Hindernisparcours zur Barrierefreiheit

Bahn„Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen.“ Obwohl es zum Zeitpunkt, als Nietzsche diese Aussage tätigte, bereits Rollstühle gab, kann davon ausgegangen werden, dass er eher unbewusst eine gute Beschreibung für den Weg in die Barrierefreiheit geliefert hat. Der Pfad hin zur gleichberechtigten und vor allem unabhängigen Teilhabe von Menschen mit körperlichen Einschränkungen am sozialen Leben ist nämlich steinig und oftmals mehr mit Versprechen gepflastert, als von Rampen gesäumt. Auf welcher Stufe der Barrierefreiheit kann der öffentliche Personennahverkehr sowie der Stand der sanitären Einrichtungen in Trier verortet werden und wie zugänglich sind beispielsweise die Ansprechpartner der deutschen Bahn? 16vor-Mitarbeiterin Anne Schaaf begibt sich auf einen Hindernisparcours.

TRIER. Anne Chérel ist 35 Jahre alt, lebt seit 13 Jahren in Trier und arbeitet derzeit in Luxemburg-Stadt. Die junge Pädagogin nutzt, wie viele andere Einwohner der Stadt, den öffentlichen Personennahverkehr, um zur Arbeit zu gelangen. Sie verlässt jeden Morgen um kurz nach 8 ihre Wohnung im Schammatdorf und nimmt wenige Minuten später den Bus an der Haltestelle „Im Schammat“. Sie steigt jedoch nicht schon einige hundert Meter weiter wieder aus, um den Zug am nahe gelegenen Südbahnhof zu nehmen. Würde sie dort nämlich an den Bahnsteig gelangen wollen, müsste sie entweder des Fliegens mächtig sein oder ihr Assistenzhund Speedy bräuchte überirdische Kräfte. Da jedoch beides eher unwahrscheinlich ist und man mit einem fahrbaren Untersatz namens Rollstuhl die mehr als 30 Stufen hinauf zum Gleis nicht überwinden kann, ist hier erstmal Ende-Gelände.

Deswegen geht die Fahrt vorerst weiter bis zum Hauptbahnhof. Bestünde hier das Bedürfnis, sich noch mal kurz frisch zu machen, wäre dies ebenso leicht, wie über das Wasser zu gehen oder eben zu rollen. Barrierefreie sanitäre Anlagen gibt es hier nämlich nicht. In diesem Fall darf man wohl von der meist diskutierten, allem voran aber nicht existenten Toilette Triers sprechen, da, wie Nancy Poser vom Behindertenbeirat Trier bestätigt, schon vor mehr als 14 Jahren das damalige Behindertenforum auf die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung aufmerksam gemacht habe. Die Planungen haben bereits mehr Form angenommen und es wurden auch Zusicherungen ausgesprochen,  sodass der Weg zum sanitären Glück nun fast als bestritten gelten kann. Dies hilft den Trierer Einwohnern sowie auch Touristen mit bestimmten Einschränkungen jedoch recht wenig, wenn dieser eine Moment, den man doch gerne autonom und ohne weitere Komplikationen wahrnehmen möchte, gekommen ist.

Der nächste Schritt kommt dann jedoch wirklich einem Aufstieg in das Himmelreich nahe, denn der Hauptbahnhof verfügt über eine Hebebühne, mit der man sein Zugabteil problemlos erreichen kann. Einige Minuten später hält der Zug, in dem Anne Chérel sitzt, an jenem Bahnhof, an dem sie fast eine Stunde zuvor vorbeigefahren ist.

Einmaliger Ausflug?

Vor etwa einem Jahr wagte Anne Chérel eine kurze Reise ins benachbarte Saarland. Wie gewohnt genoss sie während fast einer Stunde die schöne Aussicht auf die Trierer Innenstadt und die diversen, in ihr zirkulierenden Kraftfahrzeuge, bis sie am Hauptbahnhof in den Zug steigen konnte. Nach einer 47-minütigen Fahrt durch weniger Berg, aber dafür mehr Tal, erreichte sie dann das beschauliche Perl, in dem sie zu einem Vorstellungsgespräch antreten wollte. Als sie jedoch das Gefährt mit dem viel versprechenden Namen „Bombardier Talent 2“ verlassen wollte, erlangte sie mehr oder weniger amüsanterweise jene überirdischen Kräfte, die ihr zuvor am Trierer Südbahnhof noch versagt geblieben waren. Sie schwebte. Auf einer Plattform. Über dem Bahnsteig. Die Tatsache, dass Frau Chérel vor ihrer Anreise von der 3-S-Zentrale der Deutschen Bahn in Saarbrücken zugesichert worden war, dass es sich bei diesem Bahnhof (oder, wie uns von der Pressestelle der DB ergänzend bestätigt wurde, beim Bahnsteig 1) um eine barrierefreie Örtlichkeit handele, beflügelte sie leider nicht genug, um den Bahnsteig allein erreichen zu können.

