Fleisch to go – 24/7

Erhöht die Attraktivität des Stadtteils: der Eurener Wurstautomat (hinten). Foto: Jimi BerlinWer kennt es nicht, dieses Glücksgefühl an einem Sonntagnachmittag, wenn der bis eben noch grau verhangene Himmel aufreißt, die Wolken sich in Lichtgeschwindigkeit verdünnisieren und die Sonne mit einem Male so heiß brennt, dass die Geranien vertrocknen und Melanome schlagartig wuchern. Schon zieht aus Nachbars Garten der Geruch von Benzin und Grillanzünder herüber, freudig erregtes Biergurgeln ertönt und der eigene Kugelgrill wird flugs mit Kohlen gefüllt – da zuckt ein furchtbarer Gedanke wie ein Last-Minute-Treffer durchs gerade erst aufkeimende Happy-Lala-Sommersonntags-Feeling: Du hast nichts zum Grillen eingekauft!

Ein Blick in den Kühlschrank bestätigt die Horrorvision und ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit. Aber halt, nicht verzagen! Denn schließlich gibt es Wurstautomaten. Das reimt sich zwar etwas holprig, ist aber trotzdem so. Mancherorts heißen sie auch Grillfleisch- oder Fleischautomaten. Jede Stadt, die etwas auf sich hält, sogar eine Stadtimitation wie Speicher, hat mittlerweile so ein Ding.

Essen, klar. Berlin sowieso. Arm, aber sexy und nur Currywurst im Kopf. In München kann man Weißwürste aus den Automaten ziehen, in Kaiserslautern wahrscheinlich eine komplette Helmut-Kohl-Gedenk-Schlachtplatte. In Saarbrücken müssen natürlich auch welche stehen, pickepackevoll mit Lyoner. Seit dem Auftauchen der Automaten soll die Zahl der Saarländer, die aufgrund eines Wurstmangels mit Entzugserscheinungen notfallmäßig behandelt werden müssen, vor allen Dingen an Wochenenden erheblich gesunken sein.

Dafür scheint es aber vor den Automaten regelmäßig zu Exzessen, Senfschmierereien und Wurstvergiftungen von Lyonerfundamentalisten zu kommen. Die Saarlänner halt. Eine Gemeinde in Niedersachsen, mit einem Namen wie ein Frosch, der gerade überfahren wird, Jork, brüstet sich mit dem ersten Fleischautomaten der Welt. Seit Mai. Hahahihi. Wahrscheinlich hat man in Jork kein Internet und auch sonst keine Verbindung zur Außenwelt – falls es Jork überhaupt gibt. In Euren, einem kleinen, aber feinen Stadtteil der etwas größeren Stadt Trier, heißt der Wurstautomat übrigens „Automatische Filiale“. Die Fleischerei Schaefer hat den Automaten vor ein paar Monaten aufstellen lassen und das Gerät schlug ein wie eine Arschbombe vom Südbadzehner.

Die beschauliche Vorstadtidylle ist vorbei

Nun ist es, seit es den surrenden Riesenkühlschrank mit Fleisch to go für alle Fälle gibt, vorbei mit der beschaulichen Vorstadtidylle. Doch ich muss zugeben, der Wohnort hat dank des Wurstautomaten mächtig an Ansehen und Attraktivität gewonnen. Auf jeden Fall unter meinen Freunden und Bekannten. „Wie, Wurstautomat? In Euren? Mach kein‘ Scheiß! Ich komm vorbei!“

War in den vergangenen Jahren noch die Rassegeflügelschau im Bürgerhaus die Attraktion des Dorfes – wo man sensationellerweise sogar ein Huhn streicheln durfte, während ein von Glühwein enthemmter Gelegenheitszüchter mit Kettenraucheranorexie schrie: „Fühlen sie mal das Ei! Es ist noch warm! Weil es aus dem Körper kommt!“- so zieht derweil der Wurstautomat konkurrenzlos die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Die Zahl der Besuche meiner Bekannten und Freunde ist gewaltig in die Höhe geschnellt, das Interesse an meiner Person hält sich dabei aber in Grenzen.

Ungefähr genauso ging es in meiner Kindheit Jürgen Mock von nebenan. Solange die Carrera-Bahn im Keller seiner Eltern stand, hingen wir den ganzen Tag bei ihm ab, spendierten Saure Schlangen und Haribo-Colafläschen und vermittelten ihm insgesamt das Gefühl, seine besten Freunde zu sein, nur um eine Runde Carrera fahren zu dürfen. Als der Trafo der Bahn kaputt ging, war es mit den Süßigkeiten vorbei und Freunde hatte Jürgen auch keine mehr.

