Eine kurzer langer Abend

Publikumsnah: Jim Kerr von Simple Minds. Foto: Christian JörickeEs war ein Abend der Superlative und von Manchem zu viel: Gitarrist Charlie Burchill und Bassist Ged Grimes hatten am Mittwochabend gleich mehrere Reihen Effektgeräte vor sich aufgebaut, aus dem Schlagzeug von Mel Gaynor hätte man zwei machen können und Andy Gillespies Körper war hinter mehreren Lagen Keyboards kaum zu erkennen – in der Europahalle dürfte noch nie so viel Technik zum Einsatz gekommen sein. Die Koffer der Beschallungsanlage nahmen fast eine ganze Hallenwand ein. Das war aber noch nicht alles: Backgroundsängerin Sarah Brown trug die toupiertesten Haare sowie einen triangelgroßen Ohrring. Und Jim Kerr vermochte es, am Ende des Konzertes jedem der 1500 Besucher einzeln zugewinkt zu haben.

TRIER. Mindestens zwei Erkenntnisse gewinnt man beim Betrachten des Publikums. Erstens: Die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Julia Klöckner, ist Simple-Minds-Fan. Zweitens: In den vergangenen beiden Jahrzehnten scheint sich die schottische Band keine neuen Anhänger erschlossen zu haben – das Konzert ist eine Ü40-Party.

Vor knapp einem Jahr erschien das Greatest-Hits-Album „Celebrate“, mit dem die Gruppe nun auf Tour ist. 36 Titel umfasst das Werk, die Limited Edition sogar 50. „We’re gonna play everything“, sagt Jim Kerr und schiebt dann sicherheitshalber noch ein „possible“ hinterher. „It’s gonna be a long night.“ Das offenbar Einiges nicht möglich sein und es auch kein langer Abend werden wird, erahnt man bereits bei der ersten Pause nach 45 Minuten.

Viel geboten bekommt das Publikum dennoch: Simple Minds beherrschen ihr Handwerk. Das Konzert startet mit dem neuen Song „Broken glass park“, darauf folgt „Waterfront“ aus dem Jahr 1983, als sich die Band so langsam vom New Wave der frühen Jahre verabschiedete, und schließlich „Stars will lead the way“, das als Werbejingle einer deutschen Brauerei berühmt wurde. Bei „Let there be love“ umfassen zum ersten Mal Männer von hinten ihre mutmaßlichen Partnerinnen und mit dem Cover-Song „Let the day begin“ endet die erste Halbzeit.

Der zweite Teil beginnt – nach einem Instrumental von „Speed your love to me“ – ebenfalls mit einem Stück, das nicht aus der Feder von Simple Minds stammt. Sarah Brown, die nicht nur eine gigantische Frisur, sondern auch eine ebensolche Stimme hat, singt Patty Smiths „Dancing Barefoot“ in einer Wave-Version, die Annie Lennox oder Gracy Jones nicht stimmgewaltiger und ausdrucksstärker hinbekämen. Es ist eines der Highlights des Abends.

Wie die Musik hat sich auch der Klamottengeschmack von Jim Kerr in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Foto: Christian Jöricke16 Studio-Alben hat die Band seit Ende der 70er Jahre veröffentlicht. Im Konzert wird deutlich, welche Wandlung sie in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen hat – vom coolen New Wave zum Schmacht- und Gute-Laune-Stadionrock à la U2. Es nimmt nicht wunder, dass „Someone Somewhere“ (1982) und „Love Song“ (1981) zu den besten Stücken auf der Setlist gehören, auch wenn Kerr nicht mehr so leidenschaftlich-verzweifelt singt wie früher.

Von der einstigen Coolness auf der Bühne ist noch weniger übrig geblieben. Die Zeiten, in denen er sich offensichtlich bemühte, Dave Gahan von Depeche Mode ähnlich zu sein, sind längst vorbei. Permanent winkt er ins Publikum, als erkennte er Bekannte. Fast genauso oft schleudert er sein verkabeltes Mikrofon über die rechte Schulter und lässt es an seinem Rücken baumeln. Ob man das auf dem Live-Mitschnitt hört, den die Zuschauer nach dem Konzert auf einem USB-Stick kaufen können?

Zur Originalbesetzung gehört neben Jim Kerr auch noch Gitarrist Charlie Burchill (vorne). Foto: Christian JörickeAuf jeden Fall wird man darauf hören, dass bei den bekanntesten Stücken das Publikum fast alle Refrains alleine singt. Dazu gehören die Lalalalala-Nummer „Don’t you“, der letzte Song des offiziellen Teils, und die letzte Zugabe „Alive and kicking“. Als um kurz nach zehn nach knapp zwei Dutzend Stücken die Lampen und die Konservenmusik angehen, dürfte den 1500 Besuchern ein und derselbe Gedanke durch den Kopf gegangen sein: Fehlte da nicht eine Nummer? Simple Minds verzichteten erstaunlicherweise auf ihren in Europa erfolgreichsten Song „Belfast Child“. Weil die Band aber musikalisch eine einwandfreie Show lieferte, wird es für die Anhänger in Anlehnung an den ausgebliebenen Titel auch weiterhin heißen: „One day we’ll return here / When Jim Kerr sings again / When Jim Kerr sings again“.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.