„Alles gleichmachen, führt in die Irre“

Seit mittlerweile 24 Jahren lehrt Professor Gerhard Robbers an der Universität Trier Öffentliches Recht. Über die Grenzen der Stadt hinaus genießt der Verfassungsrechtler einen ausgezeichneten Ruf. Robbers vertrat in mehreren Verfahren verschiedene Bundesregierungen in Karlsruhe und wurde selbst schon mal als Kandidat für das Bundesverfassungsgericht gehandelt. Nun trat er als Präsident des 34. Evangelischen Kirchentags Anfang Mai in Erscheinung. 16vor sprach mit dem 62-Jährigen über seine bleibenden Eindrücke von dem Hamburger Großereignis, Armut in Deutschland und den NSU-Prozess in München. Robbers plädiert für ein „religiös geprägtes Arbeitsrecht“ und verteidigt mit Verve den „Dritten Weg“. 

16vor: Herr Professor Robbers, Sie standen dem diesjährigen Deutschen Evangelischen Kirchentag als Präsident vor. Mit welchen Anregungen und Gedanken sind Sie zurück nach Trier gekommen?

Gerhard Robbers: Bei diesem Kirchentag fand ich bemerkenswert, dass sich die Menschen bei über 2500 einzelnen Veranstaltungen zunächst einmal zusammengefunden haben – denn Kirchentag ist wesentlich auch Begegnung. Vor allem die Fokussierung auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit hat mich beeindruckt, bis hin zu Konkretisierungen, etwa wie man zu Mindestlöhnen und tragfähiger Subsistenz von Menschen, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, steht.

Als ganz wichtig hat sich zu meiner Freude auch die Offenheit herauskristallisiert, in der unterschiedliche Konfessionen und Religionen miteinander umgegangen sind. Im Vordergrund stand nicht Abgrenzung gegeneinander, sondern das Finden von Gemeinsamkeiten im Bewusstsein eigener Identität. Der Kirchentag hat auch Zeichen in Richtung Inklusion gesetzt – Menschen in der Gesellschaft mitzunehmen, die bisher eher außen stehen. Und es hat sich in diesen Tagen gezeigt, wie sehr die Menschen ihren Glauben suchen und brauchen, wie fest sie darin verwurzelt sind. Es ist ein Fest aus protestantischer Überzeugung heraus.

16vor: „Soviel du brauchst“ hieß das Leitwort des Kirchentags. Sie haben beim Schlussgottesdienst gesagt: „Es gibt so viele Menschen, die nicht genug haben.“ Woran machen Sie das vor allem fest?

Robbers: Ich denke, für uns alle springt ins Auge, dass es ganz viele Menschen gibt, die schlichtweg materiell nicht genug haben, die nicht über die Runden kommen. Das fängt bei Obdachlosen an und geht bis hin zu Menschen, die einen Monat lang hart arbeiten und am Ende des Monats immer noch nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Es gibt auch in Deutschland zu viel materielle Armut. Der Kirchentag hat dazu aufgerufen, das zu überwinden. Es gibt aber auch Menschen, die nicht genug an Gemeinschaft, Kontakt und Freundschaft haben – die schlicht einsam sind. Ich bin auch in Hamburg so vielen Augen begegnet, aus denen solche Einsamkeit geblickt hat. Ein dritter Punkt, wo Menschen nicht genug haben, ist durchaus auch religiöse Erfüllung; wo sie auf der Suche sind nach religiösen Lebensvollzügen, aber nicht offen genug Antworten erhalten – auch von der Kirche selber.

16vor: Bundeskanzlerin Merkel, ihr Herausforderer Steinbrück und viele andere Politiker waren in Hamburg zu Gast. Wie war Ihr Eindruck: Waren diese Besuche nur der Vorwahlkampf oder haben sie auch wirkliche Botschaften und Fußabdrücke hinterlassen?

