Die „richtige“ Romika

Am 29. Dezember 1921 gründeten der jüdische Industrielle Hans Rollmann zusammen mit seinem nichtjüdischen Partner Carl Michael und seinem jüdischen Partner Karl Kaufmann die Schuhfabrik Romika. In den 30ern drängten die Nationalsozialisten die Firmengründer systematisch aus dem Unternehmen. Im zweiten Teil seines Gastbeitrags schildert Heinz Ganz, wie die Nationalsozialisten um Gauleiter Gustav Simon der Firma zu einem neuen Aufschwung verhalfen. Während des Krieges galt die Fabrik als kriegswichtige Produktionsstätte, in der auch Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Dennoch sollte es Jahrzehnte dauern, bis dieser Aspekt der Firmengeschichte aufgearbeitet wurde. 

Obwohl die Nationalsozialisten seit 1933 auf die Vertreibung der jüdischen Inhaber hinarbeiteten, hatten sie kein Konzept für die Fabrik in Gusterath-Tal entwickelt. Eine dauerhafte Schließung konnten sie sich im strukturschwachen Ruwertal nicht leisten. Dies hätte ihnen wohl kaum weitere Anhänger zugeführt. Der „Leiter der damaligen Obersten Landesbehörde“ – eine 1961 in der Firmengeschichte der Romika gewählte Umschreibung für den Gauleiter Gustav Simon, weil man nach dem Zweiten Weltkrieg die nationalsozialistischen Institutionen und Personen nicht mehr als Referenz anführen wollte – unternahm jetzt intensive Bemühungen, um eine endgültige Schließung der Fabrik zu verhindern. Um die Fortführung der Schuhproduktion zu erreichen, wurde mit der Hilfe der „Beauftragten des Führers und Reichskanzlers für Wirtschaftsangelegenheiten“ Wilhelm Keppler und Edmund Veesemeier sowie Gustav Simons und verschiedener Banken am 26. März 1936 in Berlin die Romika GmbH als Auffanggesellschaft gegründet, die aus der Konkursmasse die Grundstücke, Gebäude, Anlagen und einen Teil der Patente zu günstigen Bedingungen übernahm.

Die lokale nationalsozialistische Presse meldete die Wiederaufnahme der Arbeiten mit folgendem Beitrag: „[…] Die in Konkurs befindliche ‚Romika-Schuhfabrik AG‘ musste, wie noch in aller Erinnerung ist, im Herbst des vergangenen Jahres ihre Pforten schließen, nachdem die jüdischen Inhaber unter Hinterlassung ungeheurer Schulden ins Ausland geflüchtet waren.“ Was das für „ungeheure Schulden“ waren, die die jüdischen Inhaber hinterlassen haben sollen, wird erst klar, wenn man die nationalsozialistische Ausgrenzungspolitik ab dem Jahr 1933 gegenüber den Juden betrachtet. Diese nationalsozialistische Politik zielte darauf ab, die Juden aus Deutschland zu drängen, nicht ohne ihnen vorher große Teile ihres Vermögens abgejagt zu haben. Um dies zu erreichen, wurde die „Reichsfluchtsteuer“ verhängt, nach der die Juden beim Verlassen Deutschlands 25 Prozent ihres Vermögens abliefern mussten. Dies war eine weitere Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung, die in der Regel schon ihren Besitz kaum zu gerechten Bedingungen verkaufen konnte.

Häftlinge aus dem KZ Hinzert als Zwangsarbeiter

Die Familien Rollmann und Kaufmann hatte man in den Konkurs getrieben. Da Hans Rollmann aus der Schweiz nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt war und die Familie Kaufmann kurz nach der Entlassung von Karl Kaufmann aus der „Schutzhaft“ in Ausland geflüchtet war, hatten beiden Familien die „Reichsfluchtsteuer“ vor der Abreise nicht bezahlt. Man suchte deshalb die jüdischen Inhaber der Romika per „Steuersteckbrief“. Die Nationalsozialisten griffen auf ihren privaten Besitz in Deutschland zu, versteigerten ihn, teilweise unter Wert, und Teile ihres Vermögens verschwanden unter der Hand. Die „Erlöse“ dieser Auktionen nutzte man, um die „ungeheuren“ Schulden zu decken, sprich vor allem die „Reichsfluchtsteuer“ einzutreiben. Auch während des Konkursverfahrens konnten die Fabrikanten ihre berechtigten Interessen nicht vertreten.

