Donnerwetter macht Trierern Beine
Eintracht Trier steht schon nach zwei Spieltagen dort, wo der Verein auch am Ende der Saison stehen will. Durch den 3:0-Erfolg am Samstagnachmittag beim Aufsteiger SC Idar-Oberstein holte sich der SVE die Tabellenführung vor den punktgleichen Konkurrenten aus Elversberg und Köln. Roland Seitz hatte ebenso wie die 1.600 Zuschauer im Stadion “Haag” zwei grundverschiedene Halbzeiten gesehen. “Über die erste will ich nicht sprechen. Das war gar nichts von meiner Mannschaft”, sagte Triers Trainer. Kollege Sascha Hildmann war mit dem Auftritt seiner Elf insgesamt zufrieden. “Bis zur Pause haben wir ein kontrolliertes Spiel gezeigt”, machte der Trainer des SCI deutlich.
IDAR-OBERSTEIN. Die Zuschauer waren längst abgezogen, da drehten die Spieler der Eintracht auf dem Grün ihre Runden. Auslaufen nach einem harten Stück Arbeit. Hier und da ein Scherz. Ein wenig Stolz in den Gesichtern, Erleichterung in den Stimmen. Schließlich hätte diese Arbeitsfahrt in die Edelsteinstadt auch ganz anders enden können. Seitz hatte das gespürt und erfahren. Triers Trainer sprach vom Glück, das seine Mannschaft auch diesmal wieder gehabt habe. “Idar-Oberstein hatte Respekt vor uns, das war unser Glück.” Erneut musste Seitz in der Kabine die verbale Peitsche auspacken. “Ja, es ist wieder sehr laut geworden”, sagte er, um dann erleichtert festzustellen, “dass die Mannschaft doch auf mich hört”. Denn nach dem Wechsel taten seine Spieler das, wofür sie bezahlt werden: Fußball spielen. “Davor sind wir so langsam gelaufen, wie die Regionalbahn fährt”, stellte Triers Trainer mit einer gehörigen Portion Sarkasmus fest.
Dabei hatte die gute Nachricht Seitz schon vor dem Spiel erreicht: Jeremy Karikari konnte spielen. Wegen eines Trauerfalls in der Familie hatte hinter dem Einsatz des gebürtigen Hamburgers ein dickes Fragezeichen gestanden. Noch am Freitag war sein Trainer sich nicht sicher gewesen, “ob er den Kopf jetzt für Fußball frei hat”. Der Profi Karikari kann trennen – zwischen Beruf und den Verpflichtungen auf anderer Ebene. Er gab grünes Licht und ersparte Seitz so Kopfschmerzen. Schließlich wollte er auch an der Nahe mit seiner Erfolgself aus den Spielen gegen St. Pauli und Wiedenbrück antreten. Kontrollierte Offensive lautet das Credo des gelernten Stürmers seit dieser Saison. Weil er weiß, dass er sich auf seinen Deckungsverbund ohne Abstriche verlassen kann.
Für Thomas Drescher war die Begegnung auf dem herausgeputzten Dorfplatz in Idar-Oberstein wie ein Heimspiel. Triers Linksverteidiger wohnt mit Lebensgefährtin und Kind in der Nähe der Edelsteinstadt. Dort und inzwischen auch in Trier ist der gebürtige Hesse zu Hause. Im Gegensatz zu den mitgereisten Trierer Anhängern konnte sich Drescher allerdings nicht an der idyllischen Landschaft rund um das zwischen grünen Erdwällen eingebettete kleine Stadion “Im Haag” erfreuen. Für ihn lag die Konzentration auf der Spielvorbereitung. Allen anderen waren noch einige Minuten mehr an Vorfreude gegönnt. Idar-Oberstein ist neu in der Regionalliga. Die Organisation der professionellen Bedingungen, die auch in der vierten Klasse gefordert sind, steckt folglich noch in den Kinderschuhen. So nahm es kaum Wunder, dass die Begegnung erst mit Verspätung angepfiffen werden konnte. Der Zuschauerandrang an den wenigen Kassen war schlicht zu groß.
