„Nur über meine Leiche“

Nun also frühestens nach der Sommerpause: Dass OB Jensen (SPD) und die Dezernenten Egger (parteilos) und Simone Kaes-Torchiani (CDU) am Freitag überraschend mitteilten, eine Entscheidung über die geplante Entwicklungsvereinbarung mit ECE werde nun doch nicht am 3. Juli fallen, könnte etwas Druck aus dem Kessel nehmen. Die erneute Vertagung ist auch eine Reaktion auf den heftigen Widerstand, der sich vor allem bei Einzelhändlern und Kammern zeigt – und auf die Berichterstattung in den Medien. Der kann der OB inzwischen genauso wenig abgewinnen, wie der Kritik der Grünen, die er gestern mit deutlichen Worten zurückwies. Einen Beitrag des SWR-Fernsehens bezeichnete Jensen gar als „journalistischen Tiefpunkt“. Unterdessen tritt die Stuttgarter Mesa Development BR GmbH Gerüchten entgegen, wegen der ECE-Pläne für Trier könnte die geplante „BIT-Galerie“ auf der Strecke bleiben. Gerade jetzt müssten Mittelzentren wie Bitburg „aufrüsten“, erklärte Mesa-Architekt Bernhard Reiser gegenüber 16vor. An den Plänen werde deshalb festgehalten.

TRIER/STUTTGART. 12.000 Quadratmeter Verkaufsfläche soll sie haben und mehr als 40 Ladenlokale zählen – die geplante „BIT-Galerie“. Er verstehe eigentlich nicht, warum sich die Trierer derart für das Bitburger Projekt interessierten, erklärte Bernhard Reiser am Freitag, als ihn 16vor nach dem aktuellen Sachstand befragte; schließlich sei man in der Moselstadt mit ECE nun genug beschäftigt. Wohl wahr, doch in eben jener aufgeladenen Debatte wurde dieser Tage auch das Gerücht kolportiert, die „BIT-Galerie“ stünde möglicherweise schon vor dem Aus, noch bevor der erste Spatenstich erfolgt ist. „Das wäre ja absurd“, weist Reiser die Spekulationen zurück. Allenfalls werde es „etwas länger“ dauern, aber dann auch nur geringfügig. Ein ums andere Mal betont der Architekt, dass die Planungen für das Shopping-Center keineswegs auf Eis gelegt worden seien und man weiterhin 2015 öffnen wolle. Und überhaupt: „Überall wird aufgerüstet“, und vor dem Hintergrund der Trierer ECE-Diskussion sei für ihn klar: „Jetzt muss man die ‚BIT‘-Galerie erst recht machen“. Denn es sei nicht einzusehen, weshalb Mittelzentren wie Bitburg gegenüber einem Oberzentrum wie Trier das Nachsehen haben sollten, so Reiser.

Während man im Mittelzentrum also zum „Aufrüsten“ entschlossen scheint, wird in besagtem Oberzentrum erst einmal auf die Bremse getreten. So erklärte Oberbürgermeister Klaus Jensen auf einer am Freitag kurzfristig anberaumten Pressekonferenz, dass es vorerst nicht zu einer schnellen Unterzeichnung des Vertrags zwischen ECE und der Stadt Trier kommen werde. Das Thema wurde überraschend von der Agenda der nächsten Stadtratssitzung am 3. Juli genommen. Nach Besuchen bei den Fraktionen und wohl auch durch den Wirbel in den Medien kam Jensen zu der Feststellung, dass der „Prüfbedarf“ sehr groß sei und unter diesen Umständen kein schneller Entschluss zum Thema zu fassen sei. Stattdessen werde nun eine aus Fraktionsmitgliedern und Verwaltungsmitarbeitern bestehende Arbeitsgruppe eingerichtet, die sowohl Eckpunkte der Stadtentwicklung für die nächsten Jahre als auch Wege der Bürgerbeteiligung formulieren soll. Dabei solle es keine zeitliche Befristung geben. ECE selbst habe in der Gruppe kein Mitspracherecht, denn es handele sich ausdrücklich nicht um die im Vertragsentwurf festgesetzte Lenkungsgruppe, betonte der OB. Solange diese Arbeitsgruppe tätig sei, werde ECE „völlig draußen“ bleiben.

