„Das Lehrangebot folgt nicht nur Marktgesetzen“

Die Universität hat einen neuen Präsidenten: Gestern trat der Soziologe Professor Michael Jäckel offiziell die Nachfolge des langjährigen Hochschulchefs Professor Peter Schwenkmezger an. Jäckel, der von 2003 bis Anfang diesen Jahres bereits als Vizepräsident amtierte, äußert sich im Gespräch mit 16vor über die Universität der Zukunft und erklärt, weshalb die deutschen Hochschulen seiner Meinung nach nichts mit Marmeladenfabriken gemein haben. Zudem warnt er davor, weiterhin die Diplom- und Magisterstudiengänge zu verherrlichen und verlangt stattdessen, bei Bachelor und Master Fehler zu korrigieren. Mit Bangen blickt Jäckel auf den bevorstehenden Start des Wintersemesters: Der dann noch andauernde Umbau der Mensa werde wohl alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellen, erwartet der neue Uni-Präsident.

16vor: Herr Professor Jäckel, in Ihrem Lebenslauf steht, dass Sie von 1990 bis 1996 freier Mitarbeiter bei der Brockhaus Enzyklopädie waren. Wie definieren Sie als neuer Präsident der Hochschule denn die Universität von heute?

Michael Jäckel: Gut, also hier eine schnelle, sagen wir ‚Wiki-Definition‘: Für mich ist die Universität in erster Linie ein Ort des Lehrens und Forschens, mit interessanten und kontroversen Lehrveranstaltungen. Sie sollte sich dabei aber auch der Idee einer öffentlichen Wissenschaft verpflichtet sehen, also stets über ihre Grenzen hinaus. Bürokratisch gesehen ist es eine komplexe Organisation mit vielen Verfahrensregeln, eine Gremienuniversität, die von formalen wie informalen Prozessen gesteuert wird. Bei der Beschreibung der modernen Universität schließe ich mich auch gerne dem ehemaligen Präsidenten der University of Berkeley, Clark Kerr, an, der den Begriff der Multiversität (Multiversity) prägte. In der heutigen Zeit sind wir nämlich nicht nur einer Zielgruppe, den Studierenden, verpflichtet, sondern bieten noch ganz andere Angebote wie die Kinderuni, Schnupperkurse für Schüler, familiengerechte Strukturen , den Campus International sowie das Seniorenstudium. Und in Zukunft werden Weiterbildungsangebote wohl eine größere Rolle spielen.

16vor: Ulrich Beck, Soziologe wie Sie und Autor des Buchs Risikogesellschaft, beschreibt den heutigen Zustand der Universität wie folgt: „Die zweite Option der Bildungspolitik, die neoliberale Agenda, schickt sich an, die Universität als Marktuniversität nach dem Vorbild von Marmeladenfabriken umzuwandeln. Wer in Marmeladenfabriken arbeitet, muss kein Liebhaber von Marmelade sein.“ Können Sie sich dieser Aussage anschließen?

Jäckel: Wenn ich in einer Klausur zu dieser Aussage Stellung nehmen müsste, so würde ich Beck entgegenhalten, dass es zunächst nichts gegen ein Mehr an Transparenz an deutschen Hochschulen einzuwenden gibt, was die letzten Reformen ja angestrebt haben. Das ist ohne Zweifel noch nicht erreicht. Aber trotzdem folgt das Lehrangebot anUniversitäten deshalb nicht nur noch Marktgesetzen. Die Veränderungen variieren zudem je nach Fachbereich. Insgesamt kann ich mich also mit dieser Aussage nicht identifizieren, und das Wort „Neoliberalismus“ muss ja nun nicht unbedingt für alles herhalten.

16vor: Stellen Sie sich vor, in etwa einem Jahr liegt bei Ihnen ein Brief auf dem Schreibtisch, auf dem bereits 90 Hochschulrektoren die schrittweise Rückführung der Studiengänge zum Diplom beziehungsweise Magister bei der Europäischen Kommission einfordern. Unterschreiben Sie den Brief?

Jäckel: Nein, denn es wurde schon viel zu viel in die Bildungsreformen investiert. Wir sollten endlich aufhören, ständig gegen die Bachelor- und Masterstudiengänge zu wettern und den Studierenden vielmehr das Gefühl vermitteln, dass die Angebote, die wir ihnen an der Universität machen, ihnen die Chancen geben, die sie sich durch ein Hochschulstudium erhoffen. Das ist unsere Aufgabe. Die Reakkreditierungsphase, die momentan in einigen Fächern läuft, bietet uns die Chance, Fehler zu korrigieren, sei es bei den Studienverlaufsplänen oder auch bei der Integration eines Auslandsaufenthalts. Die Studierenden sind übrigens in diesen Prozess aktiv eingebunden. Dass beispielsweise die Regelstudienzeit im Bachelor sechs Semester betragen soll, entspricht nicht den Erfahrungen, die in den letzten Jahren gesammelt wurden. An dieser Stelle sollte man ansetzen, anstatt die Diplom- und Magisterstudiengänge weiter zu verherrlichen.

16vor: Zuverlässiger Verwalter, effizienter Idealist, durchsetzungsfähiger Interessenvertreter – reicht das heute aus, um ein guter Universitätspräsident zu sein?

