte Roland Seitz. Triers Trainer führte die Strapazen der Pokalnacht als Grund für die schwache Leistung seiner Spieler an. „Der Kopf und das Fleisch waren einfach nicht so willig.“ Frohlocken konnte hingegen Waldemar Wrobel. „Wir fahren zufrieden nach Hause“, kündigte Essens Trainer an. „Mit etwas Glück wäre vielleicht sogar ein Sieg möglich gewesen, aber unter dem Strich geht die Punkteteilung in Ordnung.“

TRIER. Essen, das war Krupp. Stahl, Kanonen, Militarismus und Nationalismus. Heute präsentiert sich die europäische Kulturhauptstadt von 2010 in einem anderen Licht. Essen, das war und ist aber auch Rot-Weiss. Kurz genannt: RWE. Helmut “Boss” Rahn, Willi “Ente” Lippens, Werner “Eisenfuß” Lorant. Als Krupp noch qualmte, in den 1950er Jahren des Wirtschaftswunders, war RWE groß. Sehr groß sogar. Deutscher Meister, Deutscher Pokalsieger – Essen war auf dem Zenit. Größenwahn und Missmanagement brachten den freien Fall bis in die fünfte Liga. Heuer ist der Verein aus dem Ruhrpott zurück. Immerhin wieder in der vierten Liga. Schuldenfrei nach der Pleite, mit wieder einmal höheren Ambitionen.

Die Geschichte der beiden Klubs weist durchaus Parallelen auf, auch wenn die Eintracht nie wie RWE ganz auf dem Gipfel war. Zur Tradition der deutschen Fußballgeschichte gehört aber auch der Verein von der Mosel. Aktuell jedoch ist das Kräfteverhältnis klar zementiert. Essen kämpft nach dem passablen Saisonstart um den Anschluss ans Tabellenmittelfeld. Trier liefert sich mit Ligaprimus Lotte einen Zweikampf um die Spitzenposition. Die Eintracht hat den Aufstieg im Visier. Lotte hatte am Freitagabend vorgelegt, der SVE musste nachziehen.

Beide Kontrahenten waren unter der Woche im DFB-Pokal gefordert. Trier gegen den HSV, Essen gegen Berlin. Psychologisch lag RWE im Vorteil, weil die klare 0:3-Niederlage gegen die Hertha kein großes mentales Loch hinterließ. Ganz anders die Situation beim SVE, der an der bitteren 1:2-Niederlage gegen Hamburg schwer zu knabbern hatte. Die Nachwehen im Trierer Lager waren groß. So ein Spiel haken selbst Profis nicht innerhalb weniger Stunden ab. „Das war sicher noch im Kopf“, räumte Kapitän Thomas Drescher ein, „und hat sich auch ausgewirkt.“ Seitz hatte zwar mit Martin Hauswald, Holger Knartz und Wojciech Pollok neue Kräfte für neuen mentalen Wind gebracht. Dennoch fehlte dem Titelaspiranten offensichtlich die geistige Frische vier Tage nach den 120 Minuten im Pokal.

Essen wirkte mit seiner robusten Art als zusätzliche Bremse. Die Eintracht kam nicht in Tritt. Den Aktionen fehlte die gewohnte Präzision. Viele Ballverluste schon im Spielaufbau machten die Begegnung unansehnlich. Zerfahren, hektisch, unappetitlich verlief die erste Halbzeit. RWE hatte trotz seiner beschränkten fußballerischen Mittel mehr vom Spiel. Zweimal lag sogar die Führung in der Luft. Als Thomas Denker in der zwölften Minute durchgebrochen war, konnte Oliver Stang in letzter Sekunde klären. Benedikt Koep war es, der in der 33. Minute die größte Möglichkeit vor der Pause hatte. Nur knapp strich das Spielgerät nach seinem Kopfballaufsetzer am Lattenkreuz vorbei. André Poggenborg im Trierer Tor wäre machtlos gewesen.

