Wie man das Brett vorm Kopf wegtanzt

"dorf int'l" ist eine Jubiläumsveranstaltung anlässlich des 25. Geburtstages vom Tufa Tanz e.V. Fotos: Anne SchaafManch Außenstehender ist dazu geneigt, bei jedweder Aktivität, die von Menschen mit körperlicher oder geistiger Einschränkung ausgeübt wird, in allererster Linie einen therapeutischen Sinn zu suchen. Spielt eine Rollstuhlfahrerin ein Instrument, wird selten angenommen, dass sie schlichtweg eine große Leidenschaft für Musik hat. Ach Gott, und die Blinden erst! Die können doch wohl nicht von sich aus nur einfach so singen wollen? Dass man mit dem Mund und nicht mit den Augen singt, scheinen ironischerweise gerade die Sehenden zu übersehen. Und wenn es um Tanz geht, dann darf das wohl auch nicht anders sein. In den Köpfen mancher sitzen Gruppen wie „BewegGrund Trier“ wahrscheinlich erstmal im Kreis und sagen dann reihum: „Mein Name ist Manfred Mustermann und ich bin seit drei Jahren behindert.“ Aber verlassen wir mal die Köpfe und schauen, wie es in der Realität aussieht.

TRIER. Zugeben, das mit dem Kreis stimmt. Zwei Tage vor der Premiere sitzen die Mitglieder des Tanz-Ensembles „BewegGrund Trier“ auf dem Boden des Großes Saals in der Tufa und reden. Sie sprechen aber nicht über sich selbst, sondern über ihre neue „DanceAbility“-Produktion „dorf int’l – irgendwo zwischen nah und fern“. Es wird Feedback gegeben, über die letzte Probe diskutiert und dann sollen nochmals die Abläufe geklärt werden.

Das Bühnenbild beinhaltet sechs verschiedene Ausgänge, die im Verlauf des Stücks von fast jedem der 14 Tänzer irgendwann einmal tanzend aufgesucht werden müssen. „Falls jemand von euch mal den falschen erwischt oder versehentlich wem anders auf die Füße tritt, dann ist das nicht schlimm. Alles, was wir machen, ist genau richtig, weil wir es machen. Wir haben Spaß beim Tanzen und Ausdruck ist unsere Stärke!“, meint die Leiterin Maja Hehlen abschließend. „Ach, und noch eins“, meldet sich ein weiteres Mitglied der Gruppe zu Wort. „Denkt bitte daran, nicht ins Publikum zu winken.“ Alle schmunzeln, und die Probe beginnt.

Ab diesem Moment beginnt eine sehr intime, aber keineswegs beklemmende Zeitreise. Die Gruppe beschränkt sich nämlich nicht darauf, den Zuschauern eine zeitgenössische Tanz-Produktion darzubieten, welche ausschließlich aus der Zusammenarbeit in den Proberäumen der Tufa erwachsen ist. „dorf int’l“ ist das Kürzel für „Dorf international“, und eben dieses Motto gibt den Takt in diesem erzählerischen Gemeinschaftstanz vor. Frei nach dem Prinzip „Vier Dörfer aus vier Ländern. Viermal Gleich. Viermal anders. Einzigartig schön“ hat die Gruppe in der Vergangenheit die Ortschaften Steinheim (Lux), Veldenz (D), Rüderswil (CH) und Voinémont (F) bereist und die Zeit dort nicht nur genutzt, um von der schönen Umgebung zu profitieren. An jedem dieser Orte sind Videos entstanden, die entweder ergänzende Tanzperformances oder für das Stück relevante Erzählstränge enthalten.

Interaktion mit Projektionen

Eine der Tanz-Techniken der Kunstform „DanceAbility“ besteht in der sogenannten Kontakt-Improvisation. Tänzer mit und ohne Einschränkungen sollen lernen, sich gemeinsam zu bewegen, daher wird diese Form auch als „inklusiver Tanz“ bezeichnet. Signifikant ist bei Produktion „dorf int’l“ aber, dass sich dem Zuschauer hier nicht nur ein tänzerisches Zusammenspiel der Akteure auf der Bühne, sondern sogar eine Interaktion mit jenen auf der Leinwand darbietet. Der von Steve Strasser mit viel Liebe fürs Detail produzierte Film dient dementsprechend nicht nur als Kulisse, sondern stellt einen elementaren Teil der Choreografie dar und trägt dazu bei, dass das gesamte Stück zu einem „Making of“ und einer Dokumentation des langjährigen Zusammenwirkens des Ensembles wird. Auch die Musik von Udo Bohn lässt alle Anwesenden in ein Wechselbad der Gefühle eintauchen.

Wer den Großen Saal der Tufa heute und morgen betritt, der sieht sich nicht etwa einer plakativen Thematisierung von Vorurteilen und Fehlinterpretationen des noch vielerorts gefürchteten Begriffs der „Behinderung“ konfrontiert. Die Sensibilisierung findet statt, jedoch auf einer Ebene, auf der das Ensemble sehr viel Humor und Einfühlungsvermögen beweist. Der Spruch „Behindert ist man nicht, behindert wird man“ wird in mehr als nur einer getanzten Metapher klar zum Ausdruck gebracht. So befreien sich die einzelnen Tänzer beispielsweise zu Anfang der Performance durch gleitende Bewegungen von den symbolisch anmutenden Holzklötzen, welche ihnen die Sicht auf das Publikum versperren.

Pirouetten im Rollstuhl

Die Gäste erwarten circa anderthalb abwechslungsreiche Stunden, welche zeigen, wie man die Möglichkeiten im Bereich Tanz voll ausschöpfen und das Publikum in Staunen versetzen kann. Der ein oder andere wird zugeben müssen, dass er eher selten elegant mit dem Rollstuhl gedrehte Pirouetten, Paartanz mit einer Melkmaschine oder eine anständige Party auf einem Kreisverkehr gesehen hat. Ruhige und vor allem intime Tanz-Soli bieten dann wiederum die Möglichkeit, zwischen dem Lachen und jenem Sitztanz, dem man ohnehin nicht entkommt, kurz zur Ruhe zu kommen. Wer sich bisher nicht vorstellen konnte, dass man die Plastiktüten-Szene aus „American Beauty“ auch tanzen kann, der wird hier nicht nur eines Besseren belehrt, sondern erlebt auch einfach einen schönen Moment.

Zum Schluss bleibt übrigens zu sagen, dass niemand ins Publikum gewinkt hat. Es kam viel besser: Während Thomas Aymanns mit einem Taktgefühl und einer Insbrunst tanzte, die ich mir als Frau schon manches Wochenende im Club von den anwesenden Männern gewünscht hätte, schaute er mich an, zwinkerte mir charmant zu und vollzog einen beachtlichen Hüftschwung. Da kann man noch was lernen.

Das „Ensemble BewegGrund“ ist eine offene Gruppe, die sich auch außerhalb von großen Produktionen regelmäßig trifft und sich über jeden Zuwachs freut, denn wie Maja Hehlen schon sagt: „Ich bleibe dabei: ‚DanceAbility‘ ist Tanz für alle – mehr nicht.“ Wir sagen: Und vor allem auch nicht weniger!

Vorstellungen heute und am morgigen Samstag jeweils um 20 Uhr im Großen Saal der Tufa. Weitere Infos finden Sie hier.

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