„Es geht nicht um Sieg oder Niederlage!“

Nach mehreren Anläufen und jahrelanger Debatte hat der Stadtrat am Donnerstagabend die Fortschreibung des städtischen Schulentwicklungskonzepts beschlossen. Erwartungsgemäß fand ein gemeinsamer Änderungsantrag von CDU, SPD, Grünen und FDP eine große Mehrheit. Wurde damit nun eine „größtmögliche Übereinkunft“ (Dorothee Bohr, CDU) erzielt, oder doch eher ein „fauler Kompromiss“ (Tobias Schneider, FDP) gefunden? Die Debatte um die Schulpolitik scheint jedenfalls nicht beendet. So machte OB Klaus Jensen (SPD) deutlich, dass die Verwaltung eine Reihe von Einzelentscheidungen für kaum realisierbar hält – etwa den Aufbau eines Schulzentrums Trier-West. Auch die Grundschule Kürenz, deren Ende nun faktisch beschlossen ist, dürfte weiter für Diskussionen sorgen. FWG-Chef Hermann Kleber prophezeite, am Ende würden auch Schulen geschlossen, „die jetzt glauben, noch einmal davon gekommen zu sein“.

TRIER. Kinder und Eltern, Erzieherinnen und Lehrer drängten sich im Besucherbereich des großen Rathaussaals. Ein weiteres Mal zeigten sie Präsenz. „In Schulkinder sollte man heute investieren, denn davon werden wir morgen profitieren“, stand auf einem Plakat geschrieben, „Schule im Maar? Wunderbar!“ auf einem anderen. Ein „Ja-Wort für den Hort“ wurde gefordert, wobei der Hort von Heiligkreuz gemeint war. Die Besucher der Ratssitzung mussten es beim Hochhalten ihrer Forderungen belassen, so schreibt es die Geschäftsordnung vor. Missfallens- und Beifallsbekundungen müssten unterbleiben, klärte Sitzungsleiter Klaus Jensen zu Beginn auf, „maximal durch Mienenspiel“ dürften die Zuhörer ausdrücken, was sie von den einzelnen Redebeiträgen hielten.

Doch bevor die Ratsmitglieder das Wort ergriffen, stellte Jensen auch klar, dass die Debatte nach einem Ratsbeschluss erst einmal beendet sein werde. Schließlich sei der Entscheidung ein „umfangreiches Beteiligungsverfahren“ vorausgegangen, in einem „mehrmonatigen Abwägungs- und Prüfprozess“ habe die Verwaltung alle ins Feld geführten Argumente berücksichtigt. Man werde sich deshalb mit weiteren Petitionen nicht mehr befassen, so Jensen.

War es das? Wohl kaum, wie die anschließende Debatte rasch zeigte. Die über Fraktionsgrenzen hinaus für ihre sachliche Art geschätzte Dorothee Bohr (CDU) hatte die jahrelange Debatte kurz Revue passieren lassen, um dann OB und Schuldezernat ein Lob zu zollen. Erst die Vorlage des Stadtvorstands habe allen klar gemacht, dass es „zum Schwur kommen würde“. Bohr erinnerte daran, dass „ein Gesamtplan, in sich schlüssig“ anfangs das Ziel aller Beteiligten gewesen sei. Den Änderungsantrag von CDU, SPD, Grünen und FDP verteidigte sie vor dem Hintergrund der zum Teil sehr unterschiedlichen Positionen als „größtmögliche Übereinkunft“. Konkret hob Bohr die Forderung hervor, eine Gesamtplanung für die Betreuung von Kindern in Ganztagsschulen und Horts zu erarbeiten. Vorher dürfe es keine Verlagerungen von Standorten geben. Auch die Aufwertung des Schulstandorts Kurfürst-Balduin-Realschule plus, wo nach dem Willen der vier Fraktionen auch die Grundschulen Pallien und Reichertsberg zusammengeführt werden sollen, bezeichnete Bohr als Erfolg. Die Entscheidung für eine Zusammenlegung der Grundschulen Ehrang und Quint sei ihrer Fraktion hingegen „nicht leicht“ gefallen. Alle hätten Zugeständnisse machen müssen, denn „wir haben schon zu viel Zeit verloren, es darf nicht wieder zum Stillstand kommen“.

