Lehrstunde in modernem Fußball
Ohne System, ohne Kopf, ohne Herz: Eintracht Trier musste am Mittwochabend eine bittere 2:4-Heimniederlage gegen Borussia Dortmund II einstecken. Torwart André Poggenborg bewahrte die Gastgeber vor offiziell 1522 Zuschauern im Moselstadion vor einem Debakel. Hinzu kam die geradezu fahrlässige Chancenverwertung des BVB. „Natürlich hätten wir hier auch noch das fünfte oder sechste Tor nachlegen können“, sagte Dortmunds Trainer David Wagner. „Aber ich will jetzt wirklich nicht das Haar in der Suppe suchen.“ Seine Mannschaft habe „ein richtig gutes Spiel abgeliefert“. Das konnte Roland Seitz nicht behaupten. „Wir haben die erste Halbzeit komplett verschlafen“, sagte Triers Trainer. „Dann sind wir für 20 Minuten zurückgekommen, aber das Glück hat uns erneut gefehlt.“
TRIER. Wieder stand er da – wie schon so oft. Wieder suchte er nach Worten – wie immer in den letzten Wochen. Wieder waren die Augen nahezu gebrochen, als Torge Hollmann sprach. Als die Frage nach dem Anteil des Trainers an der aktuell desolaten Verfassung der Mannschaft kam, blitzten sie kurz auf. „Darauf muss ich jetzt nicht antworten“, sagte der Trierer Kapitän. „Denn wenn wir uns so präsentieren, brauchen wir nicht über andere Dinge zu reden.“ Dass gegen Dortmund wie meist in den letzten Monaten kein System zu erkennen war, wollte Hollmann ebenfalls nicht kommentieren. „Auch darüber müssen wir nicht sprechen, wenn wir so spielen, wie in der ersten Halbzeit.“ Sehr bitter sei das heute gewesen, so vorgeführt worden zu sein. Jeder müsse sich jetzt hinterfragen. „Das machen einige vielleicht auch, nur leider kommt nichts dabei heraus.“
Dabei hatten sie sich gegen die Westfalen viel vorgenommen. Über die sichere Abwehr, die gegen die Mannschaft der Stunde aus dem Ruhrgebiet ein altbekanntes Gesicht zeigte, wollten sie ins Spiel finden. Thomas Drescher konnte trotz Schmerzen an den Bandscheiben auflaufen. Der Linksverteidiger biss erneut – wie so oft in der Saison – die Zähne zusammen. Ein paar schmerzstillende Spritzen halfen dabei. Denny Herzig, der nach seiner gelb-roten Karte zurück war, rückte für den verletzten Oliver Stang in die Innenverteidigung neben Hollmann. Cataldo Cozza komplettierte die Viererkette.
Für Thomas Kraus hingegen hieß es “Rien ne va plus”. Beim Trierer Stürmer ging nach der Verletzung aus dem Spiel gegen Koblenz nichts mehr. Der Franke saß auch nicht auf der Bank. Die Position von Kraus nahm Ahmet Kulabas ein, der diesmal neben Christoph Anton stürmte. Holger Knartz ersetzte den gesperrten Daniel Bauer. Alternativen blieben Seitz ohnehin nicht: Auf der Bank hatten noch die angeschlagenen Benjamin Pintol und Chhunly Pagenburg, Nachwuchsspieler Christopher Spang und Olivier Mvondo Platz genommen.