Diesen Zugang als barrierefrei einzustufen, hält die junge Zugreisende jedoch für gewagt – „wenn nicht gar falsch, da er nicht ohne Strapazen wie Steigung, Neigung, kein gefestigter Bodenbelag zu bewerkstelligen ist.“ Anne Chérel betont dies und bezieht sich hierbei auf das sogenannte Behindertengleichstellunggesetz und dessen Paragraphen 4, laut dem „bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel (…)“ barrierefrei sind, „wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ Auf Nachfrage von 16vor gibt die Pressestelle der Deutschen Bahn sogar selbst an, dass eine Einstiegs- und dementsprechend natürlich auch Ausstiegshilfe in Perl jedoch nicht möglich sei, da die Bahnsteighöhe nur 27 Zentimeter betrage.

Ist Barrierefreit eine reine Interpretationssache?

Im Rahmen dieser doch recht verwirrenden Angaben könnte man dazu geneigt sein, sich zu fragen, ob es bisher unbekannte Zwischenstufen von „Barrierefreiheit“ gibt, die nur noch niemand kennt. Da Zugreisende wie Frau Chérel jedoch nicht nur wegen der Eisenbahnromantik derartige Verkehrsmittel nutzen und vor allem nicht bis ans Ende der Welt fahren wollen, wenn sie nicht aussteigen können, wäre es wohl doch hilfreich, bei diesen wichtigen Informationen nicht zu Relativierungen zu neigen. Anne Chérel ist mittlerweile doch wieder in Trier angekommen, da der Zug, den sie bei ihrer Rückfahrt bestieg, im Gegensatz zum Talent 2 über einen Hublift verfügte. Aus dem Job wird wohl trotzdem nichts, da „so ein bisschen barrierefrei“ nicht reicht, um autonom und ohne weitere Schwierigkeiten zum Arbeitsplatz zu gelangen.

Nancy Poser schildert ähnlich problematische Interpretationsspielräume in Bezug auf die „öffentlichen barrierefreien sanitären Anlagen“ in Trier. Auf der Internetseite der Stadt sind derzeit insgesamt fünf an der Zahl vermerkt, welche, wie auch die weiteren stillen Örtlichkeiten, in der Mehrzahl an Öffnungszeiten gebunden sind oder nur mit einem sogenannten Euro-Behinderten-Schlüssel benutzt werden können. Dieser kann in Deutschland auf Anfrage, nachdem man einen Nachweis für die eigene Behinderung vorgelegt hat, erworben werden, ist jedoch beispielsweise körperlich eingeschränkten Touristen nicht zu eigen und bringt zudem auch einen Zeitaufwand mit sich, der in manchen Momenten schlichtweg unpraktisch ist. Ein ironisches Highlight stellt hierbei nach wie vor die unterirdische Toilette des Hauptmarkts dar, bei der sich Rollstuhlfahrer eine abenteuerliche Stufenfahrt leisten oder sehbehinderte Menschen auch wahlweise das Genick brechen können.

Anne Chérel und Nancy Poser sind sich in jenem Punkt einig, dass sich im vergangenen Jahrzehnt vor allem in Bezug auf den barrierefreien Personentransport in Trier doch sehr viel getan hat. Neben der Tatsache, dass man aufgrund des vorhanden Hublifts am Trierer Hauptbahnhof die Zugabteile problemlos erreichen könne, seien auch große Fortschritte bei der Erschließung des innerstädtischen Bus-Netzes gemacht worden. Zum anderen sei es auch löblich, dass mittlerweile alle Stadtbusse mit Rampen ausgestattet seien. Zudem habe sich die Zahl der Bordsteine mit genormter und differenzierter und daher für eingeschränkte Personen leichter zu bestreitender Höhe gesteigert.

Größere Schwierigkeiten bestünden leider immer noch bei Anfahrten von Dörfern und auch Städten im Trierer Umkreis, da hierbei unter anderem Reisebusse verwendet würden, bei denen wiederum übernatürliche Kräfte von Nöten wären, um sie überhaupt besteigen zu können. Nancy Poser spricht in diesen Kontext davon, dass zwar bei den betreffenden Stellen die Kenntnis der Sachlage und Bestimmungen vorherrsche, es bedauerlicherweise jedoch oftmals an dem nicht zu unterschätzenden Bewusstsein für die Problematik fehle.

Die beiden jungen Frauen engagieren sich in ihren jeweiligen Bereichen dafür, dass sich hieran etwas ändert, und entscheiden sich dementsprechend dafür, nicht nur selbst in manchen Situationen eine Hilfestellung zu erlangen, sondern bieten diese auch selbst Menschen an, welche vielleicht nicht an physische, so doch an informationstechnische Schranken gebunden sind. Anne Chérel tut dies bei der inklusionsorientierten Tanzgruppe BewegGrund e.V., Frau Poser kümmert sich um die Internetpräsenz des Behindertenbeirats, auf der unter anderem nicht nur Kritik, sondern auch Lob in der äußerst interessanten Kategorie „Top oder Flop“ ausgeteilt wird. Gerade hier erweist sich schnell, dass die Stufen zur Barrierefreiheit nicht mit Schwierigkeiten für jene körperlich eingeschränkte Personen verbunden sind, die auf sie angewiesen sind, sondern dass auch schon mehr als eine Institution den Tritt verpasst hat und gestolpert ist.

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