Mit Harrius Potter auf dem Campus

Kinderuni1Unter dem Motto „Hörsaal öffne dich“ präsentiert die Kinder-Uni in diesem Sommersemester bereits zum neunten Mal ein vielfältiges Programm für ganz junge Nachwuchsforscher. In Seminaren, Vorlesungen und Exkursionen erleben rund 800 Kinder und Jugendliche aus der gesamten Großregion Wissenschaft zum Anfassen. Die Teilnehmer erfahren nicht nur, wie spannend lernen sein kann, sondern erhalten auch einen ersten Einblick in die Abläufe an einer Hochschule – Studentenausweis inklusive. Geht es nach den Verantwortlichen, nutzen künftig mehr Menschen aus sogenannten bildungsfernen Schichten das kostenfreie Angebot.

TRIER. „Salvete!“ begrüßt Professor Bärbel Kramer ihre Schützlinge. „Salve Magister“ antworten Sophie, Charlotte und ihre Kommilitonen noch etwas schüchtern im Chor. Einen ganzen Tag lang dürfen sie im Seminar „In der antiken Schule“, ausgerichtet vom Fach klassische Philologie, „Uni-Luft“ schnuppern. Wie viele andere Teilnehmer gehört auch Charlotte bereits zu den „alten Hasen“ der Kinder-Uni. Aus ihrer blauen Tasche, die sie am Eingang erhalten hat, packt sie all das aus, was ein „richtiger“ Student im Seminar braucht – wenn er denn nicht schon vollständig auf digitales Hilfsmittel umgestiegen ist: Block, Bleistift und Spitzer. Stolz zeigt sie dann ihren Studentenausweis, in dem schon eine ganze Reihe Sticker mit Veranstaltungsnachweisen kleben. „In der Schule haben wir vor kurzem ein Römerprojekt gemacht. Weil das so viel Spaß gemacht hat, habe ich mich bei dieser Veranstaltung angemeldet“, erzählt sie und ergänzt: „Ich will vor allem wissen, was die Kinder im alten Rom alles in der Schule gelernt haben.“

Eine Fächervielfalt wie heute habe es vor 2.000 Jahren noch nicht gegeben, klärt Kramer auf. Deshalb stünden an diesem Samstagmorgen auch nur vier Fächer auf dem Lehrplan. Neben Schreiben (scribere), Rechnen (computare) und Pausenspiele (ludere) geht es in der ersten Stunde zunächst um legere, also ums Lesen. Wie im alten Rom natürlich auf Latein. Kramer hält das erste Kapitel von Harrius Potter in die Runde. „Das ist Latein, das weiß ich“, meldet sich Charlottes Sitznachbarin Sophie prompt zu Wort, „auf Deutsch heißt das Harry Potter.“

Ziel der zahlreichen Veranstaltungen, die während des kompletten Sommersemesters stattfinden, ist es, wissbegierigen Kindern wissenschaftliche Themen auch außerhalb des Schulunterrichts nahe zu bringen. Auf diesem Weg soll ihnen nicht nur gezeigt werden, wie spannend Lernen sein kann, sie sollen auch mit den Abläufen an einer Hochschule vertraut gemacht werden. Seinen Ursprung hat das Konzept der Kinder-Uni in Tübingen, wo sie im Jahr 2002 von den beiden Zeitungsredakteuren Ulla Steuernagel und Ulrich Janßen gegründet wurde. Rund 40 aktive Kinder-Unis gibt es derzeit allein in Deutschland, erste Ableger existieren außerdem in Wien und Rom. Vor neun Jahren hat Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland eine landesweite Kinder-Uni ins Leben gerufen, die die Aktivitäten der vier Unis von Trier, Kaiserslautern, Koblenz-Landau, Mainz sowie von sieben Hochschulen (Trier, Bingen, Koblenz, Kaiserslautern, Ludwigshafen, Mainz, Worms) bündelt.