Robbers: Im Vordergrund steht Letzteres. Die zuversichtliche Hoffnung, dass die Politiker, die kommen, das nicht als platte Wahlkampfbühne nehmen, sondern auch ihre eigenen Überzeugungen mitnehmen und wirken lassen, hat sich erfüllt. Man nehme nur einmal Joachim Gauck, der ja nun nicht im Wahlkampf steht, der sich in seiner Diskussion mit Behinderten – darunter der aus „Wetten, dass“ bekannte Samuel Koch – aus dem Herzen heraus diesen Menschen zugewandt hat. Da erzähle mir niemand, dass das Selbstdarstellung ist, sondern das kommt aus dem Herzen heraus. Ich finde es übrigens auch gar nicht schlimm, wenn Politiker sich auf solchen Bühnen als gute Minister oder Oppositionsführer präsentieren. Das ist nichts Anrüchiges, denn Wahlkampf ist etwas, das in einer Demokratie dazugehört und eine gute Sache ist.

16vor: Derzeit bestimmt der NSU-Prozess ganz wesentlich die Schlagzeilen. Angesichts zahlreicher Pannen und Versäumnisse im Vorfeld – welche Möglichkeiten sehen Sie als Verfassungsrechtler, um verloren gegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat wieder zurückzugewinnen?

Robbers: Die Ereignisse um diese Verbrecherbande und die Versuche, das rechtlich in den Griff zu bekommen, bedrücken mich wirklich. Man muss jetzt, glaube ich, auch erst einmal tief Luft holen und schauen, was kann und muss man besser machen. Da arbeiten viele verantwortlich denkende und kluge Menschen dran. Das fängt an beim Einsatz von Polizei und Sicherheitsbehörden. Die gerichtliche Aufarbeitung, die im Moment im Vordergrund steht, sollte für künftige Prozesse – beim jetzigen kann man da nicht mehr viel machen – offener sein im Blick auf die Öffentlichkeitsbedürfnisse. Größere Räume für Beobachter zu schaffen ist das eine. Richter, Staatsanwälte, die Beteiligten müssen klarer geschult werden für das Auftreten in der Öffentlichkeit. Das geht ganz konkret bis zu meiner eigenen Tätigkeit, dass ich mir überlege, wie ich Studierende auf den Bereich „Umgang mit der Öffentlichkeit“ vorbereiten kann. Nicht, um diese zu handhaben, sondern um zu sehen, welche außerordentlich wichtige Funktion die Öffentlichkeit in Prozessen hat. Durchaus auch zum Schutz von Angeklagten, aber der Bereich von Öffentlichkeit, in der Gerichte stehen, muss noch stärker beackert werden.

16vor: Der Kirchentag begann am Tag der Arbeit. Gewerkschaften kritisieren regelmäßig das kirchliche Arbeitsrecht – Stichworte Mitarbeitervertretung statt Betriebsrat sowie Streikverbot. Ist das noch zeitgemäß oder sollten diese Bestimmungen gelockert werden?

Robbers: Es gab eine Diskussionsrunde mit dem Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske und mir. Das war eine der streitigsten Veranstaltungen des ganzen Kirchentags. Ich stehe anders als Herr Bsirske auf dem Standpunkt, dass das geltende kirchliche Arbeitsrecht, der Dritte Weg, als Teil des gesamten Spektrums von Arbeitsrecht gut und richtig ist. Man kann und soll das innerkirchlich weiterentwickeln und fragen, ob es Bereiche gibt, in denen man sich verändern kann, aber der Grundsatz des Dritten Weges ist gut. Aus zwei Gründen: Einmal ist es Ausdruck von verfassungsrechtlich gewährleisteter Religionsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften. Es ist aber auch jenseits verfassungsrechtlicher Bestimmungen unverzichtbar, solche Räume zu haben, in denen Kirche und kirchliche Einrichtungen anders sein können als die Gesellschaft im Übrigen. Eine Gesellschaft, die darauf verzichten wollte, Räume zu haben, in denen etwas anders geschieht, verarmt und beraubt sich der Chancen, Experimente zu machen, etwas anderes zu tun, was auch mal schiefgehen kann. Aber immer alles gleich zu machen, würde in die Irre führen. Deshalb plädiere ich sehr dafür, dass es ein religiös geprägtes Arbeitsrecht gibt. Davon sind ja beispielsweise auch die jüdischen Gemeinschaften betroffen, die auch ihre eigenen Überzeugungen leben können müssen. Es ist um der Gesellschaften selbst willen wichtig, dass es so etwas gibt.