Der Favorit hieß Borussia Dortmund, und entsprechend zeichnete sich das Bild auf dem Platz schon in den Anfangsminuten ab. Die Eintracht stand sehr tief – mit der Auswärtstaktik im eigenen Stadion. Die Borussen aber schienen nach ihrem beeindruckenden Lauf in den letzten Monaten mit neun Siegen und einem Unentschieden aus zehn Spielen vor Selbstbewusstsein fast zu bersten. Konsequent setzten sie den Gegner mit extrem hoher Laufbereitschaft früh unter Druck. Trier konnte sich davon nicht befreien. „Wir waren so weit von den Gegenspielern weg, dass man sich über den Spielverlauf nicht wundern darf“, sagte Hollmann
Rico Benatelli in der ersten Minute, Denny Herzig mit der verunglückten Kopfballabwehr (9.) – Triers Torwart André Poggenborg musste vom Anpfiff weg Kopf und Kragen riskieren. Den fast schon logischen Führungstreffer für den BVB konnte aber auch er nicht verhindern. Mario Vrancic hatte geflankt, Ivan Paurevic sich im Rücken der Abwehr davon gestohlen. Locker vollstreckte der Dortmunder hinter dem verdutzten Hollmann und dem überraschten Poggenborg zum 0:1 (10.).
Dann ging es Schlag auf Schlag. Poggenborg gegen Marvin Ducksch: Er klärte gegen Dortmunds Stürmer (13.). Poggenborg gegen Jonas Hofmann: Jetzt fischte er den Ball nach Freistoß aus dem Winkel (23.). Poggenborg gegen Konstantin Fring: Beim Fernschuss tauchte Triers Schlussmann ab und bugsierte das Spielgerät aus dem rechten unteren Eck (23.). Die Reserve des Deutschen Meisters hätte bei gefühlten 90 Prozent Ballbesitz mit drei oder vier Toren Vorsprung führen können, ja, müssen. Trier blieb am Leben, weil Poggenborg glänzend stand und Dortmund seine großen Möglichkeiten nicht konsequent in weitere Tore umsetzte.
Dortmund zerlegt den Gegner
Wie sehr die Jungspunde aus der Bierstadt einfach nur spielen wollten, wurde in der 39. Minute deutlich. Zu dritt waren sie urplötzlich vor Poggenborg aufgetaucht. Doch statt den Ball einfach nach innen zu einem Kollegen quer zu legen, wollte Paurevic jetzt mit der Hacke zaubern und den Gegner auf offener Szene vorführen, um dann im zweiten Anlauf auch noch Poggenborg auszuspielen. Mit vereinten Kräften konnte die Trierer Abwehr schließlich klären. Trier hechelte hinterher. Ohne Plan, ohne Konzept war die Eintracht Freiwild für den Gegner.
Der schwarz-gelbe Express aber dampfte weiter mit hohem Tempo auf das gegnerische Tor zu. Schnell, zielstrebig und mit fast perfektem Ein-Kontakt-Spiel wirbelten die Westfalen die Eintracht ein ums andere Mal schwindelig. Wagners Spieler waren oft nur durch Fouls zu bremsen. Gelb gegen Jeremy Karikari, Gelb gegen Anton, Gelb gegen Herzig – anders war den wie entfesselt aufspielenden Männern in den kanariengelben Hemden nicht beizukommen. Wieder musste Poggenborg den Ball nach Freistoß von Vrancic aus dem Winkel holen – und griff bei der anschließenden Ecke dann doch zum ersten Mal daneben. Marcel Halstenberg vollendete mit dem Kopf zum längst überfälligen 0:2 (45.+2).
Keine einzige Tormöglichkeit bis zur Pause. So lautete die Bilanz des ehemaligen Aufstiegskandidaten von der Mosel. Bei einem Chancenverhältnis von null zu acht schmeichelte der 0:2-Rückstand den Trierern sogar noch. Seitz sollte seinen Spielern in der Kabine zumindest klar gemacht haben, dass die Zuschauer auf den Rängen wenigstens Gegenwehr, Leidenschaft und Kampf erwarten durften. Mit dem Anspruch kamen sie zurück auf den Platz und – wurden prompt belohnt.
