Wo soll er hin?

Wenn Xavier Naidoo im Radio läuft, gerät Tarcan K.* völlig aus dem Häuschen. Sein Kopf neigt sich dann leicht nach hinten, während seine fülligen Lippen und seine Pausbacken ein Lächeln formen. Mit heller Stimme und mazedonisch-türkischem Akzent tönt er jedes einzelne Wort mit. Sein absoluter Lieblingssong ist die Erfolgssingle „Wo willst Du hin“. Doch um sie zu hören, muss er Glück haben, denn er besitzt weder MP3-Player noch CD-Anlage. So wie er überhaupt kaum etwas besitzt. Tarcan ist ein mazedonischer Flüchtling und hat in Deutschland um Asyl gebeten. 

TRIER-NORD. Am Rand des malerischen Nells Parks leben die, die keiner haben will. Die rheinland-pfälzische Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) ist eine von insgesamt 20 dieser Art in Deutschland. Zurzeit beherbergt sie rund 650 Flüchtlinge. Sie stammen aus Ländern wie Syrien, Aserbaidschan, Somalia und Mazedonien und sind gekommen, weil sie Schutz suchen. Diskriminierung, Verfolgung und Folter haben sie aus ihrer Heimat vertrieben. In Deutschland kann jeder um Asyl bitten, dessen Leib, Leben oder Freiheit im Herkunftsland verletzt oder gefährdet wird. Ob es gewährt wird, ist eine andere Frage. 27,7 Prozent der Anträge wurden im Jahr 2012 vom Bundesamt für Migranten und Flüchtlinge (BAMF) anerkannt. Das entspricht 17.140 Menschen.

Tarcan ist 22, gepflegt und höflich. Er gehört zu der im Vielvölkerstaat Mazedonien lebenden türkischen Minderheit und genau dort liegt sein Problem. Mazedonische Türken stecken in ihrem Heimatland in einem Teufelskreis aus ethnischer Diskriminierung, mangelnder Bildung, fehlender Arbeit und Armut. In Tarcans Worten klingt das so: „Als Türke in mein Land, das ist scheiße, das ist Katastrophe bei uns. Egal, dass Du anständiger Mensch bist. Du kriegst kein Arbeit. Du wirst diskriminiert. In Schule, in Straße, durch Polizei.“ Bis zu seinem fünften Lebensjahr lebte er in Krefeld. Dass er sich hier noch immer problemlos verständigen kann, verdankt er RTL und Pro7. Er schwärmt für Deutschland und träumt von einem Leben in Sicherheit.

Nun lebt er in einer der vier Kasernen der AfA. Sie wurden im Herbst vergangenen Jahres noch durch einige provisorische Container ergänzt, weil Platzmangel herrschte. Überall auf dem Gelände sieht man Schilder, die Verbote aussprechen. „No Soccer“ hier, „No Alcohol“ dort. In den Kasernen sieht es aus wie in einer heruntergekommenen Jugendherberge. In Tarcans Zimmer stehen vier Stahlhochbetten, ein Tisch, vier Stühle und schlichte 60-cm-Schränke. Die Wände sind kahl. Nur wer näher tritt, kann kleine Kugelschreiberzeichnungen erkennen, mit denen sich einige Bewohner verewigt haben. Es ist warm und trocken. Überleben lässt es sich hier, doch es ist beklemmend und es stinkt unerträglich.

In der benachbarten Ökumenischen Beratungsstelle für Flüchtlinge nennen sie dieses Gemisch aus Müll, Muff und Urin „AfA-Geruch“. Es klingt nicht herablassend, wenn Diplom-Sozialarbeiterin Gertrud Hansjosten das sagt. Wie alle hier weiß sie, dass weder Klischees noch Beschönigungen weiterhelfen. Ihre Arbeit in der Beratungsstelle besteht vor allem darin, Flüchtlinge auf das ausschlaggebende Interview mit dem sogenannten ‚Entscheider‘ vom Bundesamt vorzubereiten. Hier trägt jeder Flüchtling seine persönliche Geschichte vor. Je glaubwürdiger sie ist, desto besser stehen die Chancen, dass der Entscheider dem Asylsuchenden in Deutschlands Namen Schutz gewährt. Dabei wirkt sich jedes Dokument, das das Gesagte untermauert, positiv aus – seien es Folterspuren oder Zeitungsausschnitte. Auf Widersprüche oder Lügen reagieren die Beamten empfindlich. „Ganz viele Faktoren spielen in dem Interview eine Rolle. Aber am allerwichtigsten ist es, bei der Wahrheit zu bleiben“, so Hansjosten.

Tarcan hat seine Geschichte bereits vorgetragen, aber es lief nicht gut. Es gab zu viele Widersprüche und keine Belege. Nun sitzt er in heller Jeans und dickem Schal mit einer Tasse Kaffee in der Teestube der Beratungsstelle und spielt ‚Mensch ärgere Dich nicht‘. Er ahnt, dass es nicht klappen wird. „Ich weiß, dass ich wieder zurückgehe. Ich weiß das.“ Und tatsächlich stehen seine Chancen schlecht. „Die Anerkennungsquote für Länder wie Mazedonien ist gerade sehr gering“, sagt Frau Hansjosten. Und Christoph Sander vom BAMF erläutert: „Eigentlich bestehen bei den westlichen Balkanstaaten keine asylrelevanten Gründe. Die Diskriminierung ist nicht systematisch und wirtschaftliche Not allein ist kein Grund.“

Für Tarcan bedeutet das: zurück in die Perspektivlosigkeit. Als er aufsteht, sagt er mit ernsten Augen: „Eigentlich hab ich gar kein Wunsch mehr.“ Er macht eine Pause und wirkt traurig. Aber nur für einen kurzen Moment. Dann fängt er an zu lächeln, zwinkert und tritt hinaus. Auf den Lippen den Text von Naidoos „Wo willst Du hin“ Doch Tarcans Frage ist wohl eine andere: Wo soll er hin?

Nathalie R. Stüben

* Der Name wurde auf Wunsch des Flüchtlings geändert.

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