Wer noch nachrücken konnte, suchte sich ein lauschiges Plätzchen zwischen Grashalmen auf einem der Hügel. Wie das bei einem Fußballfest auf dem Dorf eben so üblich ist. Immer Gefahr laufend, unversehens den Ball vor die Brust zu bekommen. Denn Fangzäune existieren in Idar-Oberstein natürlich nicht. Dafür hat der kleine Platz im Idarer Stadion viel Atmosphäre zu bieten. Vor beiden Aspekten hatte Seitz gewarnt. Einerseits vor dem schmalen Spielfeld, das die Räume im Spiel schon zwangsläufig eng macht. Hinzu kommt die Stimmung der einheimischen Anhänger. Eng stehen und sitzen sie am Spielfeldrand. Fast jede Aktion wird mit Beifalls- oder Unmutsbekundungen begleitet. Der Funke springt sofort über.
Seit Jahren wissen die Männer in den rot-weißen Trikots, unabhängig von den jeweiligen Namen, was sie diesem Publikum schuldig sind. Bedingungsloser Einsatz, Bodenkampf, wenn nötig, Laufbereitschaft und die Fähigkeit, sich selbst über 90 Minuten quälen zu können. Mit einem Wort: Leidenschaft. Wer da nicht mit gleicher Münze zurückzahlt, hat schon verloren, bevor der erste Ball gespielt ist. Es sei denn, er verfügt über solch hohe spielerischen Mittel, um dem Geschehen selbst seinen eigenen und dann auch prägenden Stempel aufzudrücken. Die Eintracht verfügt im Ligavergleich über diese fußballerischen Mittel. Was in Idar-Obersein fehlte, war die Umsetzung derselben auf dem Platz.
Trier passte sich der Taktik des Aufsteigers an, ohne selbst kreative Elemente zu setzen. Statt das Spiel auch auf dem beschränkten Raum breit zu machen und den Gegner laufen zu lassen, suchte der Favorit immer wieder den Weg durch die Mitte, wo einfach kein Durchkommen in der vielbeinigen Abwehr war, und verzettelte sich zusätzlich in überflüssigen Zweikämpfen. Die jedoch beherrschen die Nahestädter nahezu aus dem Effeff. Keiner ist sich dort zu schade, dem Spielgerät ständig hinterherzusetzen, immer wieder den ballführenden Gegenspieler zu attackieren. So es denn sein muss, auch doppelt oder sogar dreifach. “Wir haben uns zu sehr dem Spiel des Gegners angepasst”, sagte Kapitän Torge Hollmann. “Sicher war es schwer, hier zu spielen, weil Idar-Oberstein praktisch nur gegen den Ball gearbeitet hat. Aber unsere Geduld hat sich letztlich ausgezahlt.”
Außer zwei Freistößen von Drescher und Fahrudin Kuduzovic (13./17.) hatte die Eintracht in der ersten Halbzeit an offensiven Aktionen nichts zu bieten. Beide Standards waren allerdings zu harmlos, um Georg Borschnek im Tor des SCI vor ernsthafte Probleme zu stellen. Ganz anders die Gastgeber, die mit ihrem schnörkellosen Spiel aus der sicheren Deckung heraus zu großen Möglichkeiten kamen. Zweimal musste Triers Schlussmann André Poggenborg in hoher Not eingreifen. Erst war er gegen Eric Wischang mit den Fingerspitzen zur Stelle (30.), dann entschärfte er den strammen Schuss von Patrick Stumpf (39.). Dazwischen hatte auch Ferhat Gündüz seine Möglichkeit mit dem Kopf (32.). Die Kugel strich knapp über die Latte.
