Warum nicht Dr. Hiltrud Leibe?

Fred Konrad, Wolfram Leibe und Hiltrud Zock bewerben sich um die Nachfolge Klaus Jensens. Fotos: Gianna Niewel und Marcus StölbGemessen an einer OB-Wahl ist die Fußball-WM ein häufiges Ereignis: Alle acht Jahre wählen die Trierer ihren Oberbürgermeister. An diesem Sonntag bewerben sich Fred Konrad, Wolfram Leibe und Hiltrud Zock um die Nachfolge Klaus Jensens. Drei Kandidaten, die un­terschiedlicher nicht sein könnten. Doch selbst unter den jeweiligen Anhängern gibt es Zweifel, ob der eigene Bewerber dem Chefsessel im Rathaus wirklich gewach­sen ist – was auch am schier unerfüllbaren Anforde­rungsprofil des Amtes liegt. Ein Gastbeitrag von Marcus Stölb.

„Damit sich was bewegt“ steht auf Plakaten und auf Flyern – de­nen von Hiltrud Zock. „Damit sich was bewegt“ stand schon ein­mal auf Flyern und auf Aufklebern – denen von Klaus Jensen. Wenn es noch eines Belegs bedurft hätte, dass Kampagnenslo­gans austauschbar sind – die parteilose Kandidatin liefert ihn. Und mit ihr die Partei, die sie ins Rennen geschickt hat: Mit der­selben Parole bestritt die CDU vor wenigen Monaten ihren Kom­munalwahlkampf.

Ein Nachmittag im September: Das Laub der Platanen auf dem Kornmarkt zeigt erste Anzeichen herbstlicher Färbung, die Luft ist rein. Auf Einladung der Lokalzeitung treffen Wolfram Leibe und Hiltrud Zock aufeinander. Grünen-Kandidat Fred Konrad weilt zu diesem Zeitpunkt noch in Ruanda – zu einem huma­nitären Einsatz, von dem sich der Kinderarzt auch durch einen OB-Wahlkampf nicht abhalten ließ. Während viele ihm ob die­ser Prioritätensetzung Respekt zollen, mutmaßen andere schon, Konrad wolle gar nicht OB werden.

Vom Kornmarkt startet ein Stadtrundgang. Rund 30 Menschen nehmen teil: Rats- und Parteimitglieder, Unternehmer, eine De­zernentin und ihr Vorgänger, Journalisten. Kaum mehr als eine Handvoll „normaler“ Wähler ist gekommen – Unentschlossene sind bei solchen Veranstaltungen meist in der Minderheit. Der Tross setzt sich in Bewegung, macht Station am Heuschreck­brunnen, auf dem Viehmarkt, am Hauptmarkt. Die Diskussionen drehen sich um Shoppingcenter und 1-A-Lagen, Werbesatzung und störende Auslagen. Am wichtigsten für den Charme der Ein­kaufsstadt seien aber die kleinen inhabergeführten Fachgeschäf­te, betonen beide Kandidaten unisono.

Hiltrud Zock schwärmt jetzt von einem Event, das wenige Tage zuvor Triers Sternekoch Wolfgang Becker bot: Live-Musik zum Menü, und statt für ein Eintrittsgeld „nur für ein zusätzliches Glas Wein“, berichtet die Kandidatin. Für sie ein „tolles Beispiel“, wie Gastronomie sich im Wettbewerb profilieren kann. Becker schmunzelt, Leibe hört mit verschränkten Armen zu. Ein spöt­tisches Lächeln huscht ihm übers Gesicht. Kaum ist Zock ver­stummt, will er von ihr wissen, welchen Beitrag denn die Stadt in solchen Fällen leisten könne? „Einfach hingehen, Herr Leibe“, kontert die Kandidatin lachend.

Kandidaten von gänzlich unterschiedlichem Naturell

Es ist nicht der einzige Moment an diesem Nachmittag, der offen­bart, von welch unterschiedlichem Naturell die beiden aussichts­reichsten Bewerber um das OB-Amt sind. Während die frohna­türliche Unternehmerin meist gute Stimmung verbreiten möchte und überzeugt scheint, vieles ließe sich mit professioneller Kom­munikation und ein wenig mehr gutem Willen bewerkstelligen, kehrt Leibe den erfahrenen Juristen und Verwaltungsexperten heraus. Wiederholt verweist der ehemalige Chef der Trierer Ar­beitsagentur auf Satzungen und Gesetze, zeigt mögliche Inter­essenskonflikte auf und betont ein ums andere Mal, dass es am Ende immer der Stadtrat sei, der entscheiden müsse.