Dahm: Politisches Himmelfahrtskommando 

Ähnlich argumentierte Dr. Regina Bux (SPD). Die Alternative sei gewesen, die Verwaltungsvorlage scheitern zu lassen. Doch nach den Erfahrungen mit dem Schulentwicklungskonzept unter dem seinerzeitigen Dezernenten Ulrich Holkenbrink (CDU), das im Vorfeld der letzten Kommunalwahl auf Eis gelegt worden war, habe man hinzugelernt, gab die Sozialdemokratin zu bedenken. Denn „alle danach getroffenen Entscheidungen waren Einzelentscheidungen, die sich oft nach kurzer Zeit als nicht praktikabel erwiesen“, so Bux. Für ihre Fraktion sei klar, dass vor allem in punkto Reichertsberg schnell Abhilfe geschaffen werden müsse. Dass man nun für den Erhalt der Martin-Grundschule eintrete, sei eines der Zugeständnisse ihrer Fraktion gewesen. Bux verhehlte denn auch nicht, dass sie Ambrosius für den Standort der Zukunft im Trierer Norden hält. Sie sei sicher, dass der hervorragende bauliche Zustand und das „gute pädagogische Konzept“ dazu führten, dass Ambrosius über die Schulbezirksgrenzen hinaus eine starke Nachfrage verzeichnen werde. Offen räumte die Genossin ein: „Der Prozess ist nicht abgeschlossen, weil es noch eine Vielzahl von Fragen zu klären gibt.“

Das sieht auch Gerd Dahm so, doch der Grüne machte auch deutlich, dass das „planlose Gewurschtel“ in der Schulpolitik ein Ende haben müsse. Zwei Dezernenten seien schon daran gescheitert, eine abstimmungsfähige Vorlage zu erarbeiten. Deshalb sei es eine „durchaus anerkennenswerte Leistung der Dezernentin und der Verwaltung, einen unumkehrbaren Prozess angestoßen zu haben“, so Dahm. Birk habe Mut bewiesen, weil sie „dieses politische Himmelfahrtskommando“ auf sich genommen habe. Auch Dahm unterstrich, dass alle Abstriche machen mussten – aber „eine knappe Mehrheit wäre ein Pyrrhussieg gewesen“. Die Entscheidungen seien „Zwängen geschuldet, die aus einer dauerhaften Unterfinanzierung des Schulhaushalts“ herrührten. Die Reduzierung der Grundschulstandorte sei zwar „schmerzhaft, aber nicht zu vermeiden“, so Dahm, und „Ambrosius wird wachsen und wir sollten ihr eine Chance geben“. Der Grüne weiter: „Es geht nicht um Sieg und Niederlage, wir alle hätten am liebsten unsere Schule erhalten“. Scharfe Kritik übte er an Ortsbeiräten, die als Argument für den Erhalt von Schulen die aus den 1960ern stammenden Eingemeindungsverträge ins Feld geführt hatten: „Das ist anachronistisch und zeugt nicht von gelebter Stadtgemeinschaft“.

Die Freien Wähler waren in die Kompromisssuche der anderen Fraktionen erst gar nicht mit eingebunden. Ein Umstand, den Hans-Alwin Schmitz heftig beklagte, gebe es doch eine Reihe von Punkten, die seine Fraktion durchaus mittrage. Dann holte der Eurener zum Rundumschlag aus: „Leider wurde bei der Erarbeitung des Konzepts kaum das soziale Gefüge mit berücksichtigt“. Auch habe eine systematische Einbindung der Jugendhilfeplanung gefehlt. Mit den Freien Wählern werde es keine Grundschulschließungen geben, abgesehen von einer Zusammenlegung von Pallien und Reichertsberg. „Wir haben seit 20 Jahren hierzu eine Meinung“, so Schmitz, und diese habe sich nicht geändert. Denn Grundschulen seien oft der Grund dafür, dass Familien in einen Stadtteil zögen. „Wer soll denn jetzt noch nach Quint ziehen? Man nimmt ihnen erst die Kirche, schließt den Bolzplatz und jetzt auch noch die Schule“.

Für die Liberalen verteidigte Joachim Gilles den gemeinsamen Änderungsantrag: „Ein Kompromiss ist ein Kompromiss“, ließ Gilles durchblicken, dass das Papier auch aus seiner Sicht nicht der große Wurf ist. „Aber die Alternative wäre Stillstand gewesen und wir hätten nicht gewusst, in welche Gebäude wir künftig investieren sollten.“ Martin bezeichnete Gilles als „eine Art von Betriebsgrundschule des Brüderkrankenhauses“, deren Erhalt gerade angesichts des gesellschaftspolitischen Ziels, Beruf und Familie besser zu vereinbaren, wichtig sei. Die Fusion von Ehrang und Quint sei das Zugeständnis der Liberalen gewesen, ebenso sei seiner Fraktion die Aufgabe der Grundschule Kürenz nicht leicht gefallen. Später sollte dann Gilles‘ Parteifreund Tobias Schneider das Wort ergreifen – und heftig gegen die Vier-Fraktionen-Linie wettern: „Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich mit der Vorlage der Verwaltung anfreunden können“. Der Änderungsantrag sei ein „fauler Kompromiss“, so Schneider, und es sei grotesk, nun ausgerechnet „die einzige Schule zu schließen, die in einem guten baulichen Zustand ist“ – womit der Freidemokrat Kürenz meinte. „Dieses Konzept wird uns um die Ohren fliegen“, sagte der FDP-Kreischef voraus.

