Das virtuelle Skriptorium der Abtei St. Matthias

Matthias_webMittelalterliche Handschriften sind reichhaltige Quellen – nicht nur für Historiker und Geisteswissenschaftler, sondern auch für Forscher weiterer Disziplinen wie Theologen, Mediziner, Juristen oder Kunsthistoriker. Traditionell konnten die Jahrhunderte alten Quellen nur vor Ort in Bibliotheken im Original eingesehen werden. Um die lange vor dem Buchdruck entstandenen unersetzlichen Einzelstücke einem weiten Kreis zugänglich zu machen, ist die Digitalisierung ein ideales Mittel der Wahl. Die aus exquisiten Handschriften bestehende mittelalterliche Bibliothek der Trierer Abtei St. Matthias ist heute nicht mehr vor Ort zu finden. Die Digitalisierung sorgt jetzt dafür, dass nicht nur die ursprüngliche Zusammenstellung rekonstruiert wird – auch lassen sich zukünftig alle Schriften online einsehen und lesen. Ein Band von Michael Embach und Claudine Moulin führt nun in das Thema ein.

TRIER. Mit insgesamt 739 Handschriften war die Konventsbibliothek der Trierer Benediktinerabtei St. Matthias nicht nur von der Menge an sogenannten Kodices oder Manuskripten mit einer Universitätsbibliothek zu vergleichen. Die Artistenfakultät Heidelberg besaß Ende des 14. Jahrhunderts ganze 375 und die Universität Köln nur 342 Handschriften. Auch wenn ein großer Teil liturgischer Schriften vorhanden war, sei die Abtei ein Zentrum benediktinischer Gelehrsamkeit gewesen. Michael Embach macht mit diesen Zahlen und Forschungen die Bedeutung der Bibliothek fassbar, nachzulesen in seinem Beitrag im Band „Die Bibliothek der Abtei St. Matthias in Trier – von der mittelalterlichen Schreibstube zum virtuellen Skriptorium“. Zusammen mit Claudine Moulin hat er vier Vorträge editiert, die im Rahmen einer öffentlichen Reihe der St. Matthias-Stiftung und der Stadtbibliothek Trier zu hören waren. Vorgestellt wurden ausgewählte Handschriften, welche die Bedeutung der Abtei als geistiges und kulturelles Bildungszentrum deutlich machen.

Embach selbst stellt das Digitalisierungsprojekt in den Fokus, bei dem rund 500 Handschriften der Abtei St. Matthias digitalisiert werden und so den mittelalterlichen Bestand rekonstruieren. Denn heute sind die Werke auf etwa 25 Standorte verteilt, nur etwa 400 Kodizes sind noch in Trier zu finden – sowohl in der Stadtbibliothek als auch in der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars. Im von der deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) finanzierten Projekt arbeiten das Stadtarchiv Trier und die Universität Trier eng zusammen, die Ergebnisse, die Kooperationspartner und der aktuelle Stand der Forschung und Digitalisierung finden sich unter http://www.stmatthias.uni-trier.de/, wo die bis Anfang Dezember 2013 bereits 400 Kodizes mit 3456 Inhalten digitalisierten Schriften komfortabel einsehbar sind. Nicht nur im Skriptorium der Abtei St. Matthias selbst entstandene Werke machen die Bibliothek aus, gesammelt haben die Benediktiner auch Werke anderer Klöster und Schreibstuben.

Der Beitrag des Tübinger Forschers Peter K. Klein widmet sich der Ikonographie und Entstehung der Trierer Apokalypse aus dem ersten Viertel des 9. Jahrhundert, die seit dem 12. Jahrhundert in Trier aufbewahrt wird und heute im Bestand der Stadtbibliothek Trier ist. Hierher gelangte sie nach der Säkularisation des Klosters im Jahr 1802. Während die Entstehungszeit gut einzuordnen ist, sei der Entstehungsort jedoch nicht ganz klar, so Klein. Er verortet das ausführende Skriptorium nach Nordfrankreich, wo das hochrangige Werk unter Einfluss von Schreibern aus Tours entstanden sein könnte.

Die Verbindung der Trierer Benediktiner zu Hildegard von Bingen untersucht der Marburger Sprachhistoriker Reiner Hildebrandt. Die Benediktinerin schrieb um 1150 das Lehrbuch „Physica“, das „Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe“. Hierin beschreibt sie in neun Kapiteln die Heilkräfte der Natur, aber auch einiges über Tiere, die Elemente, Steine oder Metalle. Vor allem das Kapitel über die Fische „de piscibus“ veranlasste zu Forschungen, die nach Trier führen, wie Hildebrandt anschaulich macht. Er belegt sprachwissenschaftlich, dass die Mattheiser Handschrift „Summarium Heinrici“ das Lehrbuch der Mystikerin gewesen sein muss.

Der letzte und vierte Beitrag hat den Hohelied-Kommentar Willirams von Ebersberg zum Thema. Dieses Schriftstück belegt, dass die weltlichen Liebeslieder, die den Ursprung des Hohelieds aus dem Alten Testament bilden, schon früh auch in Trier diskutiert wurden. Das Besondere an dem Kommentar aus dem 11. Jahrhundert ist, dass er sowohl aus einem lateinischen Versteil als auch aus einem deutschen Prosateil – also in Volkssprache – besteht. Gerade letzterer wurde bis in die Neuzeit handschriftlich und später gedruckt vielfach verbreitet. Aus den Jahren um 1100 stammt eine Abschrift aus dem Skriptorium St. Matthias, welche insbesondere sprachwissenschaftlich bedeutend ist, wie der Trierer Literaturhistoriker Kurt Gärtner im letzten Beitrag ausführt. Denn dieses Schriftstück ist eine frühe Quelle für die moselfränkische Sprache.

MatthiasBuchcover_webDas gebundene Buch schließt mit einem Verzeichnis aller Urkundenausfertigungen der Abtei St. Eucharius / St. Matthias, die von Reiner Nolden erstellt worden ist. Ein Personen-, Namens- und Ortsindex schließt das wissenschaftliche Werk ab, welches aber auch interessierte Laien an ausgewählten Beispielen in die Thematik Trierer Handschriften einführt. Vor allem macht es Lust darauf, sich die digitalisierten Manuskripte anzusehen, schmucke Initialen zu entdecken oder auch in die Welt der Apokalypse einzutauchen. Wissenschaftler aus der ganzen Welt haben es mit dem virtuellen Skriptorium weitaus einfacher, die Geschichte Triers weiter zu erforschen.

Die Bibliothek der Abtei St. Matthias in Trier – von der mittelalterlichen Schreibstube zum virtuellen Skriptorium. Mit einem Verzeichnis der Mattheiser Urkunden im Stadtarchiv Trier. Hg. Von Michael Embach und Claudine Moulin, Trier 2013, 120 Seiten, 14,80 Euro.

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