„Unsere Lehre ist, frühzeitig Widerstand zu leisten“

Seit einem Vierteljahrhundert hält der Arbeitskreis „Trier in der NS-Zeit“ der Arbeitsgemeinschaft Frieden die Erinnerung an die Zeit des nationalsozialistischen Terrors in der Moselstadt wach. Von Beginn an mit dabei: der einstige Friedensarbeiter bei der AGF, Thomas Zuche. Es gehe darum, durch ein zeitgemäßes Erinnern Lehren für die heutige Zeit zu ziehen und diese zu vermitteln, beschreibt Zuche die Motivation der rund ein Dutzend Aktiven des Arbeitskreises. Zu denen zählt auch Thomas Kupczik. Die Arbeit habe gezeigt, dass auch in einer relativen kleinen Stadt wie Trier vom Täter über den Mitläufer bis hin zum Widerstandskämpfer alles vertreten war. Das Gedenken an den 75. Jahrestag der „Pogromnacht“, eine Stolpersteine-App sowie eine Ausstellung zu jugendlichen Widerstandskämpfern stehen auf dem Programm des AK der nächsten Monate.

TRIER. Anfang 1983 liefert die bolivianische Regierung Klaus Barbie an die französische Justiz aus – elf Jahre, nachdem es der bekannten Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld gelungen war, den Kriegsverbrecher in La Paz aufzuspüren. Der Fall sorgt weltweit für Schlagzeilen. In der französischen Stadt stand Barbie einst an der Spitze der Gestapo, nun muss er sich dort vor einem Gericht verantworten. Im Laufe des Verfahrens wird er für die Deportation von mindesten 843 Menschen aus Lyon und Umgebung verantwortlich gemacht. Wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in 177 Fällen verurteilen ihn die Richter 1987 zu einer lebenslangen Haftstrafe. Vier Jahre später stirbt Barbie an Krebs.

Dass der spätere „Schlächter von Lyon“ 1934 mit Ach und Krach sein Abitur am Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium bestand und sich anschließend erfolglos auf Jobsuche machte, ist nicht viel mehr als eine biographische Fußnote. Doch war es der Trierer Ortsgruppenleiter der NSDAP, der Barbie in der lokalen Dienststelle des Sicherheitsdienstes des Reichsführers-SS unterbrachte. Barbies Nazi-Karriere nahm also von der Moselstadt aus ihren Lauf, weshalb sich ein kurzes Kapitel im „StattFührer – Trier im Nationalsozialismus“ auch mit ihm befasst. Es habe ihn fasziniert zu entdecken, dass selbst in einer relativ kleinen Stadt wie Trier vom einfachen Täter über den teilnahmslosen Mitläufer bis hin zum engagierten Widerstandskämpfer alles vertreten war, sagt Thomas Kupczik. Seit mehr als zwei Jahrzehnten gehört er dem AK „Trier in der NS-Zeit an“, mit Hunderten Stadtrundgängen zur Thematik, ungezählten Vorträgen und dem bereits in dritter Auflage erschienenen „StattFührer“ haben die ehrenamtlichen Aktivisten ein dunkles Kapitel Stadtgeschichte teilweise erhellen können.

Thomas Zuche präsentiert jetzt ein 1988 verfasstes Papier. „Vor allem die braune Vorzeit scheint in Trier bläßlich-grau. Dabei muß man nicht den Boden aufreißen, um ihr auf den Grund zu gehen – bestenfalls einige Schleier lüften“, hatte Zuche seinerzeit geschrieben. Der 54-Jährige kann sich noch gut erinnern, als ihm seine Mutter berichtete, wie sie erlebt hatte, dass aus dem Trierer Stadtbild die Behinderten verschwanden; und dass sein Vater den Bus noch sah, mit dem die letzten Insassen der „Irrenanstalt“ des Brüderkrankenhauses abtransportiert wurden. Seither habe ihn das Thema beschäftigt, so Zuche. Als Friedensarbeiter der AGF konnte er sich ihm dann verstärkt widmen. Den Themen Täter, Opfer, Verfolgung und Widerstand sowie Kriegsvorbereitung wollte man sich widmen, wie aus einer 1988 von Roland Dahm gefertigten Skizze hervorgeht. „Wir sind da auch mit ein bisschen investigativem Anspruch heran gegangen“, erinnert sich Zuche. Kupczik faszinierten vor allem die zahlreichen Gespräche mit Zeitzeugen, unter anderem mit einer älteren Jüdin, die in Trier geboren wurde und die er vor zwei Jahren in Israel traf.

