Der Einsamkeit Gesellschaft leisten

Foto: momosu / pixelio.deWie Hunger zur Nahrungsaufnahme veranlasst und Durst einen Flüssigkeitsmangel signalisiert, äußert die Einsamkeit ein Verlangen nach sozialen Beziehungen. Der Mensch, ein soziales Wesen und Herdentier, das zum Überleben Kontakte benötigt. Fortdauernde und ungewollte Isolation kann krank machen; und es kann jeden treffen, emotional wie sozial. Diese Erfahrung machen auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Besuchs- und Begleitungsdienstes der Malteser in der Diözese Trier. Das Angebot wird immer stärker nachgefragt, so dass auch der Bedarf an Helfern steigt.

TRIER. Tag für Tag sitzt sie am Fenster, die Gardine etwas zur Seite geschoben, um die Avelsbacher Straße im Blick zu haben. Eine graue Haarsträhne fällt in das fahle Gesicht, müde Augen umgeben von Altersflecken starren ins Leere. Zahlreiche Autos und Menschen passieren ihr Fenster, doch niemand ist auf dem Weg zu Frau M. Sie fühlt sich in ihrem passiven Leben unsichtbar, vergessen, einsam. Ein Zuwinken im Vorbeigehen erhellt ihre Gesichtszüge, sie lächelt und hebt zittrig-grüßend die Hand – ein Augenblick der Glückseligkeit. Aber eben nur ein Augenblick.

Wie Frau M. geht es vielen Menschen. In diesen Fällen scheint unsere Gesellschaft „außer Betrieb“. Zu oft bleibt der stumme Hilfeschrei unbemerkt. Es sind nicht nur die kranken, behinderten oder älteren Menschen, die ein Lied vom Alleinsein und dem Gefühl der Ausgeschlossenheit singen können. Für manche Betroffene, insbesondere für jüngere, bedeutet es, eine große Hürde zu überwinden: über ihr Empfinden zu reden und Hilfe anzunehmen.

Häufig wird das unfreiwillige Alleinsein von einem Schamgefühl begleitet. Diese Menschen leiden beispielsweise unter Kontaktschwierigkeiten, extremer Schüchternheit oder fühlen sich als Persona non grata. Das suggeriert ein Versagen in der Gesellschaft und endet schnell in einer Spirale der Resignation, die sich Richtung Ausweglosigkeit dreht.

Um diese Probleme weiß auch Martina Spang, seit 2009 Referentin für den ehrenamtlichen Besuchs- und Begleitungsdienst des Malteser Hilfsdienstes e. V. der Diözese Trier. In ihre Zuständigkeit fallen insgesamt 27 Gruppen des Dienstes im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Obwohl nur wenige das kostenfreie Angebot der Malteser kennen, ist die Nachfrage in den letzten Jahren immens gestiegen. „Die Dienststunden unserer ehrenamtlichen Helfer haben sich seit 2007 mehr als verdreifacht und die Betreuten-Zahlen sind um ungefähr das Vierfache gestiegen, unsere Helfer aber nicht“, sorgt sich Spang.

Allein in Trier arbeiten momentan 15 Personen ehrenamtlich im Begleitdienst. Sie leisten 29 Menschen Gesellschaft, unterhalten sich mit ihnen, gehen mit ihnen spazieren oder ins Café. Es sind die kleinen Dinge, die zur Aufheiterung und Abwechslung beitragen und die Angst, in Vergessenheit zu geraten, wenigstens für den Moment nehmen. „Es darf bei eigener Zeiteinteilung so viel Zeit geschenkt werden, wie man möchte. Selbstverständlich werden eventuelle Fahrtkosten erstattet“, erklärt die Diözesanreferentin.

Auch Tiere können helfen

Es muss indes auch nicht immer eine Person als Begleitung sein, wie Spang aus Erfahrung weiß: „Wir haben in vier unserer ehrenamtlichen Gruppen speziell ausgebildete Hunde eingesetzt, die bereits bei Kranken, Behinderten, Älteren Erfolge erzielten, die wir mit Menschen nicht erreichten.“ Ein Tier vermittelt zugleich das Gefühl, gebraucht zu werden. Es verlangt den Haltern ein gewisses Maß Verantwortungsbewusstsein ab und stellt, je nach Gattung, tägliche Aufgaben oder erleichtert gar den Alltag. „Es kommt vor, dass Menschen, mit dem Tier als Medium, aus ihrer Lethargie und Abkapselung herausfinden.“

Spang führt den erhöhten Bedarf an dem Angebot der Malteser unter anderem auf den sozialen und demografischen Wandel zurück. Es gebe eben immer mehr ältere Menschen, die sich alleine unwohl und abgeschoben fühlten. Ein Großteil der jüngeren, rastlosen Generationen stecke noch mitten in der Zeitkrise, widme sich ehrgeizig vor allem der eigenen schulischen oder beruflichen Karriere und sei gezwungen, den hohen Leistungsanforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden. „Das lässt wenig Raum für soziales Engagement“, bedauert Martina Spang.