Jäckel: Man braucht mit Sicherheit Kommunikationstalent, um eine Universität zusammenzuhalten. Von daher sind Moderatorenfähigkeiten im Innen- wie Außenverhältnis schon sehr wichtig. Daneben zählen aber auch gute Ideen, um neue Prozesse anzustoßen und vor allem die Universität damit attraktiv zu machen. Wenn wir beispielsweise trotz der doppelten Abiturjahrgänge und der Aussetzung der Wehrpflicht keine erhöhten Bewerberzahlen zum kommenden Wintersemester erreichen sollten, müsste ich mich zumindest fragen, was denn da falsch gelaufen ist. Kurzfristige Überlast ist das eine. Aber wenn sie nicht eintritt und nur die anderen Probleme haben – das kann nicht wirklich zufriedenstellen. Ein anderes Beispiel ist der aktuelle Umbau der Mensa. Der jetzige Baubeginn, der etwas überraschend kam, wird zu Beginn des Wintersemesters für das Studierendenwerk und uns eine richtige Herausforderung. Es wäre für unser Image schädlich, wenn gerade die Erstsemester ihren Studienstart an der Uni Trier aufgrund von Baumaßnahmen mit engen Verhältnissen, Provisorien usw. in Verbindung bringen würden. Sie kennen das ja: Ein unzufriedener Kunde steckt eher an als ein zufriedener.

16vor: In unserem letzten Interview mit Professor Schwenkmezger wurden wir von einem Leser zu Recht darauf hingewiesen, die Widersprüchlichkeiten im Umgang mit der Partneruniversität Xiamen ausgelassen zu haben. Wollen Sie in dieser Hinsicht im Kontakt nach China neue Akzente im Bereich Menschenrechte setzen?

Jäckel: Wir können Fragen, die die Studierendenschaft und andere in diesem Zusammenhang beunruhigen mögen, jederzeit diskutieren. Ich habe bei meinem Besuch von Xiamen und Wuhan im vergangenen Oktober eine Offenheit und Gastfreundschaft erlebt, die mich sehr beeindruckt hat. Auf universitärer Ebene pflegen wir mit Xiamen eine sehr gute Partnerschaft. Priorität hat für uns der Austausch der Studenten, dass also Studierende aus Trier in China Erfahrungen sammeln können und umgekehrt.

16vor: Auch inneruniversitär gibt es momentan einige offene Baustellen. Da ist das Durcheinander im Zentrum für Informations, – Medien und Kommunikationstechnologie (ZIMK), ein Professor im Fachbereich VI, der aufgrund von Personalmangel seinen Studienschwerpunkt am liebsten ganz einstellen möchte, sowie ein Rechtsstreit zwischen Universität und dem Personalrat bezüglich der Mitsprache bei Personalbesetzungen. Kämpft die Uni gerade vor allem gegen sich selbst?

Jäckel: Baustellen gibt es immer. Sie dürfen nur nicht zu Dauerbaustellen werden. Da werden in den nächsten Wochen entsprechend weitere Gespräche zwischen dem Präsidium und den Beteiligten stattfinden.

16vor: In der letzten Senatssitzung diskutierten die Mitglieder über das so genannte Deutschlandstipendium, ein Programm, das zum kommenden Wintersemester 40 begabten Studierenden eine Förderung von 300 Euro pro Monat gewährleisten soll. Dabei kam es zu einer Kontroverse, weil angedacht war, die Auswahl ausschließlich an der Abiturnote beziehungsweise Prüfungsleistungen zu knüpfen. Wie möchten Sie sich als künftiger Vorsitzender des Senats dazu positionieren?

Jäckel: In Trier müssen wir uns erst mal Gedanken darüber machen, wie wir das Stipendiensystem auf mittlere Sicht überhaupt stemmen wollen, schließlich brauchen wir dafür private Förderer, die die eine Hälfte der Fördersumme übernehmen. Die Süddeutsche Zeitung titelte bereits süffisant „Vom Elefanten zur Mücke“ (SZ vom 27.08.2011, Anmerkung der Redaktion), weil auch andere Universitäten mit dem Problem zu kämpfen haben. Zum Auswahlmodus: Ich unterstütze die Idee, in erster Linie Noten heranzuziehen, weil ich glaube, dass es bei einem umfangreichen Kriteriensystem, welches beispielsweise die Herkunft oder soziales Engagement mit berücksichtigt, viel eher zu Widerspruchsverfahren kommt und damit das gesamte Vergabeverfahren erschwert. Was wir verhindern müssen, ist aus dieser Idee, die ich grundsätzlich befürworte, einen Verwaltungsmoloch zu machen.

16vor: Blicken wir zum Abschluss einmal in die Zukunft: Stellen Sie sich vor, die Universität hat in zehn Jahren nur noch 12.000 Studierende, vier statt sechs Fachbereiche, monatliche Studiengebühren von 200 Euro, und sie ist Exzellenzstandort für Neuere Geschichte. Wäre dies eine Erfolgsstory?

Jäckel: Die von Ihnen unterstellte Reduzierung der Studierendenzahl wird sich aufgrund des demographischen Wandels vermutlich bewahrheiten. Wie viele es dann wirklich noch sind, steht aber noch nicht fest. Aber die Zahl älterer Studierender, also das Seniorenstudium, wird steigen. Und hier wird es dann auch neue Angebote geben müssen. Ein Exzellenzstandort für Neuere Geschichte – warum nicht? Die sind doch im Grunde genommen schon exzellent. In jedem Falle sollte unsere Universität Vielfalt ausstrahlen. Deshalb glaube ich nicht an ihre Prognose „vier statt sechs“. Es wird in Zukunft noch mehr Kooperationen zwischen den Fächern geben, weil der Generationswechsel auch neue Ideen und Anschlussmöglichkeiten mit sich bringt. Das Hin und Her bei der Einführung und Rücknahme von Studiengebühren ist ja alles andere als eine überzeugende Leistung. Studieren ist teuer, viele müssen parallel arbeiten. Jeder, der die Voraussetzungen erfüllt, sollte seine Chance haben. Das muss jedes Finanzierungsmodell beachten.

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