Will Zock für frischen Wind sorgen, möchte Leibe keine falschen Erwartungen wecken. Vor allem aber will er nicht, dass die Mit­bewerberin mit ihrem aus seiner Sicht naiven Politikverständnis durchkommt. Leibes Problem: Mit bisweilen auch belehrend klingenden Ansagen in Richtung Zock verschärft er das Bild des blassen Bürokraten, dem zwar auch viele Christdemokraten eher zutrauen, einen 1500-Mitarbeiter-Apparat wie den der Stadtver­waltung zu führen, der aber wenig Begeisterung zu entfachen vermag.

Auf diesem Feld versteht sich Zock ohnehin mehr. Man brauche an der Spitze der Verwaltung „keinen Sacharbeiter“, stichelt sie, ein OB müsse vor allem eines mitbringen: „Begeisterung für die­se Stadt“. Die Marketingfrau präsentiert sich als Möglichmache­rin, dass sie viele Akteure aus Wirtschaft, Verbänden und Politik kennt, erleichtert ihr das Geschäft. Ihr Problem: Zwischen Nähe und fehlender Distanz liegt oft nur ein schmaler Grat. Was, wenn die Unterstützer von heute dereinst im Rathaus auf der Mat­te stehen und Sonderbehandlungen wünschen sollten? Würde der „kleine Dienstweg“ dann rasch wieder zur viel befahrenen Schnellstraße?

48 Stunden nach dem Rundgang mit Zock steht Leibe vor der Porta Nigra und wartet auf die Ankunft des Bundespräsidenten. Die Zeit bis dahin nutzt der Kandidat zu einer Plauderei mit Pas­santen. „Wir würden Sie wählen“, sagt plötzlich ein Mitglied der Gruppe. Leibe lächelt verlegen, der gebürtige Südbadener hat eine Handvoll Touristen aus Baden-Baden überzeugt.

Joachim Gauck und Daniela Schadt fahren vor, ebenso die Minis­terpräsidentin und ihr Gatte, der amtierende OB. Applaus bran­det auf, der Präsident schreitet durchs römische Tor, schüttelt Hände. Ein paar Genossen werden nervös, da dreht Gauck auch in ihre Richtung. Leibe eilt zum hohen Gast, stellt sich – schein­bar spontan – neben ihn. Ratsmitglied Rainer Lehnart schießt mit einem Tablet ein „Beweisfoto“: Seht her, der Präsident hat sich für unseren Kandidaten Zeit genommen, soll die Botschaft lauten. Das ist natürlich Quatsch! Gauck weiß nicht, mit wem er sich da ablichten lässt. Dennoch wird der Schnappschuss wenig später auf Facebook kursieren. Eine Gaukelei; wie auch das Foto von Frau Zock mit der Kanzlerin, das suggerieren soll, der mäch­tigsten Frau der Welt (Forbes) sei persönlich daran gelegen, dass die Kandidatin ohne CDU-Parteibuch die Trierer OB-Wahl für sich entscheidet.

Zock im öffentlichen Raum dominierende Kraft

Längst spielt sich der Wahlkampf auch im Internet ab. Leibe und Zock posten unentwegt – auf dass die „Netzgemeinde“ sieht, wie engagiert sie kämpfen. Ob Eurener Kirmes oder Ehranger Markt, Weinfest oder Wochenmarkt – allüberall sind die Kandidaten unterwegs. Doch hört man sich wenige Wochen vor dem Wahltag bei jenen um, die nicht in Sozialen Netzwerken verkehren, fällt das Echo verheerend aus, vor allem für Leibe. „Wolfram, wer?“, fragen dann selbst politisch Interessierte. „Der ist doch schon von morgens bis abends unterwegs“, schallt es aus der SPD zurück, „was soll er noch tun?“ Es klingt ein wenig zerknirscht, wie auch das Lamento eines Genossen: „Außerdem haben wir nicht mal ein Zehntel des Budgets für den Wahlkampf, das die Zock hat“.

