Mit der Sintflut kam der Sieg
Auftakt nach Maß für Eintracht Trier in die neue Saison: Am Samstagnachmittag bezwang der SVE den SC Wiedenbrück mit 2:0 (1:0). Mehr als 1.800 Zuschauer im Moselstadion sahen ein verrücktes Spiel, das in der ersten Halbzeit wegen des sintflutartigen Regens über Trier für eine knappe Viertelstunde unterbrochen werden musste. Bis dahin hatte Wiedenbrück die Begegnung beherrscht, was Triers Trainer Roland Seitz zu der Erkenntniss führte: „Manchmal hilft eben der liebe Gott.“ Kollege Thomas Stratos haderte hingegen mit den Umständen: „Wir fahren enttäuscht nach Hause, weil wir 25 Minuten richtig guten Fußball gespielt haben – bis der große Regen kam.“
TRIER. Goethes Faust wusste es schon: „Und wenn Ihr’s nicht erfühlet, Ihr könnt es nicht erjagen!“ Mancher im Stadion mag sich am Samstag ähnlich dem alten Magister vorgekommen sein. Weit über 8.000 Zuschauer vor einer Woche gegen St. Pauli nährten durchaus Hoffnungen auf die vielbeschworene neue Euphorie im Umfeld des Klubs. Die Ernüchterung folgte nur acht Tage später. Optimisten hatten nach dem überraschenden Pokalsieg schon von einer Kulisse von deutlich über der 3.000er-Marke geträumt. Daraus wurde nichts. Lediglich 1.808 Zuschauer wollten den ersten Liga-Auftritt des SVE sehen. Dabei hatte das Spiel alles zu bieten, was Fußball interessant macht: zwei Tore, einen gehaltenen Elfmeter, jede Menge Szenen in und um den Strafraum. Und schließlich die Spielunterbrechung, die den Umschwung in der Begegnung herbeiführte.
Stratos wusste nicht so recht, was er in der Nachbetrachtung davon halten sollte. „Für uns war der Regen eine Katastrophe, weil wir danach unser Spiel nicht mehr aufziehen konnten. Anschließend hätten wir noch ewig weiterspielen können, ohne ein Tor zu schießen.“ Des einen Leid, des anderen Freud‘. Seitz nahm die Anleihe bei anderen Sportarten: „Das war wie ein Timeout beim Basketball oder Handball“, sagte Triers Trainer in seiner Analyse. Wie laut es in der Kabine zugegangen war, wollte der Oberpfälzer nicht verraten. „Das ist intern und soll auch intern bleiben.“ Dafür sprach der Kapitän Klartext. „Es ist schon sehr laut geworden“, so Torge Hollmann.
Reiningendes Gewitter unter dem Dach, strömender Regen draußen. Der und die schwülwarme Witterung dürften ihren Anteil an der mageren Kulisse gehabt haben. Wer gekommen war, fühlte sich wie im Treibhaus. Der Schweiß lief auch ohne eine einzige nennenswerte Bewegung. Den Rest zur durchdringenden Nässe bis auf die Haut besorgte das stetig rieselnde Wasser von oben. Für all diejenigen, welche sich an Speis und Trank laben wollten, hatten die äußeren Umstände allerdings auch ihr Gutes. Während gegen St. Pauli noch chaotische Zustände an den Imbissbuden geherrscht und genervte Zeitgenossen ihrem Unmut auch verbal Luft gemacht hatten, funktionierte die Versorgung mit Bratwurst, Bier und Pommes diesmal reibungslos.
Dunkle Wolken und Nebelschwaden, die von der Moselhöhe ins Tal waberten, kündigten das nahe Unheil schließlich an. Blitze durchzuckten den inzwischen tiefschwarzen Trierer Himmel. Schiedsrichter Marco Fritz reagierte, als sie den Flutlichtmasten immer näher kamen. Der Unparteiische unterbrach die Begegnung in der 24. Minute, was dem Spiel die entscheidende Wende gab. Denn bis dahin hatten die Gäste das Geschehen auf dem Platz mit starken Kombinationen dominiert, derweil im Spiel des Favoriten von der Mosel kaum etwas passte. Wiedenbrück stand sicher in den Räumen und ließ dem SVE wenig Möglichkeit zur Entfaltung. Seitz hatte gewarnt: „Sie spielen einen guten Ball!“ Genau das setzten die Westfalen bis zur witterungsbedingten Zwangspause um.
