Deutschstunde mit Bacchus und Hotte

Es gibt viele Gründe, ins Museum zu gehen: gute Ausstellungen, schlechtes Wetter, vor allem aber das Interesse an Kunst und Geschichte sowie an Informationen zu der Stadt, in der man lebt. Mit schöner Regelmäßigkeit wird das Stadtmuseum Simeonstift auch von Menschen aufgesucht, die gerade dabei sind, die Sprache ihrer neuen Heimat zu erlernen. Kürzlich besuchten Absolventen des Volkshochschulkurses „Deutsch als Fremdsprache“ die am kommenden Sonntag endende Ausstellung „WeinReich“. Nach der fachkundigen und kurzweiligen Führung durch Kunsthistorikerin Alexandra Orth haben die Teilnehmer nun auch ein paar Vokabeln in petto, die selbst im passiven Wortschatz vieler Muttersprachler kaum vorkommen dürften. Die Deutschstunde der etwas anderen Art ist eines von mehreren Angeboten, mit denen das Museum Zielgruppen erreicht, die ansonsten wohl eher nicht den Weg ins Simeonstift fänden.

TRIER. Irina Zengerly Gasina versucht es mit Händen und Füßen, bemüht Vergleiche, ringt um Worte. Doch so sehr sie sich auch ins Zeug legt – ihrer Mitschülerin die Aufschrift auf dem Schild zu erklären, will ihr nicht so recht gelingen. Beide müssen passen, nehmen es aber mit Humor; kommt ja nicht alle Tage vor, dass eine Ukrainerin einer Thailänderin den deutschen Begriff „Rutschgefahr“ erklären möchte. Und Irina Zengerly Gasina soll an diesem Vormittag noch einige Gelegenheiten bekommen, ihre bereits beachtlichen Deutschkenntnisse unter Beweis zu stellen.

Es ist eine illustre Versammlung, die sich vor dem Stadtmuseum Simeonstift eingefunden hat. Zwei Gruppen des VHS-Sprachkurses „Deutsch als Fremdsprache“ sind gekommen, darunter auch Kursleiterin Tatjana Zinkhan. Die Teilnehmer stammen aus Sibirien und dem Iran, sie kommen vom Balkan und aus Mittelamerika. Nun leben sie in Trier und wollen die bekanntermaßen nicht ganz einfache Sprache ihrer neuen Heimat erlernen. Zinkhan hilft ihnen dabei. Für die gebürtige Russin, die in St. Petersburg aufwuchs, zählt der Museumsbesuch mittlerweile zum festen Programm ihrer DaF-Kurse; zum fünften Mal ist Zinkhan mit dabei. „Das ist aber keine Pflichtveranstaltung“, erklärt die 43-Jährige, um gleich darauf zu betonen, dass alle Absolventen aus freien Stücken gekommen seien.

Im Museum wartet derweil Alexandra Orth. Die 32-Jährige ist im Simeonstift zuständig für die Abteilung Kulturelle Bildung. Orth soll Jung und Alt „kunst- und kulturhistorische Inhalte vermitteln“, wie sie es ausdrückt. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen präsentiert sie deshalb regelmäßig Angebote, die auch jene ins Museum locken sollen, die nicht oder noch nicht den Weg hierher finden. Das Programm umfasst die „Museumsdetektive“ oder Formate wie „Musammel“, eine Führung, bei der Kindern im Alter ab fünf Jahren auf spielerische Weise vermittelt wird, was ein Museum macht und ausmacht. Auf Wunsch bietet das Haus auch spezielle Führungen für Schulklassen an, beispielsweise zu ausgewählten Themen, die gerade im Unterricht behandelt werden. Steht etwa der Zweite Weltkrieg auf dem Lehrplan, lässt sich im Museum anschaulich zeigen, welche Spuren dieser vor Ort hinterlassen hat; für Schüler ab der 10. Klasse wird seit kurzem eine rund dreistündige Führung zum Thema „Trier im Nationalsozialismus“ angeboten, die neben dem Museum auch verschiedene Stationen in der Innenstadt hat.

