„Fahret hin in Frieden“

StadtradelnKleinGruppeDass ein Oberbürgermeister zur Teilnahme an einer Demonstration aufruft, kommt nicht alle Tage vor. Mit einer „Fahrrad-Demo“ startete Klaus Jensen am Sonntag die zweite Auflage der bundesweiten Kampagne „Stadtradeln“ in Trier. Manche wähnen in der Aktion vor allem PR, mit welcher das Rathaus auch von den nach wie vor suboptimalen Rahmenbedingungen für den Radverkehr ablenken wolle. Der OB verhehlte nicht, dass Trier noch weit davon entfernt sei, eine fahrradfreundliche Stadt zu sein, doch sei man mit Hochdruck daran, den über Jahrzehnte gewachsenen Investitionsstau abzuarbeiten. Die Teilnehmer der rund 60 Trierer Teams, die  bei „Stadtradeln“ am Start sind, lassen sich von fehlenden oder sinnarmen Radverkehrsführungen nicht davon abhalten, in die Pedale zu treten. Verwaltung und Politik sehen sie dennoch in der Pflicht, die angekündigten Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

TRIER. Als Klaus Jensen 2008 Besuch vom damaligen Mainzer Verkehrsminister Hendrik Hering bekam, unternahmen die beiden eine Radtour in die City. Die führte unter anderem vom Hauptbahnhof bis zu den Kaiserthermen; keine wirkliche Entfernung also. Doch selbst auf diesem kurzen Abschnitt sei es ihm nicht möglich gewesen, sich vollkommen regelgerecht fortzubewegen, räumte der Oberbürgermeister am gestrigen Sonntag ein. Wohl wahr, das kann ein jeder bestätigen, der diese oder andere Wege in Trier mit dem Velo zurücklegt. Dumm nur, dass sich auch mehr als fünf Jahre nach Herings Besuch in Trier nichts an der unsäglichen Verkehrsführung im Umfeld des Hauptbahnhofs geändert hat. So ist bis heute nicht möglich, von der Balduinstraße in Richtung Alleencenter einzubiegen, denn die einzige Spur dort ist ausdrücklich für PKW vorbehalten, und der Fußgängerweg nicht für Radfahrer nutzbar; und wer vom Hauptbahnhof Richtung Porta Nigra radeln möchte, muss – will er sich denn an die Straßenverkehrsordnung halten – entweder schieben, oder einen abenteuerlichen Umweg über Bismarck-, Moltke- und Roonstraße nehmen. Da verwundert es wenig, dass in den warmen Monaten täglich Dutzende Fahrradtouristen völlig orientierungslos im Bahnhofsviertel herumirren.

StadtradelnKleinAchimBaumgartAchim Baumgart findet seinen Weg. Etwas mehr als 10 Kilometer legt er täglich zurück, von seinem Wohnort Konz bis zu seiner Arbeitsstelle im Trierer Brüderkrankenhaus. „Ich habe Blut geleckt“, berichtet er am Sonntag vor der Porta Nigra. Baumgart sitzt auf einem Fahrrad Marke Baumarkt: „Das ist 20 Jahre alt und hing 19 Jahre in der Garage“, erzählt er. Im Juni habe er sich dann an der Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ von ADFC und AOK beteiligt, da sei es für ihn auch nahe liegend gewesen, bei der Kampagne „Stadtradeln“ mitzumachen. „Wenn man 40 ist, dann muss man auch mal an seine Gesundheit denken“, begründet Baumgart seine neue Leidenschaft und demonstriert anhand seines mittlerweile überdimensionierten Trikots, wie gut ihm die ersten Monate auf dem Velo getan haben: „10 Kilo habe ich schon runter, das hier habe ich mal ausgefüllt“, sagt er und zieht an seinem Oberteil.

Der 40-Jährige ist ein Mann so ganz nach dem Geschmack von Toni Loosen-Bach und Johannes Hill. Die beiden Rathaus-Mitarbeiter koordinieren die Aktion „Stadtradeln“ in Trier, Menschen dauerhaft und vor allem im Alltag zum Umstieg aufs Fahrrad zu bewegen, ist ihr Ziel. Baumgart lässt sein Auto nun tatsächlich in Konz stehen und radelt, wenn denn das Wetter nicht unzumutbar ist, jeden Tag hin und zurück nach Trier. Er hat sich wetterfeste Kleidung zugelegt und denkt auch darüber nach, sein in die Jahre gekommenes Zweirad auszutauschen. „Das kaufe ich mir dann von dem Geld, das ich an Sprit gespart habe. Refinanziert ist das schon“. Dass die Radwege in der Moselstadt „generell schlecht sind“ und viele Wege „irgendwo im Nirwana enden“, kann ihn nicht davon abhalten, weiterhin täglich in die Pedale zu treten.

