„Was ist mit meiner Erfahrung?“

VerwaltungsgerichtSollten Menschen ohne Abitur studieren dürfen? Durchaus, entschied der Gesetzgeber und schuf mit einer speziellen Verordnung  die entsprechenden Grundlagen. So zählt die Universität Trier aktuell immerhin rund 50 Studenten, die ohne „Hochschulreife“ ein Studium aufnehmen durften. Auch Christoph M. hätte gerne in Trier studiert, einen Bachelor in Erziehungswissenschaften wollte er machen. Hierfür qualifizierten ihn vor allem seine vierjährige Elternzeit und die Erfahrungen, die er mit seinen beiden Kindern sammeln konnte, argumentiert er. Doch die Universität verweigerte dem 39-Jährigen den von ihm begehrten Studienplatz, woraufhin M. das Verwaltungsgericht anrief. Das muss den Fall nun juristisch klären, doch für den Kläger geht es jenseits von Gesetzestexten und deren Auslegung auch um die Frage, welchen Wert praktische Erfahrungen und Lernwillen bei der Zulassung zu einer Hochschule haben.

TRIER. Christoph M. ahnt, was manch Außenstehender über ihn denken könnte. Der Westerwälder besuchte die Hauptschule, machte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, anschließend absolvierte er noch eine Lehre zum Tischler. Beide Ausbildungen schloss er erfolgreich ab, wenn auch nicht mit überragenden Ergebnissen. Jetzt verlangt M. für sich einen Studienplatz an der Universität Trier und beschreitet hierfür den Klageweg. Er sei sich bewusst, dass sein Ansinnen den ein oder anderen irritieren könnte, räumt er im Gespräch mit 16vor ein. Schließlich sei das Abitur „immer noch die beste Allgemeinbildung, die man bekommen kann“, sagt M.; und deshalb sei auch die Frage berechtigt, weshalb denn nun jemand studieren dürfen soll, der die klassische „Hochschulreife“ nicht erlangt hat. So sehr er Verständnis für solche Gedanken hat – M. treibt vor allem eines um: dass Menschen, die kein Abitur, aber langjährige Erfahrung und eine ausgeprägte Motivation mitbringen, die Chance auf ein Studium an der Uni bekommen.

Tatsächlich gibt es für Menschen ohne Abitur durchaus Möglichkeiten, ein Hochschulstudium zu absolvieren. An der Universität Trier etwa studieren aktuell rund 50 Menschen, die nie ein Gymnasium besucht oder dieses zumindest nicht erfolgreich abgeschlossen haben, beziffert Uni-Sprecher Peter Kuntz auf Anfrage gegenüber 16vor; angesichts von fast 15.000 Studenten auf dem Tarforster Campus ein verschwindend geringer Anteil, doch von „Einzelfällen“ kann bei dieser Anzahl auch nicht mehr die Rede sein. Weshalb es auch nicht an den entsprechenden gesetzlichen Regelungen mangelt. Diese finden sich vor allem in der „Landesverordnung über die unmittelbare Hochschulzugangsberechtigung beruflich qualifizierter Personen“ vom 9. Dezember 2010, kurz UniStud BV RP. Demnach müssen die Bewerber um einen Studienplatz eine berufliche Ausbildung mit einem Notenschnitt von 2,5 oder besser abgeschlossen haben. In der Verordnung heißt es weiter: „Die berufliche Ausbildung muss für die unmittelbare fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung für das Studium an Universitäten hinreichende inhaltliche Zusammenhänge mit dem gewählten Studiengang aufweisen, insbesondere Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln, die für ein Studium des gewählten Studienganges förderlich sind.“ Allerdings können „in begründeten Ausnahmefällen bei der Bewertung, „ob die inhaltlichen Zusammenhänge zwischen beruflicher Ausbildung und gewähltem Studiengang als hinreichend anzusehen sind, auch Kenntnisse und Fähigkeiten berücksichtigt werden, die während der beruflichen oder vergleichbaren Tätigkeit nachweislich erworben worden sind.“ M. konzentriert sich in seiner Argumentation auf eine Ausnahmeregelung, die in der UniStud BV RP ausdrücklich genannt ist: „Der beruflichen Tätigkeit stehen insbesondere gleich (…) die selbstständige Führung eines Haushalts mit mindestens einer erziehungs- oder pflegebedürftigen Person“.