„Im Museum können sie Trier schon mal sehr gut kennenlernen“, begrüßt Orth die Teilnehmer des DaF-Kurses. Die Kunsthistorikerin ist routiniert darin, ihr Wissen verständlich rüber zu bringen, doch diese Führung ist auch für sie eine besondere. Schließlich beherrschen viele ihrer Zuhörer nur rudimentäres Deutsch, manche leben erst seit ein paar Monaten in der Stadt. „Ich muss mir da ganz genau überlegen, welche Worte und Formulierungen ich verwende“, erklärt Orth. „Und ich muss möglichst ohne Fremdwörter und Nebensätze auskommen.“ Keine leichte Übung, wie sich bald zeigen wird, zumal bei einem Thema, bei dem sich manche Fachbegriffe schwerlich vermeiden lassen: Die Ausstellung „WeinReich“ steht auf dem Programm. Das biete sich schon deshalb an, weil Trier in einer der bedeutendsten Weinregionen überhaupt liege, sagt Orth; überdies ist der Weinbau mit der Stadtgeschichte untrennbar verbunden.

Vor den Römern war man schon im alten Persien auf den Geschmack gekommen. Ob denn jemand bereits von einem König Dschamschid gehört habe, fragt Orth jetzt in die Runde. Ein Arm schnellt empor, erfreut meldet sich eine Iranerin. Sodann erzählt die Kunsthistorikerin mit einfachen Worten die Geschichte von den Weintrauben und dem daraus gewonnenen Saft. Den soll Dschamschids von einer heftigen Migräne geplagten Frau um 2500 vor Christus getrunken haben – der Überlieferung nach, um ihrem Leben und damit auch ihren Kopfschmerzen ein Ende zu bereiten. „Doch das vermeintliche Gift befreite sie nicht nur von ihren Kopfschmerzen, sondern versetzte sie sogar in fröhliche Stimmung“, erzählt Orth. „So wurde der Legende nach der Wein entdeckt.“ Interessiert und sichtlich amüsiert lauschen die Deutsch-Schüler ihren Ausführungen. Ob in der Antike Weiß- oder Rotwein getrunken worden sei, will Natalia Gereberg aus Nowosibirsk wissen. „Gute Frage“, antwortet Orth und lächelt.

Im sympathischen Plauderton führt sie weiter durch die Ausstellung, gelangt mit der Gruppe an einen Bildschirm. Auf diesem wird ein kurzer Film gezeigt, der das Verhältnis des Islam zum Wein thematisieren soll. Sogleich entbrennt zwischen mehreren muslimischen Kursteilnehmern eine lebhafte Diskussion: Die einen berichten, der Genuss von Wein sei im Islam verboten; so streng werde das nicht gehandhabt, kontern die anderen. Die Debatte ebbt rasch ab. Stattdessen stehen die DaF-Absolventen nun vor einer Vitrine mit winzigen geschnitzten Figuren. Ein Exponat soll eine Schildkrötenprinzessin darstellen. Eine was? Orth schaut in ratlose Gesichter. Mit einer Darstellung des letzten Abendmahls können die meisten schon mehr anfangen; und als sie erklärt, dass der Trierer Bischof „lange Zeit auch Chef der Stadt“ war und zu den reichsten Weinbesitzern zählte, haben alle schnell verstanden.

Gleich darauf wird es wieder ein wenig komplizierter, die Expertin erläutert die Weinlese: Mit einer Hotte tragen die Winzer auf ihrem Rücken die Trauben aus dem Weinberg, erläutert Orth und schreibt das Wort auf ein mitgebrachtes Schiefertäfelchen. Hotte? Da versteht selbst die deutsche Kollegin nur Bahnhof, die Vokabel aus dem Winzer-Latein war auch ihr kein Begriff. Mithilfe eines Ausstellungsstücks beschreibt Orth die Funktionsweise einer Kelter. „Kelter, nicht Kellner“, korrigiert Irina Zengerly Gasina eine Mitschülerin. Die Ukrainerin hat gut Reden: „Bei uns auf der Krim wächst auch viel Wein“, berichtet sie. Die interkulturelle Deutschstunde im Simeonstift hat ihr gefallen, besonders Weingott Bacchus scheint es Zengerly Gasina angetan zu haben. Auch Tatjana Zinkhan will wiederkommen – mit ihrem nächsten Kurs.

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