„Und was er übrig gelassen hat, durfte sie essen“

GuptkaObwohl Gauri Shankar Gupta seit einem halben Jahrhundert in Deutschland lebt, trägt er die Liebe zu Indien in seinem Herzen. Im Gespräch mit 16vor wirft er jedoch einen durchweg kritischen Blick auf sein einstiges Heimatland: Gupta spricht von Vergewaltigung, Korruption, Armut. Der in der Nähe von Kalkutta aufgewachsene Rentner befasst sich intensiv mit dem Land, neben seinen regelmäßigen Besuchen interessiert ihn vor allem die Berichterstattung über Indien. Er ist schockiert über die Verhältnisse zwischen Frauen und Männern, wie sie in der südasiatischen Republik in Folge tradierter patriarchalischer Strukturen nach wie vor bestehen. Deshalb möchte der 71-Jährige nun in Trier eine Gruppe gründen, die sich für Frauenrechte in Indien einsetzt. Es gehe ihm dabei nicht um Geld, versichert Gupta, sondern um geistige Unterstützung und die Zusammenarbeit mit NGOs vor Ort.

16vor: Herr Gupta, warum ist es wichtig, dass wir uns in Deutschland für die Frauenrechte in Indien einsetzen?

Gauri Shankar Gupta: In Indien finden viele Vergewaltigungen statt. Indien ist ein Land voller Widersprüche – die eine Seite ist ein Land mit Gewaltlosigkeit, der Lehre von Gandhi. Und auf der anderen Seite ist so viel Gewalt. Wenn ich nach Indien gehe, dann bin ich nicht Tourist. Ich gucke, wo was passiert.

16vor: Wie haben Sie das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in Indien kennengelernt?

Gupta: Meine Schwestern durften nicht studieren, sie wurden schnell alle verheiratet. Arrangierte Hochzeiten. Mein Vater musste sie verheiraten, er hatte kein Geld, konnte keine Mitgift mitgeben. Da hat er viel geweint – das kann ich nicht vergessen. Sie wollten alle etwas studieren, aber in Indien ist es ja Tradition – eine grausame Tradition – dass auf die Frauen kein Wert gelegt wird. 1,8 Millionen weibliche Föten werden jährlich abgetrieben. Kurz vor dem Kinderkriegen wird untersucht, ob es ein Sohn oder eine Tochter wird. Wenn es eine Tochter ist, wird meistens abgetrieben. Und meine Schwestern, die all das miterlebt haben, haben sich auch so verhalten. Sie haben ihre Söhne bevorzugt.

16vor: Wie kam Ihnen dann der Gedanke, dass der Umgang mit Frauen, so wie er Ihnen vorgelebt wurde, nicht richtig ist?

Gupta: Seit meiner Jugend lese ich sehr viel und habe auch ausländische Literatur gelesen. In Deutschland, wo ich seit 50 Jahren lebe, sehe ich täglich den Unterschied zu Indien. Es ist auch nicht so, dass in Deutschland nichts passiert. Hier finden auch Vergewaltigungen statt. Hier findet alle 8 Stunden eine Vergewaltigung statt, glaube ich.

Es gibt auch Göttinnen in Indien. Verschiedene: Lakshmi, Durga … Als Kind habe ich mich gefragt: Wie kann es auf der einen Seite sein, dass die Inder die Göttinnen verehren – und auf der anderen Seite wird auf die Frauen kein Wert gelegt?

16vor: Im Dezember 2012 hat in Delhi die Gruppenvergewaltigung einer 23-jährigen Studentin, die anschließend ihren Verletzungen erlag, für Aufruhr gesorgt. Diese Geschichte ist durch die internationale Presse gegangen und war der Auslöser für Proteste und Aufmärsche in Indien, bei denen Frauen und Männer auf die Straßen gegangen sind, um für Frauenrechte und gegen Gewalt zu protestieren. Ist in diesen Reaktionen nicht schon ein guter Ansatz zu erkennen?