Die Arbeit als Lebensmittelpunkt lässt zudem nach spätem Feierabend oftmals kaum noch Zeit für Freunde und soziale Kontakte. Eventuell wird ein gemütliches Ausklingen zu Hause bevorzugt, um am nächsten Tag wieder die volle Leistung erbringen zu können. Aus all dem resultiert häufig ein anfänglich schleichendes Zurückziehen, das nicht selten in einer depressiven Verstimmung oder gar in einem Erschöpfungszustand endet. Die Zuwendung von virtuellen Freunden in „sozialen Netzwerken“ hilft da nur bedingt.

Es gibt unzählige Ursachen und Auslöser, die die Entwicklung und das beständige Gefühl der melancholischen Einsamkeit begünstigen. Sei es der Verlust eines geliebten Menschen, eine besorgniserregende ärztliche Diagnose oder schlichtweg emotionale Unzufriedenheit in der Partnerschaft, bei der Arbeit oder mit sich selbst. Verhältnismäßig schwierig erscheint es, Eigeninitiative zu ergreifen und sich selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf des erdrückenden Alleinseins zu ziehen. Zudem kostet es die Betroffenen enorme Überwindung und vor allem Mut, öffentlich über das negativ konnotierte und mit einem Tabu behaftete Thema zu reden.

Hans Josef Barth (82) willigt einem Gespräch ein und gewährt einen kurzen Einblick. „Da ist dieser dunkle Raum, mein Zimmer, mein neues Zuhause. In ihm scheint kein Licht. Nur die Straßenlaternen des Parkplatzes vor dem Pflegeheim werfen Schatten an die Wände. Ich bin allein“, so lauten die ersten Zeilen einer erdachten Kurzgeschichte von Barth. Er lebt seit rund drei Jahren mit seiner fürsorglichen Frau Therese (76) in der Senioren-Residenz Niederweiler Hof in Trierweiler. Keineswegs ein ungemütliches, dunkles Zimmer, wie er es in seiner Geschichte benennt. Eine gepflegte, lichtdurchflutete Zweizimmerwohnung erwartet die Besucher des Ehepaars.

„Unseren Kindern wollten wir nicht zur Last fallen“

Ihr Leben ist hier jedoch ein anderes geworden. Nicht nur gesundheitliche Gründe veranlassten die beiden, ihr viel zu großes Heim mit eigenem Garten in ländlicher Gegend zu verlassen, auch die sozialen Kontakte schrumpften. Freunde starben, zogen weg, kapselten sich ab. Das Autofahren war nicht mehr möglich, die allgemeine Mobilität ebenso altersbedingt eingeschränkt. „Dann kam die Einsamkeit. Unseren Kindern mit ihren Familien wollten wir nicht zur Last fallen“, erklärt Barth die Gründe für die gemeinsame Entscheidung.

In vielen Fällen stellt sich jedoch zusätzlich die Frage der Finanzierung einer Rundum-Betreuung und der Bereitschaft, das gewohnte Umfeld zu verlassen. Zahlreiche Leidtragende leben trotz Einbußen ihre Selbstständigkeit und die damit verbundene Unabhängigkeit aus, solange der Gesundheits- und Gemütszustand es zulassen.

Hans Josef Barth beobachtet in der Senioren-Residenz zudem Bewohner, die sich fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigten, freiwillig zurückzögen und keinen Kontakt wünschten. „Diese Menschen sind verschlossen wie eine Auster. Sie sollten Acht geben, nicht die Sprache zu verlieren und das Denken zu vergessen“, warnt er.
„Wir sind gefordert, die Isolierten liebevoll in die Gemeinschaft zurückzuführen“, hat sich Barth zur Aufgabe gemacht.

Ebenso hilft ihm seine Leidenschaft für das Schreiben, Malen und Musizieren, seine persönliche Einsamkeit vorübergehend zu betäuben. Offenbar fühlt er sich mit der ihm zugewandten Aufmerksamkeit nicht mehr allzu sehr vom Leben abgeschnitten. Seine Frau Therese empfindet anders: „Hier habe ich niemanden, mit dem ich ein Schwätzchen halten kann. So wie früher mit den Freunden und Nachbarn an der Mauer unseres Gartens.“ Andere haben nicht mal mehr einen Partner oder eine Familie.

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