Seitz nutzte die Viertelstunde in der Kabine, um seine Elf neu auf den unbequemen Gegner einzustellen. Doch zunächst mussten beide Mannschaften erst einmal mit den Wassermassen auf dem Platz zurecht kommen. Was jetzt folgte, weckte Erinnerungen an das Spiel der Weltmeisterschaft 1974 zwischen Polen und Deutschland um den Einzug ins Finale. An die legendäre Wasserschlacht im Frankfurter Waldstadion, die durch ein Tor von Gerd Müller entschieden wurde. Auch im Moselstadion regierte jetzt der Zufall das Geschehen. Kurze Pässe führten nur zu Verwirrung in den eigenen Reihen, weil das Spielgerät in schöner Regelmäßigkeit in den unzähligen Wasserpfützen liegen bliebt.
Hüben wie drüben waren jetzt lange Bälle das probate Mittel, um die Wasserfallen auf dem Platz möglichst unbeschadet zu überbrücken. Während Wiedenbrück an den veränderten Bedingungen deutlich zu knabbern hatte, legte die Eintracht nun einen Gang zu. Trier erhöhte den Druck auf die verunsicherten Gäste. Thomas Kraus prüfte Marcel Hölscher im Tor der Westfalen. Dann war es an Ahmet Kulabas, der die Möglichkeit zur Führung auf dem Fuß hatte. Die optische Überlegenheit des Favoriten schlug sich schließlich auch in nackten Zahlen wieder. Dominik Jansen holte Kulabas von den Beinen, und Fritz zögerte keine Sekunde: Strafstoß für die Eintracht, den Fahrudin Kuduzovic souverän zum 1:0 verwandelte.
Der Schuss vom Punkt war der Höhepunkt in einer verrückten ersten Halbzeit, die im zweiten Durchgang ihre nahtlose Fortsetzung finden sollte. Diesmal war es an Triers Torhüter André Poggenborg, seinen Teil zum kurzweiligen Geschehen beizutragen, nachdem Kulabas (47.) und auch Hollmann (49.) beste Möglichkeiten auf eine deutlichere Führung vergeben hatten. Poggenborg prüfte die Reißfestigkeit des gegnerischen Trikot. Ais Aosman stürzte und schob das Spielgerät zugleich über die Torlinie. Fritz erkannte den Treffer jedoch nicht an, sondern entschied auf Elfmeter für Wiedenbrück. Marwin Studtrucker trat an – und scheiterte an Poggenborg (54.), der nicht nur die Ecke geahnt, sondern seinen Fehler so wieder ausgebügelt hatte.
„Ich konnte die Szene von meiner Position zwar nicht sehen“, sagte Stratos, „aber wenn der Ball tatsächlich im Tor war, passt das einfach zu diesem Tag.“ Statt des Ausgleichs musste Stratos den verschossenen Elfmeter mitansehen. „Und von da an lief überhaupt nichts mehr bei meiner Mannschaft.“ Beim SVE hingegen war jetzt der Bann gebrochen, die Köpfe schienen nun befreit von der Last des Pokalsieges. Der eingewechselte Chhunly Pagenburg ließ ebenso wie Kuduzovic eine große Möglichkeit liegen (68./76.) und zeigte wenige Minuten später dann doch, wofür er nach Trier geholt worden war. Sein Tor zum 2:0 (77.) setzte endgültig den Deckel auf eine verrückte Partie, die fast im großen Regen untergegangen wäre.
Auch Hollmanns ehrliche Worte dürften für Stratos kein Trost gewesen sein. „Wir hatten sehr schwere Beine“, bekannte Triers Kapitän. „Das Wetter hat uns geholfen. Ich weiß nicht, wie das Spiel gelaufen wäre ohne den Regen.“ Der kam zum Glück für die Eintracht – und mit ihm der erste Sieg zum Auftakt einer langen Saison.
Eintracht Trier: Poggenborg – Cozza, Stang, Hollmann, Drescher – Kraus (ab 71. Knartz), Karikari (ab 63. Pagenburg), Herzig, Hauswald – Kuduzovic (ab 82. Zittlau) – Kulabas.
SC Wiedenbrück: Hölscher – Halstenberg, Strickmann, Jansen, Rogowski – Boachie, Krause (ab 58. Kickermann), Studtrucker (ab 62. Bulut), Leeneman – Aosman (ab 77. Tiez), Dayangan.
Tore: 1:0 Kuduzovic (45.+15/FE), 2:0 Pagenburg (77.)
von Eric Thielen