Erst verurteilt, dann verzichtet

Einst galt Norbert Freischmidt als Hoffnungsträger der Trierer CDU. Für seine Partei holte er bei der Kommunalwahl 2009 eines der besten Ergebnisse, manche trauten ihm auf mittlere Sicht den Fraktionsvorsitz, einige sogar noch mehr zu. Am Montagabend legte der 42-Jährige nun sein Ratsmandat nieder. Damit zog er die fällige Konsequenz aus einem Urteil des Trierer Amtsgerichts. Das hat den Gastwirt gestern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt – wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge für studentische Aushilfskräfte. Dass ein Irrtum seinem Fehlverhalten zugrunde lag, wollte das Gericht ihm nicht abnehmen. Am Ende wurden Freischmidt ein Mitarbeiterschreiben und wohl auch sein Verteidiger zum Verhängnis.

TRIER. Helmut Reusch wird langsam nervös, rutscht mit seinem Drehstuhl hin und her, legt die Stirn in Falten. Wer will es ihm verdenken? Seit einer halben Stunde schon überzieht Staatsanwältin Anna Koch die Prozessbeteiligten mit einer Zahlenschlacht sondergleichen, und noch ist kein Ende in Sicht. En detail listet sie 349 „selbstständige Handlungen“ auf, in denen der Angeklagte Rentenversicherungsbeiträge nicht abführte. Das hört sich dann in etwa wie folgt an: „Für Juni 2004 für die Zeugen Müller, Meier, Schmidt insgesamt 524,57 Euro“. So geht das in einer Tour, fast eine Stunde dauert die Anklageverlesung. Am Ende werden es 83.000 Euro sein, die nicht an die Rentenkasse flossen. Rund 80 Namen werden an diesem Morgen genannt, allesamt von studentischen Aushilfskräften, die zwischen 2000 und 2011 in Freischmidts Kneipe zum Einsatz kamen.

Mit den Kassen schloss er einen Vergleich, zahlte auf einen Schlag 70.000 Euro nach, wobei ihm rund 13.000 Euro erlassen wurden. Der Unternehmer hatte die Sache aus dem Weg räumen wollen, musste hierfür ein Darlehen in gleicher Höhe aufnehmen. Daran, dass er die Beiträge hätte abführen müssen, bestand kein Zweifel. Doch erledigt war die Angelegenheit damit noch nicht. Gestern nun musste sich Freischmidt vor dem Amtsgericht verantworten, auf den Paragraphen 266a des Strafgesetzbuchs stützte sich die Anklage. Dort heißt es: „Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Im Raum stand die Frage, ob Freischmidt wusste, was er tat, oder ob dem Ganzen ein Irrtum zugrunde lag?

Der Gastwirt argumentierte, er sei davon überzeugt gewesen, für seine durchweg studentischen Aushilfskräfte habe die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung durch die Regierung Schröder nichts geändert. Nun schützt Unwissenheit vor Strafe nicht, und dass er ein Jahrzehnt lang nichts von seiner Verpflichtung gewusst haben will, erscheint zumindest fahrlässig; der Anklage erschien es schlicht unglaubwürdig. Anna Koch sah den Gegenbeweis spätestens mit der Kenntnis von einem Rundschreiben erbracht, in dem der Gastwirt seine Mitarbeiter bereits 1999 explizit auf die neue Rechtslage aufmerksam machte – auch darauf, dass er die Aushilfen nun anmelden müsse, ansonsten „ich mich strafbar mache“. Nicht nur für den einzigen Zeugen des gestrigen ersten und letzten Verhandlungstags, einem Zollbeamten, „umso verwunderlicher, dass er im Anschluss nichts gemacht hat“. Für die Staatsanwältin ist klar: Der angebliche Irrtum „war eine Schutzbehauptung“. Auch wenn Koch positiv hervorhob, dass Freischmidt sich mit der Zahlung von 70.000 Euro darum bemühte, Wiedergutmachung zu leisten, er sich gegenüber den Ermittlern sehr kooperativ verhielt, zudem noch nie straffällig wurde – nach einem milden Urteil war der Staatsanwältin nicht mehr zumute. Stattdessen plädierte sie für eine Freiheitstrafe von zehn Monaten bei einer dreijährigen Bewährungszeit, außerdem für eine Geldstrafe von 10.000 Euro, zu zahlen an eine gemeinnützige Einrichtung.

Ein Strafmaß, das aus Sicht von Roderich Schmitz völlig unangemessen gewesen wäre. Freischmidts Verteidiger plädierte auf Freispruch – und erreichte das Gegenteil. Ein „vermeidbarer Verbotsirrtum“ liege vor, argumentierte der Anwalt, Freischmidt habe „gemeint, er würde rechtmäßig handeln“. Für den Gastwirt habe kein Zweifel bestanden, dass seine studentischen Aushilfskräfte nicht sozialversicherungspflichtig waren, nur deshalb sei auch möglich gewesen, dass sich das Vorenthalten der Beiträge über einen Zeitraum von rund zehn Jahren erstreckte. Schmitz verwies zudem auf die Komplexität des Sozialrechts, auch als Jurist blicke man da nicht mehr durch; und außerdem habe sich Freischmidt auch unabhängig von der Tatsache, dass er sich nun vor Gericht verantworten müsse, keinen Gefallen getan: „Er hat zu viel Einkommenssteuer gezahlt, zu viel Umsatzsteuer und zu viel Gewerbesteuer“, schließlich hätte das Abführen der Rentenbeiträge sein zu versteuerndes Einkommen gemindert.

Der Verteidiger hätte es damit und mit seinem Plädoyer für einen Freispruch (im Falle eines unvermeidbaren Verbotsirrtums) oder eine Geldstrafe (falls der Verbotsirrtum doch vermeidbar gewesen sein sollte) belassen können. Doch Schmitz meinte noch ein anderes Fass aufmachen zu müssen, indem er versuchte, den gesamten Vorgang in einen Kontext zu stellen und so auch ein Stück weit zu relativieren. Ob sich der Richter denn bewusst mache, wie viele Menschen ihre Haushaltshilfen nicht angemeldet hätten? Oder dass die einzelnen Summen eher „Kleckerbeträge“ seien – auch wenn diese sich natürlich zu einem  stattlichen Betrag summiert hätten. Das alles mag stimmen, kam bei Richter Reusch aber gar nicht gut an. Der verurteilte Freischmidt wegen Vorenthalten von Sozialversicherungsbeträgen in 217 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten. „Das, was der Angeklagte gemacht hat, sind Straftaten, und es besteht für das Gericht keinerlei Zweifel daran, dass er diese Straftaten bewusst gemacht hat“. Natürlich sei das Sozialrecht „höchst kompliziert“, aber das könne doch bei der Strafzumessung keine Rolle spielen. Und außerdem: Wenn es zu kompliziert sei, dann, so Reusch, müsse man sich eben Hilfe organisieren, etwa bei einem Steuerberater. „Man kann doch nicht sagen, wenn ich keine Zweifel habe, dann muss ich nicht zahlen“, redete sich Reusch regelrecht in Rage und machte auch deutlich, was er von Schmitz Argumentation hielt: „Unvermeidbarer Verbotsirrtum? Das wird Ihnen keiner abnehmen“.

Wenige Stunden nach der Urteilsverkündung zog Freischmidt die erwarteten Konsequenzen und legte nach acht Jahren im Stadtrat sein Mandat nieder. Eine andere Wahl blieb ihm nicht mehr.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.