Katzenbilder auf Facebook waren gestern

„Wo ist das Ding?“, kommen meine Freunde meistens grußlos und schnell zur Sache. Dann erst mal ein Selfie. Auf Facebook müssen sich Katzenbilder demnächst warm anziehen, der Wurstautomat rules!

Von Wurst in Därmen und Dosen bis hin zu Schwenkbraten und Rouladen im Glas reicht das vorschriftsmäßig gekühlte Angebot. Gerne wird zum Einstieg die Frikadelle gezogen und neben dem erstklassigen Geschmack vor allen Dingen in epischer Breite die Idee gelobt, ein Päckchen Senf dazuzulegen. Komisch, wie sich Menschen an Kleinigkeiten ergötzen können.

Außer den normalen Besuchern der „Automatischen Filiale“ wie hungrigen Handwerkern, zufällig vorbeikommenden Passanten, Hausfrauen in Eile, Busfahrern, die immer die Hose hochziehen, wenn sie aussteigen und Polizisten, die cool aussehen wollen, es aber nicht hinkriegen, lassen sich auch auffälligere Kunden beobachten, die in vier Kategorien eingeteilt werden können: „Trier-Land“, dicke Männer in Bundfaltenjeans, Studenten im Pulk und posende Pärchen.

Keine Experimente: Schwenkbraten statt Bärlauchbratwurst

„Trier-Land“ fährt meistens im SUV vor und parkt gerne mal auf dem kompletten Bürgersteig. Warum sich mit der Hälfte zufriedengeben, wenn man alles haben kann? Selbstverständlich bleibt Vati im Wagen sitzen, bei ebenso selbstverständlich laufendem Motor, während Mutti vor dem Automaten rätselt, ob sie das Wagnis auf sich nehmen soll, mal eine Bärlauchbratwurst zu probieren, sich aber dann doch wie immer für den Schwenkbraten in Marinade entscheidet. Meine Güte, kann das Leben spannend sein.

Die Kategorie „Dicke Männer in Bundfaltenjeans“ kommt meist leicht angetütert nach Feierabend vorbei und braucht ein bisschen, um die Bedienungsanleitung des Automaten zu verstehen. Genauer gesagt: ungefähr eine halbe Stunde. Dicke Männer in Bundfalten-Jeans wählen in der Regel Fleischwurst. Das Plastik der Verpackung wird schon im Gehen mit hochkonzentriertem Gesichtsausdruck aufgebissen und die Wurst sogleich auf dem Heimweg verzehrt. Gerne stolpert man währenddessen auch mal auf die Straße, weil man vor lauter Essen und Kauen die Orientierung verliert, und wird fast vom Trier-Land-SUV überfahren. Dann gibt es viel Geschrei.

Studenten im Pulk kommen dagegen zu viert im VW Polo und parken direkt vor dem Automaten. Also direkt. Da passt dann kein Blatt Papier mehr dazwischen, denn Gehen und ähnliche Sportarten betreiben Studenten im Pulk nur im „McFit“. Weil Studenten im Pulk immer auf ihre Smartphones gucken müssen, stolpern sie manchmal direkt in die Scheibe des Wurstautomaten. Großes Gelächter. Dann Selfie und Video. Beides auf Facebook und Youtube hochladen und alle wieder ab in den VW Polo. Manchmal fehlt der, der gegen die Scheibe gerannt ist. Der irrt meistens orientierungslos mit leichter Gehirnerschütterung auf dem Kirchenvorplatz nebenan herum und guckt auf seinem Smartphone, wo er ist und fragt auf WhatsApp, wo die anderen sind.

Posende Pärchen steuern den Wurstautomaten selten zielgerichtet an, sondern entdecken ihn eher zufällig. Dann kichern beide. Sie posiert freiwillig vor dem Automaten, er fotografiert. Dann zwingt sie ihn, ebenfalls vor dem Automaten zu posieren, findet aber die Kamerafunktion des neuen Smartphones nicht. Passanten gucken. Ihm wird es peinlich und er möppert. Streit. Er überlegt sich, ob er die Frikadelle mal probieren sollte, kostet ja nur zwei Euro fuffzig. Ihr fällt ein, dass Frikadellen aus Tieren gemacht werden und sie ja eigentlich am Wochenende mal vegan oder was mit Fisch kochen wollte. Wieder Streit. Schließlich einigen sie sich darauf, an diesem Wochenende auf Fleisch zu verzichten und deshalb im Gasthaus Schütz um die Ecke frittierte Hühnerflügel, kurz Flieten, zu verköstigen. Küsschen.

Vegetarisches Fleisch wie Geflügel oder Fisch findet man selbstverständlich nicht im Wurstautomaten.

Jimi Berlin

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