Zu den Zeitzeugen zählte auch ein Mann namens Paul Wipper, der Anfang der 30er Jahre die Trierer Ortsgruppe der NSDAP gründete. Wipper kehrte nach russischer Kriegsgefangenschaft als einzige der früheren Nazi-Größen nach Trier zurück. Noch im KZ Neuengamme, in das ihn die britische Militärregierung einige Monate lang internierte, schrieb er 1948: „Sühne wird notwendig sein. Nur befehlen kann man sie nicht. Sie ist ein Vorgang in der Seele des Einzelnen. Gibt es einen besseren Wunsch als dort zu beginnen, den Mut umzuwandeln in Zivilcourage, sich nicht mehr vorlügen zu lassen“. Wipper wird später die Trierer Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner“ gründen, und er wird auch zu den ersten Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF) zählen.

Am 8. Mai 1985, dem Tag, an dem Richard von Weizsäcker seine bedeutende Rede im Bonner Bundestag hält, spricht Wipper auf einer Kundgebung auf dem Trierer Hauptmarkt. Es ist ein bewegender Moment, denn gemeinsam mit ihm tritt Willi Torgau auf, Kommunist und ehemaliger KZ-Häftling. Unterschiedlicher könnten die beiden Redner nicht sein, doch jetzt verbindet sie eine Botschaft: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!  Wipper und Torgau sind seit vielen Jahren tot, ebenso Hans Eiden, der Lagerälteste von Buchenwald, von dem es am 6. Dezember 1950 in der Todesanzeige heißen wird: „Er war es, dessen besonnener Mut, dessen unbeugsame Entschlossenheit viele Zehntausende von Buchenwald-Häftlingen ihr Leben verdanken“.

Der Arbeit des AK „Trier in der NS-Zeit“ verdanken inzwischen Tausende Menschen, dass sie von Menschen wie Hans Eiden oder Willi Torgau überhaupt erfahren haben. Mit Ausstellungen und dem Verlegen von mittlerweile 146 Stolpersteinen halten sie die Erinnerung wach. Petra Gouverneur ist gemessen an Zuche und Kupczik erst seit kurzem im AK mit dabei. „Das Thema ist noch lange nicht abgeschlossen“, ist die Grundschullehrerin überzeugt. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass beispielsweise auch recht junge Kinder sehr viele Frage zu diesem dunklen Kapitel hätten. Natürlich könne man Drittklässler nicht mit Bildmaterial von Konzentrationslagern konfrontieren, so Gouverneur, aber der „Kern, der hinter der ganzen Thematik steckt, ist Ungerechtigkeit und Ausgrenzung“. Hier lasse sich schon in frühen Jahren bei Kindern ein Bewusstsein dafür schaffen, dass beidem entgegen gewirkt werden muss. Bei ihr komme beispielsweise das Tagebuch der Anne Frank zum Einsatz. Die frühe Bewusstseinsbildung ist auch Thomas Kupczik besonders wichtig, vor allem wenn es darum geht, Position gegen Faschismus und Neo-Nazismus zu beziehen. „Unsere Lehre ist, frühzeitig Widerstand zu leisten, also bevor es zu spät ist“.

Für die Menschen, an deren Schicksale die Stolpersteine erinnern, kam jede Hilfe zu spät. Schon bald soll es eine Stolperstein-App geben, entwickelt von Mediendesignern der Hochschule Trier. Und auch die Neuauflage der Broschüre „Stolpersteine erzählen“ steht auf der Liste der näheren Zukunft ganz weit oben. Für Januar nächsten Jahres ist eine Ausstellung mit Rahmenprogramm geplant. Ihr Titel: „Es lebe die Freiheit! – Junge Menschen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Und auch beim diesjährigen 75. Jahrestag der Pogromnacht wolle man sich einbringen, kündigt Kupczik an. Der Wunsch, in der „Trier-Galerie“ oder im Modegeschäft „Sinn & Leffers“, dem einstigen jüdischen Kaufhaus Haas, am 9. November eine Bildinstallation mit Opfern des NS-Terrors aus Trier zu zeigen, habe sich jedoch zerschlagen, berichtet Kupczik. Man habe an diesem Tag möglichst viele Menschen erreichen wollen, doch hätten die Verantwortlichen das Ansinnen abgelehnt. Der 51-Jährige ist aber optimistisch, noch eine Lösung zu finden.

Weitere Informationen finden Sie auf folgender Homepage.

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