Hellmuth Lemm wurde 1936 als kaufmännischer Geschäftsführer und der Schwede Franz von Holmblad als technischer Geschäftsführer der Auffanggesellschaft Romika GmbH eingestellt. 1938 übernahm Hellmuth Lemm dann die Romika und führte die Schuhfabrik als Romika KG fort. Neben ihm als persönlich haftenden Komplementär hatten sein Bruder Fritz Lemm sowie der Kautschuk-Importeur Otto Klentze als Kommanditisten weitere Firmenanteile. Franz von Holmblad verließ mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges Deutschland. Als nunmehr „arischer Betrieb“ mit staatlichen Aufträgen und günstigen Krediten konnte die Schuhfabrik ab 1936 wieder erfolgreich arbeiten. Als kriegswichtige Produktionsstätte, in der beispielsweise Minendichtringe und Gummiumhüllungen für Zusatztanks von Jagdflugzeugen hergestellt wurden, erlebte die Romika ab 1939 einen erneuten Aufschwung. Dabei wurden ab September 1940 zunehmend Häftlinge aus dem nahegelegenen KZ Hinzert, Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern und deutsche Strafgefangene in der Fabrik eingesetzt.

Die Familie Rollmann hatte nach ihrer Vertreibung aus Deutschland als weiteren ständigen Aufenthaltsort Brüssel gewählt. Aus Angst vor der Ergreifung durch die Nationalsozialisten nahmen sich Hans und Marie Rollmann im Mai 1940, nach dem nationalsozialistischen Überfall auf die westlichen Nachbarländer, das Leben. Ihren drei Söhnen gelang die Flucht und die Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika. Die überlebenden Familienangehörigen der Familie Rollmann sowie die Familie Kaufmann meldeten nach dem Ende der NS-Diktatur in verschiedenen Prozessen ab 1949 ihre Rückerstattungsansprüche auf ihr geraubtes Vermögen an. Das Landgericht Trier folgte allerdings 1949 im ersten Prozess nicht der Ansicht der Kläger, dass die Romika AG systematisch im Zuge einer „Arisierung“ konkursreif gemacht worden sei und wies die Klage ab. Die judenfeindlichen Maßnahmen, so das Gericht, hätten sich bis zum Jahre 1935 noch nicht so verschärft, dass damals bereits eine systematische „Arisierung“ jüdischer Betriebe durchgeführt worden wäre. Das Gericht war der Meinung, dass der bereits in den Jahren 1931/32 begonnene wirtschaftliche Niedergang der Romika schließlich in dem Konkurs gemündet habe und „nahezu ausschließlich auf echten wirtschaftlichen Ursachen“ beruhte.

Vergleich mit Folgen

Gegen diese Entscheidung des Landgerichtes Trier legten die Kläger beim Oberlandesgericht Koblenz Berufung ein und erbrachten weitere Beweise der nationalsozialistischen Verfolgung. Das Verfahren wurde 1950 mit einem Vergleich eingestellt, in dem sich Hellmuth Lemm zur Zahlung einer ausgehandelten Vergleichssumme von 420.000 DM an die Kläger bereit erklärte und diese im Gegenzug das vorangegangene Urteil des Landgerichtes Trier anerkannten. Hellmuth Lemm konnte fortan „mit Recht“ behaupten, dass die „erste Romika“ aus rein wirtschaftlichen Gründen in Konkurs gegangen sei. Den Söhnen von Hans und Marie Rollmann wie auch der Familie Kaufmann ging es vorrangig um die im Vergleich ausgehandelte Ausgleichszahlung, die sie für einen Neuanfang benötigten.

Nach der Beendigung der Entnazifizierungsverfahren und der Restitutionsprozesse und dem einsetzenden Wirtschaftswunder geriet die Leistung der jüdischen Gründer der Romika mehr und mehr in Vergessenheit. Hellmuth Lemm dagegen stand in der Region im hohen Ansehen und wurde für seine Leistungen geehrt. Obwohl durch die verschiedenen Prozesse die Diskriminierung der jüdischen Inhaber und Angestellten bekannt war, sah man keine Veranlassung, sich damit intensiver auseinandersetzen. Zwar erschien 1987 in einem Spiegel-Artikel über die „Arisierung“ jüdischer Unternehmen erneut auch ein Hinweis auf die Romika „[…] Oder die Schuhfabrik Romika in Trier, die noch heute nach ihren Gründern benannt ist: Hans Rollmann, Carl Michael und Carl Kaufmann hatten 1921 die Marke ‚Romika‘ aus den beiden Anfangsbuchstaben ihrer Familiennamen komponiert. Bei der 50-Jahr-Feier mit 2.000 Mitarbeitern und zwei eigens aus Mainz angereisten Landesministern wurde Hellmuth Lemm, der 85jährige Seniorchef, der die Firma 1936 übernommen hatte, wortreich als ‚Gründer der Romika‘ gepriesen. Die Juden waren weggetüncht.“ In der Region schien diese Meldung niemanden mehr zu interessieren.