Gemessen daran gehen es Jannik und und seine Mutter Jutta Straubinger eher gemütlich an. Eher „sporadisch“ wolle man das Fahrrad nutzen, wenn auch künftig häufiger. Der 9-Jährige radelt schon mal von seinem Heimatort Kenn nach Ruwer, Jutta Straubinger will zumindest hin und wieder zu ihrem Arbeitsplatz auf dem Schneidershof fahren. Die Hochschule Trier ist seit kurzem mit einem neuen Rad- und Fußweg von der Bitburger aus zu erreichen, die Steigung ist nicht ohne. „Das ist aber gut zu machen“, sagt Jutta Straubinger und gesellt sich nun zu ihren Kollegen vom Team „Hochschule Trier“. Die fallen auf mit ihren orangefarbenen T-Shirts.

StadtradelnKleinSabineChristopherMorbachDie Kampagne „Stadtradeln“ richtet sich nicht allein an Freaks oder von Wind und Wetter kaum zu beeindruckende Alltagsradler. Auch Trierer wie Sabine Morbach und ihr Sohn Christopher sind mit von der Partie und haben sich dem Team „16vor-Fahrt“ angeschlossen, das in diesem Jahr erstmals an den Start ging. Statt sich im „Eltern-Taxi“ vor die Schultür chauffieren zu lassen, schwingt sich Christopher Morbach allmorgendlich auf sein Rad und fährt von Heiligkreuz zum Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Keine große Entfernung und für Trierer Verhältnisse recht problemlos zu bewerkstelligen. Doch als der 12-Jährige dieser Tage mit einem Freund ins Kino fuhr, lernte er einmal mehr die Tücken des lückenhaften Radwegenetzes kennen. „Letztendlich sind wir noch im Cinemaxx angekommen und haben auch noch den kompletten Film gesehen“, kommentiert er trocken. Sabine Morbach hofft, dass ihr Sohn sich das Radfahren nicht verleiden lässt – und so langsam aber sicher die noch verbliebenen elterlichen Fahrdienste auf ein Minimum reduziert werden können.

„Ein relativ kleiner Switch vom Auto aufs Rad“ könne mehr Probleme lösen als neue Straßen und Autobahnen, die ohnehin nicht gebaut würden, sagt wenig später der Oberbürgermeister – und erntet von den rund 50 Stadtradlern begeisterten Applaus. Wer nur einmal beobachtet hat, in wie vielen Fahrzeugen auch zu Stoßzeiten nur ein Mensch sitzt, der wird den Eindruck nicht los, dass hier noch viel Potenzial zum Umsteigen besteht. Denn wenn allein nur eine nennenswerte Zahl derjenigen, die ihren innerstädtischen Arbeitsweg ohne wirklichen Aufwand mit dem Fahrrad zurücklegen könnten, dies auch täten, würde sich das schon bemerkbar machen. Triers Verkehrsprobleme ließen sich so nicht in Gänze lösen. Doch zeigen Untersuchungen, dass ein beträchtlicher Anteil der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, kürzer als drei Kilometer sind. Dass manche den Umstieg scheuen, liegt auch an den fehlenden Radwegen. Da sei man dran, betonte Jensen, „wir haben da noch einen sehr hohen Nachholbedarf, nachdem Jahrzehnte nichts gelaufen ist“.

StadtradelnKleinMarkusKönig„Das brauche ich aber jetzt nicht zu sagen!“, entgegnet Markus König auf dem Viehmarkt auf die Frage des Reporters, wie er denn die Bedingungen für Radfahrer in Trier bewerte. König kam vor einigen Jahren von Hamburg nach Trier, was die Radwege anbelangt erkannte er schnell, dass er in einer wenig fahrradfreundlichen Stadt gelandet war. Ginge es nach ihm, dann würden in Trier mehr Ampelkreuzungen durch Kreisel ersetzt, und auch sonst hat er der Verwaltung schon einige Vorschläge gemacht, wie der Radverkehr flüssiger fließen könnte. „In der Woche fahre ich 110 bis 130 Kilometer“, beziffert König und ergänzt: „Wenn keine besonderen Strecken hinzu kommen“. Die Auftakttour hatte gerade mal 2,5 Kilometer und führte von der Porta Nigra über den halben Alleenring zum Viehmarkt. Die Veranstalter waren zufrieden, Hill, Loosen-Bach und Jensen hoffen nun, dass die Trierer Teams bis zum 21. September gemeinsam die 100.000-Kilometer-Marke knacken. Den Segen des Oberbürgermeisters haben sie jedenfalls: „Fahret hin in Frieden“, verabschiedete sich Jensen am Sonntag von den Teilnehmern der Auftakttour.

Auch nach dem Start der Kampagne sind noch Anmeldungen möglich. Wer sich dem Team „16vor-Fahrt“ anschließt, kann einen von drei Einkaufsgutscheinen der Firma Fahrrad Stemper gewinnen. Zur Online-Registrierung geht es hier

 

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