„Hört nicht auf die Zyniker, kämpft weiter!“
Rund 200 Menschen haben am Samstag in Trier friedlich „Für grenzenlose Menschenrechte – Free Movement and the Right to Stay for Everybody“ demonstriert, so der Titel der gut dreistündigen Veranstaltung. Mehrere Redner kritisierten unter anderem Restriktionen für Flüchtlinge und verlangten beispielsweise eine Abschaffung der sogenannten Residenzpflicht. Der Protestzug führte von der zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) in der Dasbachstraße bis zum Hauptmarkt. Etwa 50 derzeit in Trier-Nord untergebrachte Flüchtlinge protestierten mit. Dass die rechtsextreme NPD eine Genehmigung für eine kurzfristig angemeldete Kundgebung erhalten hatte und sich beide Demonstrationen an der Porta Nigra bis auf wenige Meter nahe kamen, sorgte bei Vertretern des Multikulturellen Zentrums für erheblichen Unmut.
TRIER. Fabian Jellonnek ist die Aufregung sichtlich anzumerken, doch auch mit seiner Wut hält er nicht hinterm Berg. Vor der Porta Nigra ergreift der Aktivist das Wort, seine Stimme hallt jetzt über den Platz, überschlägt sich beinahe. „So tief wie ihr werden wir nie sinken“, ruft er ins Mikrofon und erntet frenetischen Beifall. „Nazis raus!“, skandiert Jellonnek und die Masse stimmt im Chor mit ein. Der Adressat seiner Ansage steht nur einen Steinwurf von ihm entfernt, eingekesselt von einem halben Dutzend Mannschaftswagen der Polizei samt Einsatzkräften. Steine fliegen glücklicherweise keine, Ausschreitungen bleiben aus. Mag die Stimmung auch kurzzeitig aufgeheizt sein, die Kundgebung verläuft friedlich.
Nur wenige Minuten bevor die Demonstration für Flüchtlinge und grenzenlose Menschenrechte von der Paulinstraße aus kommend auf den Porta-Nigra-Platz einbog, hatte die Polizei eine überschaubare Gruppe rechter Gegendemonstranten vom Simeonstiftplatz zur Commerzbank eskortiert. Das war auf Wunsch des NPD-Kreisvorsitzenden geschehen und führte dazu, dass beide Gruppen am Ende nur noch wenige Meter voneinander getrennt waren. Für Patrick Zimmer vom Multikulturellen Zentrum ein Vorgang, den er nicht nachvollziehen kann. Dass die Stadt eine kurzfristig angemeldete Gegendemonstration genehmigt und obendrein zugelassen habe, dass die Rechten ebenfalls im Umfeld der Porta Nigra auftreten durften, hätte aus seiner Sicht nicht passieren dürfen; schließlich müssten vor allem Flüchtlinge das massive Polizeiaufgebot und die Präsenz von Rechtsextremisten als bedrohlich empfinden, so Zimmer.
Denn das unterschied diese von vergleichbaren Veranstaltungen – auch zahlreiche Flüchtlinge beteiligten sich an dem Protestzug durch die Innenstadt. Schon der Auftakt auf dem Gelände der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Trier-Nord hatte denn auch mehr als nur Symbolcharakter. Wo sonst nur einige wenige Aktivisten sowie Behördenmitarbeiter und hin und wieder auch mal ein Medienvertreter vorbeischauen, waren am Samstagnachmittag annähernd 150 in der Mehrzahl junge Menschen gekommen, um ihre Solidarität zu bekunden. Rund 50 Flüchtlinge gesellten sich schließlich unter die Demonstranten, und damit möglichst viele auch verstanden, worum es den Veranstaltern ging, wurden die Reden allesamt auch in englischer Sprache gehalten.
So auch die von Lisa-Maria Schneekloth. Sie forderte, die Reise- und Niederlassungsfreiheit für Flüchtlinge aufzuheben und beklagte die „soziale Ausgrenzung“ der betroffenen Menschen. „Wir stehen auf gegen das deutsche Lagersystem“, kritisierte die Aktivistin des Multikulturellen Zentrums Einrichtungen wie die AfA. Schneekloth weiter: „Wir fordern die Abschaffung struktureller Umstände von Unterdrückung, Ausbeutung, Rassismus und institutionalisierter Gewalt“. Gesellschaft und Politik seien gefordert, Flüchtlingen über Deutschkurse und andere Angebote Möglichkeiten zu eröffnen, in diesem Land wirklich Fuß zu fassen.
Diese Forderung unterstrich auch Uli Tomaschowski, der das Projekt „Teachers on the road“ vorstellte. „Wir bieten Deutschkurse für Flüchtlinge an, die isoliert in Flüchtlingslagern oder im Hinterland leben“, berichtete er. Ziel sei es, den Menschen „soziale, kulturelle und politische Teilhabe zu ermöglichen“. Aber, so Tomaschowski weiter, man erwarte dann auch von jedem Teilnehmer, dass er sich später selbst im Projekt mit einbringe, Flüchtlinge so also auch von den Erfahrungen anderer Flüchtlinge profitieren könnten. Der Lehrer sprach sich zugleich dafür aus, dass die Betroffenen hierzulande bei der Verteilung auf die Kommunen nicht mehr in entlegenen Dörfern ohne Nahverkehrsanschluss untergebracht werden dürften. Denn dort seien soziale und gesellschaftliche Isolation programmiert, auch weil es Angebote wie Deutschkurse gar nicht gebe. Ein Flüchtling aus Somalia beklagte, er und seine Familie würden immerzu vertröstet und hingehalten. Man benötige einen Zugang zu Bildung, verlangte er. „Wir wollen so untergebracht werden, dass wir uns am sozialen Leben beteiligen können“.
Geht es nach Fabian Jellonnek und den meisten Demonstranten, dann fallen bald weltweit die Grenzen. „In der Welt unserer Vorstellung kann jeder dort arbeiten, wo er will.“ Im Übrigen könne es nicht sein, dass T-Shirts über den gesamten Globus transportiert und Konsumenten im Norden weiter von menschenunwürdigen Produktionsbedingungen in Ländern wie Bangladesh profitieren könnten, die Menschen aus diesen Ländern aber abgeschoben würden. „Die Armut kommt nicht von ungefähr, sie wurde von deutschen Discountern bestellt“, so Jellonnek, der forderte: „Hört nicht auf die Zyniker, kämpft weiter!“.
von Marcus Stölb