„Wir brauchen qualifizierte Kräfte“

In den Fünfzigern, so heißt es, habe der Automobilhersteller Ford in Trier ein Werk errichten wollen. Tatsächlich oder vermeintlich Eingeweihte erzählen, das Vorhaben sei an der damaligen Stadtspitze gescheitert. Fakt ist: Ford produziert heute in Saarlouis, und Trier wird vor allem als Behörden- und Handelsstadt wahrgenommen, weil größere Industriebetriebe rar gesät sind. Unterschätzen dürfe man diesen Sektor dennoch nicht, warnten am Mittwoch Vertreter der Industrie- und Handelskammer. Schließlich arbeiten innerhalb der Stadtgrenzen in fast 60 Industriebetrieben mehr als 6.500 Menschen. Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin mahnte die IHK-Spitze SPD und Union, die Interessen der Unternehmer nicht aus dem Blick zu verlieren. Die fürchten sich laut einer Umfrage der Kammer vor allem vor weiter steigenden Energiekosten und einer Verschärfung des Fachkräftemangels. 

TRIER. 2071 wird es sich zeigen, dann wird feststehen, wer die Wette gewonnen hat. Als 1971 der Grundstein für ein neues Werk im Gewerbegebiet „Eurener Flur“ gelegt wurde, machte der damalige Firmeninhaber Reynolds ein Aufsehen erregendes Versprechen: „Auch in 100 Jahren werden in Trier noch Zigaretten produziert“. Die Stadt hielt dagegen, woraufhin die Wettpartner bei der Sparkasse einen hochverzinzten Einsatz von je 1.000 Deutsche Mark leisteten. Bliebe Reynolds-Nachfolger JTI dem Standort treu, würden in besagtem Jahr 2071 immerhin rund 1,4 Millionen Euro an den Sozialfonds des Werks fließen.

Für ein Unternehmen wie Japan Tobacco International ein bescheidener Betrag. Triers größter privater Arbeitgeber im produzierenden Gewerbe hat im Moment ohnehin andere Sorgen – zum Beispiel die Vorgabe aus Brüssel, dass auf den Schachteln von Tabakprodukten schon bald Bilder von toten Säuglingen und geteerten Lungen prangen sollen. „Das ist nicht ganz ohne Bedeutung für unseren Standort“, gab Dr. Jan Glockauer am Mittwoch in einem Pressegespräch zu bedenken. Denn die Fotos führten über kurz oder lang dazu, dass eine Schachtel Camel, die von JTI produziert wird, nicht von einer Packung Marlboro unterschieden werden könne. „Die Marke ist dann nicht mehr wirklich wahrnehmbar“, fürchtet der IHK-Hauptgeschäftsführer. Und das sei nur ein Beispiel für „ein echtes Thema, das aus Europa zu uns herüberschwappt“, so Glockauer, der denn auch gleich noch ein zweites lieferte: Pläne der EU-Kommission, eine bestimmte Sorte von Plastiktüten zu verbieten. Das Vorhaben finde er zwar „prinzipiell richtig“, doch treffe es mit der Morbacher Firma Papier Mettler auch ein Unternehmen aus der Region, das sich noch dazu auf die Herstellung von Tüten aus Recycling-Material spezialisiert habe.

Gerade einmal 25 der 316 Industriebetriebe in der Region Trier beschäftigen mehr als 500 Mitarbeiter, nicht einmal zehn Unternehmen des produzierenden Gewerbes kommen auf eine Belegschaft von mehr als 1.500 Arbeitnehmern. Auf den ersten Blick scheint der Sektor eine eher geringe Rolle für die Wirtschaftskraft des ehemaligen Regierungsbezirks zu spielen, doch dieser Eindruck trügt. Denn immerhin arbeiten knapp 36.000 Menschen in Industriebetrieben, insgesamt kommt der Sektor in der Stadt und den vier umliegenden Landkreisen auf einen Umsatz von mehr als 9 Milliarden Euro. „Wir haben eine gesunde mittelständische Struktur mit relativ krisenfesten Schwerpunkten“, erläutert Dr. Matthias Schmitt, IHK-Geschäftsführer für Standortpolitik und Unternehmensförderung. Dass etwa die Nahrungs-, Genussmittel- und Tabakindustrie hier einen besonderen Stellenwert habe, habe sich auch in der schweren Wirtschaftskrise 2008 bis 2009 gezeigt, und zwar im Positiven. Denn während der Umsatz binnen eines Jahres um eine Milliarde zurückging, sank die Beschäftigtenzahl nur um rund 500. „Das zeigt aber auch, dass unsere Unternehmen kein ‚hire and fire‘ betreiben, sondern sich durch eine hohe Betriebstreue auszeichnen“, ist Schmitt überzeugt. Spürbar Potenzial sieht der Geschäftsführer in punkto Forschung und Entwicklung – „hier sind wir noch relativ schwach besetzt“.  Im Vergleich mit anderen Regionen eher schwach ist auch die durchschnittliche Exportquote der Unternehmen – und das trotz Grenzlage.

Dies- und jenseits der Grenze laufen derzeit Koalitionsverhandlungen. Während man bei der IHK der geplanten Bildung eines Gambia-Bündnisses aus Sozialisten, Grünen und Liberalen in Luxemburg wohl relativ gelassen entgegensieht, liegt das größere Augenmerk auf den Geschehnissen in Berlin. Es seien vor allem drei Themen, welche die Kammer beschäftigten, so Glockauer, der den Mindestlohn, die sachgrundlose Befristung und die Leiharbeit nannte. Er wolle das im Einzelnen zwar „nicht bewerten“, erklärte der IHK-Chef, vielleicht sitze man in einem Jahr ja wieder zusammen und komme zu dem Ergebnis, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro „gar nicht so schlimm ist“. Doch gleich darauf machte er dann doch deutlich, was er von den diskutierten Änderungen bei den drei genannten Themen hält: „Es kann und wird sich in jedem Fall nicht positiv auf die Unternehmen auswirken“, ist er schon jetzt überzeugt. Und Kollege Schmitt warnte: „Die Energiewende droht die Industrieunternehmen zu überfordern, und auch im Infrastrukturbereich zehren wir von der Substanz. Hier muss umgesteuert werden, sonst gefährden wir ohne Not unseren Industriestandort“. Eine weitere Herausforderung für die Industriebetriebe seien fehlende Fachkräfte, so Schmitt, der zugleich erklärte: „Wir brauchen keine Akademikerquoten von 70 Prozent! Was die Unternehmen hier vor allem brauchen, sind ausgebildete und weiterqualifizierte Kräfte“.

Was die Region aus Sicht der IHK bräuchte, sind die Nord- und Westumfahrung für Trier. Doch Glockauer ließ erkennen, dass er nach der Entscheidung der Landesregierung, beide Projekte nicht für den nächsten Bundesverkehrswegeplan anzumelden, keine großen Hoffnungen mehr hegt, dass die beiden Straßen absehbar realisiert werden.

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