Der für den verletzten Drescher eingewechselte Mvondo brachte etwas Schwung in die Trierer Angriffsbemühungen. So sprangen zumindest Standardsituationen heraus. Ecke Fahrudin Kuduzovic, perfekt auf den ersten Pfosten gezogen. Fabian Zittlau mit dem Kopf – der Anschlusstreffer zum 1:2. Die alte Fußballer-Weisheit hatte sich wieder einmal bestätigt: Wer mit Tempo in den Strafraum läuft, bekommt den Ball. Kulabas hatte die nächste Möglichkeit, wieder nach Eckstoß von Kuduzovic (52.). Der Ausgleich wäre, wenn auch nicht verdient, so doch möglich gewesen.
Dortmund schüttelte sich kurz und schlug im Stil einer Spitzenmannschaft zurück. Marvin Ducksch mischte die gesamte Trierer Abwehr auf. Irgendwie kam der Ball zu Jonas Hofmann, der Poggenborg mit seinem satten Rechtsschuss keine Abwehrmöglichkeit ließ. Das dritte Tor für den BVB rückte die Kräfteverhältnisse auf dem Platz auch optisch wieder zurecht (61.). Hernach traf Ensar Baykan den Pfosten, Paurevic schoss über das leere Tor (68.).
Duckschs Auftritt in der 78. Minute glich schließlich fast schon einer Demütigung. Im Laufduell mit Herzig streichelte der Dortmunder den Ball im Bogen über Poggenborg hinweg zum 1:4 ins Tor. Ein Treffer der Marke „Extraklasse“. Dass Kuduzovic nach Foul von Paurevic im Strafraum an Holger Knartz noch vom Elfmeterpunkt das 2:4 gelang (82.), war nicht mehr als Ergebniskosmetik. Das sah auch Hollmann so. „Mehr war einfach nicht drin.“
Das Spiel der Eintracht krankte aber nicht allein an mangelnder Leidenschaft in der ersten Halbzeit, sondern auch am fehlenden Konzept. Die Spieleröffnung läuft einzig über Karikari auf der zentralen Position. Wird der allerdings durch eine starke Achse des Gegners aus dem Spiel genommen, ist guter Rat teuer. Wo Dortmund sich mit schnellem Kurzpassspiel die notwendigen Räume selbst schuf, verlegte sich Trier auf ideenlose hohe Bälle. „Natürlich kann man das trainieren“, sagte Hollmann. „Aber vielleicht fehlt uns einfach die Qualität, so zu spielen.“
Drescher im Krankenhaus
Mit Verdacht auf Gehirnerschütterung musste Thomas Drescher in der Pause ins Krankenhaus. Der 33-jährige Linksverteidiger war schon nach drei Minuten mit einem Dortmunder Gegenspieler zusammengestoßen und zunächst bewegungslos liegen geblieben. Mit der Trage wurde Drescher vom Platz gebracht, spielte nach einer kurzen Behandlung jedoch weiter. In der Pause ging es allerdings nicht mehr. Thomas Kraus brachte den Freund und Kollegen ins Brüder-Krankenhaus. „Es gibt noch keine Diagnose“, sagte Kraus am späten Abend gegenüber 16vor am Telefon. „Aber es könnte eine Gehirnerschütterung sein. Ob noch weitere Verletzungen hinzu kommen, wollen die Ärzte mit Röntgenaufnahmen klären.“
Eintracht Trier: Poggenborg – Cozza, Herzig, Hollmann, Drescher (ab 46. Mvondo) – Karikari – Knartz (ab 84. Spang), Kuduzovic, Zittlau – Kulabas, Anton.
Borussia Dortmund II: Focher – Fring (ab 86. Schnier), Vrancic, Halstenberg, Terzic – Paurevic, Bakalorz – Hofmann, Baykan (ab 79. Soltanpour), Benatelli – Ducksch (ab 90. Silaj).
Tore: 0:1 Paurevic (10.), 0:2 Halstenberg (45.+2), 1:2 Zittlau (49.); 1:3 Hofmann (61.); 1:4 Ducksch (78.); 2:4 Kuduzovic (82./FE).
Schiedsrichter: Timo Ide (Frielendorf)
Zuschauer: 1522
von Eric Thielen