Sophie und Charlotte haben sich in der Zwischenzeit erfolgreich durch Harrius Potter gekämpft und sind mit ihrer Klasse beim Fach computare (Rechnen) angekommen. „Die Zahlen sind ganz schön kompliziert und komplett anders als unsere“, stöhnt Elias, der sich gerade daran versucht, sein Geburtsdatum in römischen Zahlen zu schreiben. „Die muss man ja erst einmal subtrahieren oder addieren, bevor man sie überhaupt lesen kann“, weiß er. Von kleinen Seminaren wie diesem, mit nur 15 Teilnehmern, über Exkursionen rund um den Campus, bis hin zu Vorlesungen für bis zu 100 Kindern, gibt es im Vorlesungsverzeichnis der Trierer Kinder-Uni rund 30 Veranstaltungen zu ganz unterschiedlichen Themen. „Der Fächerkanon der Uni bestimmt das Programm“, erzählt Johannes Forster. Er ist studentischer Mitarbeiter und kümmert sich gemeinsam mit seinen Kollegen um die allgemeine Organisation und Koordination der Veranstaltungen.

„Da wir eine vorwiegend geisteswissenschaftlich orientierte Uni sind, zischt, kracht und pufft es nicht in jeder Veranstaltung“, fügt er hinzu. Dennoch seien alle Veranstaltungen bei den Kindern sehr beliebt. So beschäftigt sich das Fach Geschichte dieses Jahr zum Beispiel mit der Frage, ob man den Kaiser duzen durfte, während die Geologen ihre Studenten in spe zu Chemiedetektive ausbilden, oder man bei den Informatikern lernt Geheimschriften zu entschlüsseln. „Letztens war ich in der Veranstaltung ‚Wie werde ich erfolgreicher Unternehmer?'“, erzählt Maximilian. „Die war voll cool, denn da haben wir gelernt, was Patente und Business Pläne sind.“ Dieses Semester ist Maximilian nicht nur Student, sondern hat sich in Zusatzseminaren außerdem zum Kinder-Uni-Reporter ausbilden lassen. Während des Seminars macht er sich Stichpunkte, interviewt seine Kommilitonen und schreibt am Ende einen Bericht für die Webseite. Auch den Uni-Präsidenten durfte das elfköpfige Reporterteam dieses Jahr bereits interviewen. „Ich lese und schreibe gerne und will sowieso immer alles wissen. Deshalb war die Reporter-Rolle genau die Richtige für mich“, erzählt er mit stolzgeschwellter Brust.

Kinderuni2Wie in den Vorjahren ist der Zulauf zur Kinder-Uni auch dieses Semester wieder ungebremst, und so gibt es für fast alle Veranstaltungen bereits eine Warteliste. Auch wenn das Angebot für alle Kinder frei zugänglich ist – unabhängig von deren Elternhaus oder der Schulform, die sie besuchen – hält sich die Resonanz aus bestimmten Milieus noch in Grenzen. „Wir erreichen zwar auch Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, aber immer noch zu wenige. Leider gibt es gibt immer noch das Vorurteil, die Kinder-Uni sei nur für hochbegabte Kinder“, erzählt Forster. Dabei seien die Veranstaltungen kostenlos, um wirklich allen Kindern die Teilnahme zu ermöglichen. Neben einer jährlichen Förderung durch das Land sind die entstehenden Kosten nur durch viel ehrenamtliches Engagement zu stemmen. So bieten alle Dozenten ihre Veranstaltungen in ihrer Freizeit und außerhalb ihres Lehrdeputats an. Wie Professor Stephan Busch, vom Fach klassische Philologie, sind etliche „Wiederholungstäter“. Während für ihn der Spaß an der Arbeit mit Kindern im Vordergrund steht, sieht er das Projekt aber vor allem für Fächer mit geringerem Zulauf als große Chance: „Vor allem für Fächer wie Papyrologie, deren wirtschaftlicher Nutzen auf den ersten Blick nicht direkt einleuchtet, ist diese Art von Öffentlichkeitsarbeit enorm wichtig“, erzählt er. „Wir müssen quasi ständig auf uns aufmerksam machen und sagen, dass wir existieren.“

Lesen auf Latein, Schreiben auf Griechisch, Rechnen mit römischen Zahlen und Spielen mit Nüssen – bis zum frühen Nachmittag haben Charlotte, Sophie und ihre Kommilitonen alle Stationen durchlaufen und können sich jetzt stolz „Römerexperten“ nennen. „Eine Sache wird euch besonders freuen“, erzählt Professorin Kramer zum Abschluss, „früher gab es keine Hausaufgaben oder Klassenarbeiten“. „Cool, das ist das Beste“, freut sich Charlotte, packt ihr Kinder-Uni Tasche und macht sich mit einem neuen Sticker für ihren Studentenausweis auf den Heimweg.

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