Der Kapitän weckt die Mannschaft

Vom Aufstiegskandidaten kam kaum etwas. Hauswalds Schussversuch in der 40. Minute muss schon als Möglichkeit verbucht werden, obwohl der Ball weit in die zweite Etage über dem Essener Tor ging. Der Druck, den Spitzenreiter Lotte am Freitagabend durch seinen 2:0-Erfolg über Bochum auf den unmittelbaren Verfolger aufgebaut hatte, schien den Tabellenzweiten von der Mosel zusätzlich zu verunsichern. Seitz wollte das nicht als Grund gelten lassen. „Ich glaube nicht, dass das Ergebnis von Lotte in den Köpfen eine Rolle gespielt hat.“

Augenscheinlich allerdings war, dass dem sonst so sicheren Trierer Mittelfeld die Genauigkeit abhanden gekommen war. Zudem fehlte Pollok als alleinige Spitze völlig die Bindung zu Spiel und Kollegen. Triers Stürmer konnte bis zum Seitenwechsel nicht eine nennenswerte Aktion verbuchen. Seitz konnte nur unzufrieden sein. Die Leistung seines Stürmers wollte er aber nicht bewerten. „Ich sage grundsätzlich so kurz nach dem Spiel nichts über einen Spieler“ ließ er wissen. Um noch hinzuzufügen: „Auch nicht über Herrn Pollok.“ Mit der Anrede für den Spieler war genug gesagt. Seitz war merklich ungehalten.

Dabei hatte Triers Trainer schon im Vorfeld von dem einen “und vielleicht sogar entscheidenden Tor” gesprochen. Das sollte irgendwie erzwungen werden, weil auch Essen sich in seinem offensiven Anspruch nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Und sei es aus einer Standardsituation heraus. Gleich wie, gleich wann, nur der Treffer sollte her. Drescher war nahe dran. Vier Minuten nach Wiederanpfiff sauste der vom Trierer Kapitän getretene Ball in Richtung Torwinkel. Dennis Lamczyk bekam eben noch die Finger an das Spielgerät. Dreschers Freistoß aus 25 Metern war Präzisionsarbeit, Lamczyks Rettungstat eine Glanzparade.

Die Einzelaktion des Trierer Kapitäns war wie der Weckruf auch für die Kollegen. Jetzt erhöhten sie den Druck auf RWE, das sich immer weiter in die eigene Hälfte zurückzog. Essen würde hier an der Mosel beim hohen Favoriten mit einem Zähler zufrieden sein. Dem Anspruch der Eintracht konnte eine Punkteteilung nicht gerecht werden. Auch das war klar. „Wir haben in der zweiten Halbzeit dagegen gehalten“, sagte der Kapitän, der ebenso wie sein Trainer davon sprach, dass man nach dem Seitenwechsel alles versucht habe. „Aber es hat eben leider nicht gereicht“, bedauerte Seitz.

Triers Trainer erhöhte mit der 60. Minute noch einmal das Risiko. Ahmet Kulabas kam für Hauswald, der den Handschlag mit Seitz verweigerte. Triers personifizierte Torgarantie aber sollte für die Entscheidung sorgen. Auch Thomas Kraus kam, für den schwachen Pollok und heuer als zweite Spitze neben Kulabas (72.). Mit Rückkehrer Tolgay Asma für Fahrudin Kuduzovic warf Seitz dann sein letztes Pfund in die Waagschale. Asma und Kraus hätten es beinahe noch im Sinne ihres Trainers und der Mannschaft gerichtet. Asmas weiter Ball brachte Kraus in eine Traumposition – ganz allein vor Lamczyk, der aus dem Duell als Sieger hervorging (83.). Kraus war einfach nicht abgeklärt genug, um die größte Möglichkeit im Spiel zu verwerten.

„Natürlich war das heute zu wenig“, analysierte der Kapitän. Dennoch wollte Drescher nicht den Stab über der Mannschaft brechen. „Wir hatten zwar die beste Chance im Spiel, aber letztlich wäre der Sieg auch nicht verdient gewesen“, gab er zu. Da helfe nur, das Spiel möglichst schnell abzuhaken. „Schublade auf, Schublade zu, fertig, und das Spiel ganz schnell vergessen.“

Eintracht Trier: Poggenborg – Cozza, Stang, Herzig, Drescher – Karikari – Hauswald (ab 60. Kulabas), Abelski, Kuduzovic (ab 82. Asma), Knartz – Pollok (ab 72. Kraus).

Rot-Weiss Essen: Lamczyk – Lehmann, Jasmund, Grund, Heppke – Lemke, Brauer, Tokat (ab 74. Kuta), Heppke – Lenz (ab 84. Avci), Koep.

Tore: Fehlanzeige

Schiedsrichter: Florian Steuer (Menden)

Zuschauer: 6238

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