Das Wesentliche entdecken
TRIER. Seit gestern präsentiert der „TheaterUmriss“ in Kooperation mit der Tufa Christoph Ransmayrs „Strahlender Untergang – Ein Entwässerungsprojekt oder die Entdeckung des Wesentlichen“.
Der Österreicher Christoph Ransmayr gehört spätestens seit der Publikation seines Romans „Die letzte Welt“ im Jahre 1988 zu den festen Größen der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Seine Werke gewannen zahlreiche Preise und wurden in über 30 Sprachen übersetzt.
Ransmayrs literarischer Erstling „Strahlender Untergang“ ist eine poetische Arbeit und wurde 1982 in rhythmischer Prosa verfasst. Die zentralen Motive des Textes finden sich auch in seinem weiteren literarischen Werk immer wieder gespiegelt.
Ransmayrs Text konstruiert in bitterer Ironie die Apokalypse als die Selbstabschaffung der Menschheit. Der moderne, westliche Mensch, zynisch apostrophiert als der „Herr der Welt“, findet sich erfasst von einer neuen Wissenschaft. Er, der zu viel verwechselt hat, der alles verwechselt hat, er, der hochaufgerichtet fortwährend in jeden Zusammenhang hineintritt, gewaltsam und ohne Bedenken, soll endlich zum Wesentlichen geführt werden. Zu diesem Zwecke werden in der Sahar Terrarien errichtet, sterile, abgeschirmte Räume der Leere, die den Anfangs- und den Endzustand aller Landschaft verwirklichen sollen. Sand und Sonne, das leere Bild der Zukunft.
Der Herr der Welt soll in diesem Rahmen zu sich selbst gelangen. Der Einzelne, der Verirrte, der Beobachter, der Täter, das Opfer wird ausgesetzt. Allein mit sich, dem Sand und der Sonne ist er nunmehr bloß der Proband der Neuen Wissenschaft und tritt ein in eben den Prozess, der notwendig den Weg zur Entdeckung des Wesentlichen bildet: den Prozess der Reduktion des Überflüssigen. Befreit vom jahrtausendealten Dickicht seiner kulturellen Vorgeschichte soll der von sich und seiner Kultur entfremdete Einzelne, der hoffnungslos in unauflösbare Widersprüche Verstrickte, der ziel- und orientierungslose Herdenmensch der sogenannten Zivilisation schließlich wieder „Ich“ sagen dürfen – „Ich“ und dann nichts mehr.
Über die Ausprägung ausgeklügelter Zeichensysteme verstand sich der Mensch innerhalb der kulturellen Entwicklung seit jeher Bedeutung zu geben. Er versuchte, Sinn herzustellen. Heute liegt hier vielleicht die wesentliche Herausforderung an das Leben des Einzelnen. Er ist angehalten, seinem Leben einen Sinn zu geben. Ist diese Bestrebung hoffnungslos? Brauchen wir sie überhaupt noch? Verkommt Kultur zur zwecklosen Tretmühle, wo sie nur noch versucht, von derlei Fragen abzulenken, indem sie den Einzelnen in Routinen und Ersatzbefriedigungen verstrickt? Selbst die Neue Wissenschaft, die nicht weniger als Erlösung verspricht, kämpft um ihre Sinnhaftigkeit.
Die Inszenierung begibt sich auf die Suche nach Bildern für die Fragen, die Ransmayrs poetische, doch vor allem kritische Reflektion des modernen Menschen aufdrängt, um ihnen auf der Bühne Form zu verleihen. Sie spielt nicht nur mit den Mitteln des klassischen Theaters, sondern versucht, innerhalb einer erzählenden Klang- und Gegenstandsinstallation eine eigene Ästhetik auszubilden. Im Fokus steht dabei nicht die Suche nach Antworten, sondern vielmehr die Konkretisierung dieser Fragen, nicht ihre Zerstreuung, sondern das Spiel mit ihren Facetten.
Weitere Aufführungen: Heute, 10. Mai, 23. Mai, 24. Mai, 3. Juli und 4. Juli jeweils um 20 Uhr im Großen Saal der Tuchfabrik.
von 16vor