In der Konsequenz sahen die Trierer Anhänger einen erbosten Trainer in Richtung Kabine marschieren. Seitz war die Unzufriedenheit mit dem Spiel seiner Mannschaft ins Gesicht geschrieben. Erneut mussten die Profis von der Mosel – wie schon in der Regenpause gegen Wiedenbrück – ein Donnerwetter über sich ergehen lassen. Seitz sollte ihnen klar gemacht haben, dass sich ein Favorit beim Aufsteiger so nicht präsentieren kann. Schließlich haben alle bei der Eintracht, vom Trainer bis zum Zeugwart, den Anspruch, in der Meisterfrage ein gehöriges Wort mitzusprechen.
Auf die Routine seiner Männer hingegen kann Seitz sich jederzeit verlassen. Die machte auch am Samstag den Unterschied zwischen Unerfahrenheit auf der einen und Abgeklärtheit auf der anderen Seite aus. Idar-Oberstein hatte seine Möglichkeiten vor der Pause geradezu fahrlässig liegen gelassen. Der Aufstiegsanwärter zeigte dem Neuling dann, wie aus dem Nichts ein Sieg gezaubert wird. Offensichtlich wurde die Differenz zwischen den Lagern schon in der 47. Minute. Martin Hauswald zirkelte den Ball mit Freistoß exakt auf den Kopf von Oliver Stang, der eiskalt zum 0:1 vollstreckte.
Das war der Wendepunkt im Spiel, weil Idar-Oberstein jetzt öffnen musste. Die Taktik der Nahestädter war mit dem Rückstand Makulatur. Von da an beherrschte der Aufstiegsaspirant von der Mosel die Spielzüge. Noch nicht nach Belieben, aber mit deutlich steigender Dominanz. Endgültig entschieden war die Begegnung, als Christoph Schunck Ahmet Kulabas im Strafraum von den Beinen holte und dafür mit “Rot” vom Platz musste (55.). Schiedsrichter Bastian Börner entschied sofort auf Elfmeter. Kuduzovic ließ sich die Möglichkeit nicht entgehen und verwandelte vom Punkt zum 0:2 (56.). Hildmann war in erster Linie erbost über den Platzverweis für seinen Abwehrchef: “Das war der Gipfel in den vielen unglücklichen Entscheidungen des Schiedsrichters”, sagte der SCI-Trainer.
Der Rest war nur noch reine Formsache für den SVE. Den schönsten Spielzug in der Begegnung schloss der eingewechselte Pagenburg zum 0:3 ab. Drescher hatte mustergültig über die linke Seite vorbereitet, und Pagenburg stand da, wo ein Torjäger zu stehen hat. Im Zentrum, von wo der Ball unhaltbar für Borschnek über die Linie zischte. (83.) Hollman war selbstkritisch, aber auch optimistisch: “Natürlich haben uns auch der Platzverweis und die frühe Führung nach der Pause geholfen. Erst danach konnten wir befreit aufspielen.” Der Kapitän sieht die Mannschaft dennoch auf dem richtigen Weg. “Mit den sechs Punkten im Rücken haben wir uns eine gute Ausgangsposition für die nächsten Spiele verschafft.” Schalke kann also kommen – am nächsten Freitag.
SC Idar-Oberstein: Borschnek – Garlinski, Schunck, Vetter, Wischgang – Lehmann, Cordier (ab 68. Galle), Schwartz, Smith – Gündüz, Stumpf (ab 59. Sawin).
Eintracht Trier: Poggenborg – Cozza, Stang, Hollmann, Drescher – Kraus (ab 70. Knartz), Karikari (ab 87. Zittlau), Herzig, Hauswald – Kuduzovic (ab 58. Pagenburg) – Kulabas.
Tore: 0:1 Stang (47.), 0:2 Kuduzovic (56./FE), 0:3 Pagenburg (83.)
Besondere Vorkommnisse: Rote Karte für Schunck (Idar-Oberstein) wegen groben Foulspiels (55.)
Schiedsrichter: Bastian Börner (Iserlohn)
Zuschauer: 1600
von Eric Thielen