Kennen Sie… die Pyramidenkirche?
Aus Ägypten sind sie am bekanntesten und auch die Maya haben in Südamerika Stufenpyramiden errichtet. Die Architekturform, die im dritten Jahrtausend vor Christus begann und im noch unentdeckten Amerika eine weitere Blütezeit erlebte, hat in den folgenden Architekturepochen kaum noch Planer angesprochen. Die glattwandigen Pyramiden jedoch erleben vor allem im 20. Jahrhundert mit dem Werkstoff Glas eine kleine Renaissance. Mit der Kirche St. Michael im Stadtteil Mariahof besitzt Trier ein Bauwerk, welches als einmalig zu bezeichnen ist und Architekturstudierende aus der ganzen Republik anzieht.
MARIAHOF. Die Massen strömen nicht erst in den Innenhof des Pariser Louvre, seit Dan Brown in „The Da Vinci Code“ die Suche nach dem heiligen Gral genau dort enden lässt. Schon als der chinesisch-stämmige Architekt Ieoh Ming Pei den Eingangsbereich des Museums 1989 mit einer raumgreifenden gläsernen Pyramide fertigstellte, begeisterten sich die Besucher an der alten Form in neuem Gewand. Das Motiv ist beispielsweise auch im luxemburgischen Museumsneubau des Mudam zu finden, ebenfalls ein Pei-Gebäude. Pyramiden krönen den Frankfurter Messeturm, die Ulmer Bibliothek oder sind die Grundform für Hochhäuser in den Vereinigten Staaten. Doch die etwas sperrigere Form der Stufenpyramide mit ihren Ecken und Kanten erlebte keine neue Blütezeit. Umso bedeutender ist die Interpretation eines Kirchenraumes aus dieser Jahrtausende alten Form.
Möglich machte dies die Konzeption eines komplett neuen Stadtteils von Trier nicht auf der grünen Wiese, sondern eher auf spröden Feldern rund um das Gut Mariahof der Familie von Nell, welches auf dem ersten Bergzug des Hunsrücks, dem Mühlenberg, liegt. Hoch über dem Moseltal wurde eine Gartenstadt von Grund auf aus einem Guss geplant und umgesetzt. Die große Neubaumaßnahme in Zeiten knapper Wohnungen begann mit einem Architektenwettbewerb, der im April 1960 entschieden und ab 1962 umgesetzt wurde. Insgesamt 1200 Wohnungen wurden in Form von Mietwohnungen und Einfamilienhäusern errichtet, hinzu kamen eine Ladenzeile und ein eigenes Heizkraftwerk.
Der fußgänger- und kinderfreundliche Stadtteil zog viele Familien an, die die vier Kilometer in die Innenstadt dank der wachsenden Mobilität gut meistern konnten. Moderne weiße Häuser mit Flachdächern in verschiedenen Etagenhöhen prägen bis heute das für Trier innovative Wohnumfeld, dem Mitte der sechziger Jahre noch eine eigene Kirche fehlte. Es war wieder ein Wettbewerb, dessen ersten Preis der Dillinger Architekt Konny Schmitz im Jahr 1965 gewann.
Sein Entwurf für das Zentrum von Mariahof – in der Flucht der Ladenpassage – sah eine Kirche in der Form einer Stufenpyramide vor. Ausgeführt in Stahlskelettbauweise mit einer Fassade aus unverkleidetem Beton, orientiert sie sich an den verschieden hohen bestehenden Gebäuden und weist zugleich eine klassische Form auf. 1968 wurde der Grundstein gelegt. Die Grundform des Kirchenbaus ist ein Quadrat, welches abgestuft in fünf Ebenen übereinander liegt. Durch jede der nach oben hin kleiner werdenden Ebenen in Zimmerhöhe entsteht ein Kirchenraum mit einer maximalen Höhe von 15 Metern über dem zentralen Altar. Das Raster von Kuben mit einer Größe von jeweils drei mal drei mal drei Metern ist komplett in Sichtbeton ausgebildet und strukturiert den Innenraum. Das Tageslicht dringt durch die Lichtkuppeln der verschieden hohen Flachdächer und Lichtleisten zwischen den Ebenen ein und verleiht dem Gebäude im Inneren eine Transparenz, die von außen kaum möglich scheint und den Blick nach oben richtet.
Die Spannweite von 33 Metern im ebenerdigen Quadrat trägt sich ganz ohne Säulen und Pfeiler, auch ein für Kirchen übliches Gewölbe ist hier nicht zu finden. Der zentrale Altarraum wird von drei Seiten mit Gestühl umgeben. Die durch die Quadrate und Kuben entstehenden Ecken des Hauptraumes sind als Kapellen angelegt, diese sind sehr offen und bilden einen klassischen Kapellenkranz. Darunter findet sich auch die sogenannte Werktagskapelle, ein abgeschlossener Raum auf quadratischem Grundriss.
Nur die Orgel, die zwischen den beiden Eingängen und dem Altarraum hoch aufragt, bildet eine optische Begrenzung, die aber durch die Glaswände wieder aufgehoben wird. Der Trierer Künstler Jakob Schwarzkopf (1926-2001) gestaltete 1982 diese Glasflächen mit biblischen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Sie flankieren die beiden Eingangstüren und bilden einen passenden Kontrast zu den betonsichtigen Wänden.
Das Gebäude ist auch heute noch ein sehenswertes Bauwerk, nicht nur für Trier ist es etwas Besonderes. Die Pfarrkirsche St. Michael steht bereits jetzt unter Denkmalschutz. Nicht selten führen die Exkursionen von Kunst- und Architekturstudierenden, die Trier besichtigen, auch auf den Berg hinter Heiligkreuz, zuletzt eine Gruppe aus München. Doch nicht nur zu Entstehungszeiten war die Kirche in Triers jüngstem Stadtteil innovativ, modern und zeitgemäß. Auch heute birgt sie etwas Seltenes in ihrem Kellerschoß. Die schlicht gestaltete Urnengruft beherbergt Schmuckurnen und Aschenkapseln von Verstorbenen aus der Pfarreiengemeinschaft Heiligkreuz, St. Maternus und St. Michael sowie von verstorbenen Bürgern der Stadt Trier, die schon zu Lebzeiten einen Platz reserviert haben. Hier liegt seit Juli 2010 auch der Architekt der Kirche, Konny Schmitz, der damit seine ganz persönliche Verbindung zu der Pyramidenkirche zum Ausdruck gebracht hat.
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