16vor: Das kirchliche Arbeitsrecht setzt aber zum Teil strenge moralische Ansprüche voraus, die selbst an Mitarbeiter gestellt werden, die mit Verkündigung nicht viel am Hut haben.

Robbers: Es gibt Bereiche im kirchlichen Arbeitsrecht, wo man auch immer wieder selbstkritisch sein muss. Aber so wie Sie es andeuten, dass man Unterschiede machen soll von Nähe oder Entfernung zum Verkündigungsauftrag, das tun beide großen Kirchen ja durchaus in den innerkirchlichen Bestimmungen. Da gibt es Graduierungen. Das muss aber den Kirchen und Religionsgemeinschaften selbst überlassen bleiben. Keiner, der nicht den jeweiligen Glauben teilt, und der Staat schon gar nicht, kann sagen, was Nähe zur Verkündigung heißt. Beispielsweise hat mir ein amerikanischer Freund berichtet, dass er sich als Schüler von seiner Kirche entfremdet hatte. Aber die Überzeugung, dass er dort doch richtig aufgehoben ist, wurde ganz wesentlich geprägt durch Gespräche mit dem Koch in der Schule – nicht mit irgendeinem Priester, sondern dem Koch. Ich wäre sehr vorsichtig in diesem Bereich. Wenn man etwa sagt, dass die Putzfrau nichts mit Verkündigung zu tun hätte, dann kommen da schnell Bewertungen und Graduierungen herein, die mit meinem Religionsverständnis nicht in Einklang zu bringen sind.

16vor: Jetzt könnte aber der Koch oder die Putzfrau durchaus eine große Nähe zum Glauben haben. Doch wenn Sie beispielsweise in einer katholischen Einrichtung arbeiten, sich scheiden lassen und wieder heiraten, wäre das unter Umständen ein Kündigungsgrund. Könnten Sie sich bei solchen Härtefällen vorstellen, dass man Veränderungen durchsetzt?

Robbers: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich versuche, ein protestantischer Christ zu sein und habe mit wiederverheirateten Geschiedenen gar kein Problem. Das ist natürlich im katholischen Bereich anders, und ich sehe das Problem. Es gibt Stellschrauben im geltenden innerkirchlichen Recht, bei denen man immer wieder fragen muss: Ist das richtig? Das muss aber die jeweilige Religionsgemeinschaft sich selbst fragen. Ich kann als Außenstehender meine persönliche Sicht deutlich machen, aber das muss aus den Glaubensüberzeugungen der jeweiligen Religionsgemeinschaft entfaltet werden. Da kann man hoffen, dass diese Gemeinschaften meine Überzeugungen teilen, aber wenn sie das nicht tun, ist das ihr gutes Recht. Dann muss man aber auch danach fragen, ob es nicht konkrete Rettungsanker für die konkret Betroffenen geben kann, die man ja nicht allein lassen will, die auch nicht allein bleiben dürfen. Hier gibt es eine staatliche Verantwortung, für Arbeitsplätze zu sorgen, damit Menschen, die in kirchlichen Krankenhäusern nicht mehr arbeiten dürfen, nicht 400 Kilometer weit umziehen müssen, um neue Arbeit zu finden. Da wird ein Stück weit zu viel verlangt. Hier muss der Staat Alternativen schaffen.

Das Gespräch mit Professor Gerhard Robbers führte Michael Merten.

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