Das würde erklären, weshalb Hiltrud Zock im öffentlichen Raum die augenscheinlich dominierende Kraft ist. Ihr Konterfei säumt ganze Straßenzüge, obendrein gibt es sie auch lebensgroß aus Pappe. Die 51-Jährige hat nichts dem Zufall überlassen, doch nicht wenigen wird es schon zu viel. Seit Wochen tourt sie mit einem Elektrofahrzeug durch die Stadt. Amtliches Kennzeichen: TR-OB-2015. Und immer wieder die Botschaft: „Aus Trier. Für Trier. Mit Trier“.

Mit Trier haben es alle Kandidaten, und weil Leibe seit Jahren nach Stuttgart pendelt, kontert er Zocks Startvorteil in Sachen Lokalkolorit geschickt mit der Parole „Zuhause in Trier“. Doch seinen Plakaten fehlt das Plakative, und wo ein Viereck mit „Schlagworten“ wie „offen“ oder „kompetent“ hängt, erschließt sich dem Betrachter erst aus nächster Nähe und nach wiederhol­ter Lektüre, welcher der Kandidaten denn hier gemeint ist. Dass Leibe Favorit ist, behaupten nicht einmal Sozialdemokraten. Sie hoffen auf eine Stichwahl, doch in die möchte auch Fred Konrad ziehen.

Freitagabend in der Volkshochschule. Mehrere Verbände haben zur Diskussion geladen, die drei Protagonisten sind allesamt mit von der Partie. Der Saal ist gut gefüllt, für viele ist es die erste Gelegenheit, alle Bewerber um das OB-Amt gemeinsam zu erle­ben. Vor allem der Grünen-Kandidat hat noch Potenzial in puncto Bekanntheitsgrad, doch für einen vermeintlich Chancenlosen nimmt er die Herausforderung beherzt an. Als Moderator Klaus Greichgauer wissen will, wie denn die Kandidaten zur „Spitz­mühle“ als möglichem Standort der neuen Feuerwache stehen, ist man sich einig: dort nicht! Konrad nutzt die Gelegenheit zu begründen, weshalb aus Sicht vieler Trierer das Gelände nicht be­baut werden darf: Weil der Tempelbezirk eine Frischluftschneise ist und auch der Naherholung dient. „Und weil man durch die Kleingartenanlage hindurch bis zum Goldkäulchen spazieren kann, fast ohne durch Wohnbebauung zu kommen“, ergänzt Konrad. Und das mache die Stadt doch aus – dass man auch vom Zentrum aus rasch zu Fuß ins Grüne gelange.

Konrad als Einziger mit politischer Erfahrung

Konrad wurde in Trier geboren, doch schon seit den 80ern lebt er nicht mehr in der Stadt. Seither trat er hier nicht in Erscheinung, zumindest nicht politisch. Dabei ist der 52-Jährige der einzige im Kandidaten-Trio, der wirklich politische Erfahrung mitbringt – seit 2011 sitzt er im Landtag. Konrad wollte auch schon mal OB werden, allerdings der von Zweibrücken. Das war 1999 und ging gründlich schief: auf 1,8 Prozent kam der Grüne. Da wird es ein Leichtes sein, sich bei dieser Wahl zu verbessern; zumal Trier eine der wenigen wirklichen Hochburgen seiner Partei in Rheinland-Pfalz ist.

Doch sein Einzug in eine Stichwahl, so es denn eine geben soll­te, wäre eine Sensation, und selbst bei seinen Anhängern rechnet niemand ernsthaft damit, dass der humorvolle und schlagfertige Konrad SPD-Mann Leibe aus dem Feld schlagen könnte. Statt­dessen drängt sich im Verlauf der Diskussion der Eindruck auf, eine OB Zock und der Grüne könnten ein gutes Gespann bilden.

Sollte am 28. September die Unionsbewerberin vorne liegen und dennoch eine Stichwahl nötig sein, könnte es auf eine Art Stillhal­te-Absprache hinauslaufen: Die Grünen verzichten auf eine Emp­fehlung zugunsten Leibes, im Gegenzug garantiert die CDU der Partei, ihr im Falle von Zocks Sieg den Bürgermeister-Posten zu belassen, so denn die umstrittene Amtsinhaberin Angelika Birk durch Konrad ersetzt wird.