Gupta: Das ist richtig. Das war das erste Mal. Aber zum Beispiel Delhi, die Hauptstadt, ist die größte Vergewaltigungsstadt in Indien. Obwohl da die Regierung sitzt, die Polizei sitzt. Es war früher so und es ist heute so: Wenn eine Frau vergewaltigt wird und zur Polizei geht, dann vergewaltigt die Polizei sie nochmal. Auch studierte Frauen, Frauen, die Medizin studiert haben, werden zu Hause tyrannisiert, müssen für Sex herhalten. Der Mann ist der Gott in Indien. Meine Schwestern siezen ihre Männer, meine Oma durfte nicht essen, bis mein Opa gegessen hat. Und was er übrig gelassen hat, davon durfte sie essen. Das habe ich selbst gesehen und gedacht: Warum macht sie das?

Hier und da hat es in meiner Familie auch „Revolutionen“ gegeben, sozusagen. Eine Tante von mir ist Professorin geworden. Sie hat keine Kinder gehabt und ihr Mann hat sie unterstützt. Sie war die erste Frau in Indien, die für Frauen ein College gegründet hat.

16vor: Weltweit finden zur Zeit Aufstände und Revolutionen statt – in der Türkei, Brasilien, Ägypten. Unter den Demonstrierenden finden sich viele junge Menschen, die Veränderungen wollen. Auch in Indien gibt es eine junge Generation, die nicht mehr nur den Traditionen ihrer Eltern und Großeltern folgt, sondern ihre Liebesbeziehungen auslebt und sich gegen die arrangierte Heirat wehrt. Kann diese Generation den Umschwung bringen?

Gupta: Was Sie sagen, ist vollkommen richtig. Zum Beispiel meine drei Nichten, die haben nicht innerhalb der Kaste geheiratet. Sie haben Liebesheirat gemacht. Ich war verwundert, dass die Familie das akzeptiert hat. Die nächste Generation ist etwas bewusster, sie wollen studieren. Ich habe gestern mit meiner Enkelin in Indien telefoniert und sie sagte: ‚Ich möchte Ingenieur werden, Opa.‘ Da habe ich gesagt: ‚Wunderbar, mach das! Und wenn es irgendwie geht, werde ich dich unterstützen.‘ Aber diese Entwicklung ist nur in großen Städten. In Indien ist eine große Armut, sehr große Armut.

16vor: Sie sagen, ‚die nächste Generation ist etwas bewusster‘. Liegt es am fehlenden Bewusstsein, dass das Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen so ungleich verteilt ist?

Gupta: Indische Frauen haben oft kein Bewusstsein, weil sie von Kindheit an so unterdrückt werden, dass sie den Mund nicht aufmachen. In allen Bundesstaaten in Indien finden Vergewaltigungen statt. Alle 20 Minuten wird laut Statistik eine Frau vergewaltigt. Die Regierung hat Gesetze erlassen, aber helfen tut das nicht. Da hilft es nur, dass die Frauen bewusster werden, Bildung verlangen.

16vor: Ist es nicht sehr verallgemeinernd zu sagen, die Frauen hätten kein Bewusstsein? Mittellos und ohne vertrauenswürdige Ansprechpartner finden sich viele Frauen in Hilflosigkeit und Passivität wieder. Aber ist dann nicht der eigentliche Grund der Notlage vielmehr im durch die Korruption belasteten System zu suchen als im Mangel an Bewusstsein?

Gupta: Was ich meine, ist Selbstbewusstsein. Wenn ich in Armut lebe und auf der Straße schlafe, dann habe ich kein Selbstbewusstsein. Was sie aber brauchen, ist Selbstbewusstsein!

16vor: Wie glauben Sie, dass Sie die Frauen in Indien unterstützen können?

Gupta: Ich bin auf der Suche, dass sich eine Interessengruppe gründet, die etwas für die Frauenermächtigung tut. Nicht finanziell, sondern das Selbstbewusstsein der Frauen stärken, indem wir sagen: ‚Hey, guckt mal, wir sind auch eine Gruppe in Deutschland! Und wir möchten euch unterstützen!‘ Eine Kooperation aufbauen mit NGOs in Indien. Vielleicht kann man einigen Mädchen, die nicht in die Schule gehen können, von hier aus helfen. Ich kenne einige Mädchen, die dürfen nicht in die Schule gehen, die müssen Geld verdienen und arbeiten. In Indien wird die Regierung immer wach, wenn etwas aus dem Ausland kommt.

Wenn Sie Gauri Shankar Gupta unterstützen möchten, sich für die Frauen in Indien einzusetzen oder mehr Informationen haben möchten, können Sie ihn kontaktieren. Telefonnummer: 06501-4827 E-Mailadresse: gupta@t-online.de

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.