Auch das Unrecht gegenüber den Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen geriet zwischenzeitlich in Vergessenheit. Es bedurfte eines Anstoßes durch die Trierer Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF), die zum Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2000 mit einer Mahnwache vor der Romika forderte: „ROMIKA-Zwangsarbeiter entschädigen!“ Die AGF vertrat die Auffassung, dass sich die Romika vor der historischen Verantwortung nicht drücken dürfe, insbesondere weil sie Zwangsarbeiter aus dem Konzentrationslager Hinzert unter menschenunwürdigen Bedingungen beschäftigt habe. Nach einem Gespräch zwischen Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Frieden und dem Romika-Geschäftsführer nach der Mahnwache trat die Romika einige Tage später dem Entschädigungsfond bei.

Magazin Der Spiegel: Die Juden waren weggetüncht

Viele Aspekte der Geschichte der Romika sind heute erforscht. Ungeklärt bleiben einige Schicksale der von Verfolgung betroffenen Personen, deren Spuren sich weitgehend verloren haben oder noch kein zusammenhängendes Bild ergeben. Wir verdanken einen Teil der Erinnerung an die Gründerzeit auch einem Leserbrief der Zeitzeugin Dr. Anna Maria Körholz aus Trier, die 2007 im Trierischen Volksfreund schrieb: „Gerne möchte ich deshalb daran erinnern, dass die Romika nicht etwa, wie 2006 berichtet, 70-jähriges Jubiläum hatte, sondern mindestens fünf Jahre älter ist. […] In den Jahren 1932 bis 1935 war ich bei der Gründerfamilie Rollmann in Gusterath zu Kindergeburtstagen eingeladen.“ Frau Körholz erzählte im Gespräch von ihren Treffen mit den zwei Töchtern einer christlich-jüdischen Familie Rollmann in Gusterath-Tal, Lore und Emily. Der Vater von Frau Körholz war in Trier als Arzt tätig und der bei der Romika tätige Familienvater bei ihm in Behandlung. Die Familien hatten sich angefreundet und pflegten einen intensiven privaten Kontakt.

Gerade von dieser Familie lassen sich heute nur wenige konkrete Spuren auffinden. Es kann sich dabei nicht um die Kölner Familie Rollmann gehandelt haben, denn diese hatte nachweislich drei Söhne und wohnte nie dauerhaft in Gusterath-Tal. In der Verbandsgemeinde Ruwer ließ sich tatsächlich eine Meldekarte einer christlich-jüdischen Familie Rollmann-Reinshagen auffinden und durch den Kontakt zu einer jüdischen Klassenkameradin, Alice Resseguie, ein Foto von Lore Rollmann. Das Verwandtschaftsverhältnis der Familie Rollmann-Reinshagen zur Kölner Familie, die Funktion von Paul Rollmann bei der Romika und das weitere Schicksal dieser Familie sind bisher ungeklärt. Es existieren leider auch keine Fotos, auf denen die Mitinhaber Carl Michael und Karl Kaufmann und weitere jüdische Familienmitglieder eindeutig zu identifizieren sind. Es bleibt zu hoffen, dass vielleicht noch in Fotoalben ehemaliger Romikaangestellter oder im Archiv der Firma Aufnahmen aus der Gründungsphase auftauchen.

Unternehmen ergänzt Firmengeschichte

Inzwischen scheint genügend Zeit vergangen zu sein, dass die Diskriminierung der jüdischen Gründer nicht weiter gänzlich verschwiegen wird, wenn auch nicht die Notwendigkeit gesehen wurde, das Jubiläum feierlich zu begehen. Die Romika Shoes GmbH hat im Jahr 2010 die Darstellung der Firmengeschichte auf ihrer Webseite durch den Satz ergänzt:
„1935 wird die Firma unter dem Druck des Naziregimes in den Konkurs getrieben. Die zwei jüdischen Unternehmer Rollmann und Kaufmann müssen in der Folge das Land verlassen. Eigentümer werden die Banken. Am 24.03.1936 übernimmt Hellmuth Lemm die Marke in seine ’neu gegründete‘ Schuhfabrik Romika GmbH.“ Die Verbandsgemeinde Ruwer und die Ortsgemeinden Gusterath und Gutweiler wollen auf einer Informationstafel am Ruwer-Hochwald-Radweg auch auf die Verfolgung der jüdischen Gründer hinweisen.

Wünschenswert wäre, wenn über die kurzen Hinweise auf der Firmenwebseite sowie der Gedenktafel dauerhaft und umfassender über das Schicksal der jüdischen Gründer informiert würde. So könnte beispielsweise die Romika Shoes GmbH in ihrem Gebäudekomplex beziehungsweise der private Inhaber des Konfektionsbaus oder die Stadt Trier detaillierter in einer (permanenten) Ausstellung über die Leistungen und die Diskriminierung der Familien Rollmann und Kaufmann informieren, um dem Vergessen oder der Verharmlosung entgegen zu wirken.

Den ersten Teil des Gastbeitrags von Heinz Ganz finden Sie hier: Die „vergessenen“ Jahre der Romika

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