Es ist dies eine Rechnung mit vielen Unbekannten, und sie ginge nur auf, wenn am Ende nicht doch Wolfram Leibe als erster über die Ziellinie käme. Den 54-Jährigen sollte niemand unterschät­zen, und gerade in Kreisen, die auch Zock nahestehen, hat der ehemalige Chef der Arbeitsagentur ein gutes Standing. An seiner Wirtschaftskompetenz zweifelt niemand, und dass er einen Ver­waltungsapparat führen kann, habe er ja hinreichend bewiesen, sagen seine Unterstützer. Auch habe er in seinen bisherigen Auf­gaben Führungsstärke bewiesen, heißt es. Dass Leibe sich nicht um jeden Preis beliebt machen möchte, beweist er auch in der Volkshochschule: Deutlicher als die anderen stellt er den vom Stadtrat beschlossenen Erhalt der Egbert-Grundschule in Frage. Es könne nicht sein, dass die vorhandenen Mittel nahezu aus­schließlich in die Sanierung einer einzigen Grundschule flössen und die anderen dann leer ausgingen, gibt er zu bedenken. Dass er für solchen Ansagen am Wahltag die Quittung bekommen könnte, ist ihm bewusst. Doch der Applaus im Saal spricht eher dafür, dass Leibes unbequeme Botschaften auch goutiert werden könnten.

OB muss Alleskönner sein

Doch reicht das, um ein Amt wie das des Oberbürgermeisters auszufüllen? Die Frage führt zu einem Dilemma, dem sich alle Anwärter auf den Chefsessel im Rathaus gegenüber sehen – kann ein Mensch auch nur annähernd all jene Fähigkeiten in sich ver­einen, die nötig sind, um den Anforderungen des Amts gerecht zu werden? Ein OB muss als Chef der Verwaltung Führungsstärke zeigen und einen Stadtvorstand leiten, dessen Mitglieder formal nicht weisungsgebunden und aktuell durch die Bank einigerma­ßen eigenwillig und entsprechend betreuungsintensiv sind. Als Vorsitzender des Stadtrats muss er neutral sein und souverän auch fünf- bis sechsstündige Sitzungen leiten können. Ohne den Stadtrat läuft wenig bis gar nichts. Gesucht wird also ein Ma­cher und Moderator. Ein OB muss bei Diamantenen Hochzei­ten ebenso glänzen wie er beim Fassanstich auf dem Altstadtfest überzeugen sollte. Im organisierten Frohsinn namens Fastnacht darf er nicht die Spaßbremse geben und muss doch zugleich die nötige Ernsthaftigkeit mitbringen, um zu ernsten Anlässen an­gemessene Worte zu finden. Obendrein muss ein OB unentwegt Akten studieren und fast wöchentlich in Mainz und Berlin um Zuschüsse feilschen.

Ein Vergleich der letzten beiden Oberbürgermeister zeigt, dass es den perfekten Amtsinhaber gar nicht geben kann. Helmut Schrö­er war ein Macher, gegen den im Rathaus nichts lief und der auch einen Bürgermeister Georg Bernarding einnorden konnte, ob­wohl sich beide in herzlicher Abneigung verbunden waren. Aber Schröer war auch ein schwacher Redner und schlechter Kom­munikator, für wichtige Gruppen und Themen hatte er schlicht keinen Sensor. Mit seiner Amtsführung würde er heute rasch an Grenzen stoßen. Klaus Jensen ist ein glänzender Redner und erstklassiger Repräsentant der Stadt, der gleichermaßen Humor und Ernsthaftigkeit mitbringt. Doch der Sozialdemokrat ist kon­fliktscheu, was für ein politisches Spitzenamt ähnlich hinderlich ist wie die Mehlstauballergie für den Bäcker.

Muss also eine Kombination aus politikerfahrenem Kinderarzt, professioneller PR-Frau und solidem Behördenprofi ran? Für die Stadt wäre es das Beste, doch steht der Name „Dr. Hiltrud Leibe“ am Sonntag nicht auf dem Wahlzettel.

Marcus Stölb

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