FWG: Wer will jetzt noch nach Quint ziehen?

Ins selbe Horn stieß Bernd Michels, der Ortsvorsteher von Kürenz: „Diese Schule ist im wahrsten Sinne Bauernopfer“, echauffierte sich der Christdemokrat, „es musste eben eine Schule dran glauben.“ Die Enttäuschung in seinem Stadtteil sei „riesengroß“, er könne das gut verstehen. Denn es sei nicht zumutbar, ein Grundschulkind durch die Unterführung im Wasserweg nach Ambrosius zu schicken. Katrin Werner beklagte, dass die Verwaltungsvorlage erst seit Anfang März habe öffentlich diskutiert werden können. Den vier Fraktionen warf sie vor, ihre Linie quasi im Hinterzimmer ausgeheckt zu haben. „Die gesamte Debatte wurde nie unter qualitativen Kriterien geführt, die Frage nach Inklusion wurde nicht beantwortet“, kritisierte die Linke weiter; „wenn wir eine gute Schulpolitik machen wollen, dann brauchen wir den Erhalt aller Schulen“, verlangte sie.

Andreas Wirtz, Sprecher der AG Schulen des Jugendparlaments, hatte hingegen erklärt: „Natürlich würden auch wir am liebsten alle Schulstandorte behalten, allerdings entspricht dies nicht den real umsetzbaren Möglichkeiten“. Um bildungspolitische Idealvorstellung umsetzen zu können, seien „einzelne harte Entscheidungen unumgänglich. Die in den drei Vorlagen vorgesehenen Einschnitte sind nicht so drastisch, wie es von Birregio empfohlen wurde, allerdings mussten wir zunächst mitansehen, wie in den letzten Wochen die Vorlage des Stadtvorstands von den Fraktionen regelrecht weichgespült wurde“, kritisiert wurde.

Was von dem nun beschlossenen Kompromiss tatsächlich umgesetzt werden kann, scheint ohnehin weitgehend offen. Denn auch wenn sowohl Bildungsdezernentin Angelika Birk (B90/Die Grünen) als auch der OB am Donnerstagabend versicherten, dass die Verwaltung sich dem Ratsbeschluss verpflichtet fühle und entsprechend agieren werde, so machte doch vor allem Jensen deutlich, dass sich aus seiner Sicht manches kaum umsetzen lässt. Er sei „unterm Strich“ dankbar, dass die Fraktionen einen Kompromiss gefunden hätten, so der OB; das sei auch ein „Stück politischer Kultur“, die der Stadtrat bewiesen habe. Doch er müsse auch darauf hinweisen, dass allein die geforderten Maßnahmen für Trier-West „nicht unter 10 Millionen Euro“ zu haben seien. Dass der Stadtrat mit Ambrosius eine vierzügige Grundschule beschlossen habe, die nun eventuell nur zweizügig gefahren werde, könne Rückforderungen von Landesmitteln nach sich ziehen, warnte Jensen. Und Birk erklärte auf eine dringliche Anfrage der Linksfraktion, dass der Änderungsantrag der vier Fraktionen „auf jeden Fall“ dazu führen werde, dass sich die Bausumme „beträchtlich erhöhen“ werde.

„Natürlich ist das eine erste Etappe“, kommentierte der OB den gestrigen Beschluss, und in der Tat: Jede Einzelmaßnahme wird den Stadtrat erneut beschäftigen, dann wird sich zeigen, ob der Kompromiss hält. Für den stimmten am Donnerstag die vier Fraktionen. Berti Adams (CDU) und Tobias Schneider (FDP) stimmten dagegen, ebenso die FWG sowie die Linke. Bernd Michels enthielt sich.

(Anm. d. Red.: Anders als von uns zunächst berichtet, hat CDU-Ratsmitglied Birgit Falk sich bei der Abstimmung nicht enthalten, sondern ebenfalls für den Änderungsantrag der vier Fraktionen gestimmt.)

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