Dass seine abgeschlossenen Berufsausbildungen als Tischler und Kaufmann keine „hinreichenden inhaltlichen Zusammenhänge“ zu dem Fach, das er studieren möchte, haben, ist ihm bewusst. Doch weil er sich in den vergangenen vier Jahren in Elternzeit ganztägig und liebevoll um seine Kinder gekümmert habe, sehe er in seinem Fall die gesetzlichen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung erfüllt. M. will Erziehungswissenschaften studieren, ein „Praxisschock“ drohe bei ihm jedenfalls nicht, sagt er. An der Uni ließ man sich von seiner Argumentation nicht überzeugen und wies ihn ab. Die Hochschule hebt in ihrer Begründung vor allem darauf ab, dass der inhaltliche Zusammenhang zwischen seinen beiden Ausbildungen und dem angestrebten Studienfach fehle. Abgesehen davon verweist sie darauf, dass der Notenschnitt seiner Ausbildung nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge. An dieser Frage schieden sich in der mündlichen Verhandlung vor Gericht die Geister, denn die Ermittlung des Notendurchschnitts basierte nur auf einer Auswahl von Fächern, weshalb bei M. am Ende eine 2,8 stand. Würden alle Fächer zugrunde gelegt, käme er aber immer noch auf eine 2,55.

Für M. steht denn auch eine andere Frage im Vordergrund: Was zählt praktische Erfahrung wenn es darum geht, einen Zugang zur Hochschule zu erhalten? Sich selbst bezeichnet er als „Spätzünder“. Erst die intensive Beschäftigung mit seinen Kindern, die ihm sehr viel Freude bereite, habe in ihm das Interesse am Fach Erziehungswissenschaften geweckt. Er sagt es nicht, aber seiner Argumentation liegt auch die Vorstellung zugrunde: Mögen andere ein Abitur und womöglich bessere Noten vorweisen – die Erfahrung, die einer wie er mitbringt, können allenfalls noch Eltern oder eben Menschen vorweisen, die sich beruflich bedingt sehr stark mit Kindern beschäftigen. Und überhaupt: „Eine Erziehungstätigkeit, die man ernst nimmt, ist eine berufliche Tätigkeit. Das fordert einen den ganzen Tag“, erklärte M. vor Gericht; es gehe deshalb auch um mehr Anerkennung für die Leistung von Müttern und Vätern, sagt er. Der Richter widerspricht nicht, doch gibt er auch zu bedenken, dass Ms. Argumentation und Auslegung der Verordnung in letzter Konsequenz bedeuten würde, dass grundsätzlich alle Mütter und Väter Erziehungswissenschaften studieren dürften – also auch jene, die kein Abitur haben . Ob der Gesetzgeber das aber im Sinn gehabt habe, sei fraglich und müsse nun im Rahmen des Verfahrens geklärt werden. Man betrete da möglicherweise „Neuland“, meinte der Richter.

M. klingt nicht larmoyant und durchaus reflektiert. Dass er inzwischen an zwei rheinland-pfälzischen Hochschulen eine Zusage für einen Studienplatz erhalten und sein Studium andernorts bereits aufgenommen hat, kommt ihm zupass. Denn so werde doch deutlich, dass es ihm vor allem ums Grundsätzliche und nicht allein um seine Person gehe, sagt er. Warum also wird es Menschen ohne Abitur nicht leichter gemacht, an einer Hochschule zu studieren? „Was ist beispielsweise mit meiner Erfahrung und mit meinem Lernwillen?“, fragt M. Die Legitimation ergebe sich letztlich durch die Prüfungen im Verlaufe eines Studiums; bestehe er diese Prüfungen nicht, habe sich das Ganze dann ohnehin für ihn erledigt. M. weiß, dass sein Studium für ihn kein Zuckerschlecken wird, und ob er es packt, sei noch nicht ausgemacht. Aber, stellt er sogleich klar, er wisse auf jeden Fall, was er wolle, und entsprechend entschlossen gehe er auch an die Sache heran.

Wie das Gericht entscheiden wird, dürfte sich erst in ein paar Wochen entscheiden. Gut möglich, dass bald darauf die nächste Instanz angerufen wird – ob von M. oder der beklagten Universität, das wird sich dann zeigen.

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