Erst nach der Sommerpause solle die Gruppe das dann auf dem Tisch liegende Einzelhandelskonzept auswerten und nötigenfalls auch Vorschläge zur Veränderung der Entwicklungsvereinbarung mit ECE aussprechen. ECE-Sprecher Gerd Wilhelmus behauptete dagegen noch am 18. April in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Stadtspitze, dass der Vertrag nur noch unterzeichnet werden müsse. Nun will man sich offenbar doch deutlich mehr Zeit nehmen und auch die Interessenverbände und Bürger der Stadt intensiver einbinden. Details dazu wurden nicht explizit genannt, allerdings verwies Jensen auf das Beispiel der Stadt Mainz, in der es in einem ähnlichen Fall „Workshops mit Bürgerbeteiligung“ gegeben habe. Er wünsche sich einen „möglichst großen Konsens“ und eine gründliche Aufarbeitung des Themas mit Stadtrat, Trierer Verbänden und der Bürgerschaft.

Vehement wehrte sich Jensen gegen Vorwürfe an seinem Vorgehen in Sachen ECE. Als „dreist, frech und ungehörig“ bezeichnete er beispielsweise die Unterstellung eines Leserbriefschreibers, dass der Vertrag und die Zusammenarbeit mit ECE schon „eingetütet“ seien. Auch respektiere er zwar, dass gerade die Grünen die politische Auseinandersetzung suchten. Aber er akzeptiere nicht, dass seinen Mitarbeitern persönlich vorgeworfen werde, „Quasi-Angestellte eines Investors“ zu sein. Die Trierer Grünen hatten zuvor die Stadtspitze heftig kritisiert (16vor berichtete). Jensen trat außerdem den Darstellungen der am Donnerstag erschienenen SWR-Sendung „Zur Sache“ entgegen, in dem der Vorwurf der Trierer Piraten zu Jensens angeblicher Abhängigkeit von der Stiftung „Lebendige Stadt“ aufgegriffen wurde: Es handele sich „natürlich um eine Stiftung, die seit Jahren in Deutschland die Interessen derer vertritt, die das Kapital für die Stiftung geliefert haben.“ Aber es gehe zu weit, „uns zu unterstellen, dass wir das Geschäft von ECE betreiben, nur weil es uns gelungen ist, vor fünf Jahren unsere Lampen von der Stiftung bezahlt zu bekommen“. Die Anschuldigungen des SWR-Beitrags seien daher „völlig absurd“ und ein „journalistischer Tiefpunkt“. Die Debatte solle auf ein sachliches Niveau heruntergefahren werden.

Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani wies darauf hin, dass es nicht nur um den Bau eines Einkaufszentrums, sondern um die gesamte Quartiersentwicklung gehe. Einen von vielen befürchteten „Kasten mit 25.000 Quadratmetern“ soll es dagegen „nur über meine Leiche“ geben, versicherte der Oberbürgermeister. Der in der Debatte aufgeflammte Vorwurf der frühen Bindung an einen Investor wurde von Wirtschaftsdezernent Thomas Egger positiv betrachtet. Er gab an, dass ohne eine Bindung an einen Investor zwar auch gute Konzepte entwickelt werden könnten, sich jedoch später niemand für eine Umsetzung dafür fände. Dies heiße aber nicht, „dass man deswegen automatisch die Interessen des Investors übernimmt – im Gegenteil.“ Jensen will speziell an ECE festhalten, da die Hamburger als erste auf die Stadt zugekommen seien. Und „wenn man sich auf einen solchen Prozess einlässt, dann kommt kein anderer infrage.“ Kritisiert wurde von der Stadtspitze auch der Trierer Einzelhandel: „Jahrelang hätte man ein Konzept auf den Tisch legen können.“ Nun müsse die Stadt handeln, da man beispielsweise auf den Tag vorbereitet sein möchte, wenn die Verträge zur Nutzung der Europahalle ausliefen und es in Kaufhof und Karstadt „nicht mehr auf diesem Niveau weitergehen könnte“, so Egger. Die Mietpreisentwicklung der Innenstadt sei ebenfalls ein Sorgenkind.

Der nächste Schritt ist nun die besagte Arbeitsgruppe, um den Fraktionen Zeit zu geben, sich mit dem Thema ECE und Stadtentwicklung zu beschäftigen. Im Anschluss soll ein Vertrag mit ECE zur weiteren Quartiersentwicklung abgeschlossen werden. Im Rahmen der darauf folgenden konkreteren Entwicklung werde dann auch die versprochene Beteiligung von Verbänden und Bürgern zustande kommen. Jensen wird dabei nicht müde zu erwähnen, dass der gesamte Prozess „ergebnisoffen“ sei und dass es ohne Votum des Stadtrats keine Vereinbarung mit ECE geben werde.

Marcel Pinger / Marcus Stölb

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