Fragwürdiger Prüfungserfolg

Hat ein Trierer Professor seiner Lebensgefährtin zu einem herausragenden Prüfungserfolg verholfen? Diese Frage steht im Mittelpunkt eines pikanten Rechtsstreits, mit dem sich nun auch das Oberverwaltungsgericht in Koblenz befassen muss. Das Landesprüfungsamt hatte eine Wiederholung der Prüfung angeordnet. Hiergegen zog die Jura-Absolventin vor das Verwaltungsgericht Trier und bekam Recht. Dass die junge Frau, die zuvor mit eher mäßigen Noten durchs Studium kam, bei der mündlichen Prüfung im Zweiten Juristischen Staatsexamen mit einem nahezu perfekten Aktenvortrag glänzte und das landesweit beste Ergebnis erzielte, bedeute nicht, dass ein Täuschungsmanöver vorliegen müsse, so das Gericht. Gegen das Urteil legte das Prüfungsamt Berufung ein. Jetzt müssen die Koblenzer Richter entscheiden.

TRIER. Der Fall könnte künftig Studenten des Öffentlichen Rechts als Hausarbeitsthema vorgelegt werden: Eine Studentin klagt vor dem Verwaltungsgericht ihr Ergebnis der mündlichen Prüfung im Zweiten Juristischen Staatsexamen ein, das ihr vom Landesprüfungsamt aberkannt wurde. Grund der Annullierung ist der Verdacht, ihr Lebensgefährte, welcher in einer Prüfungskommission am Verwaltungsgericht saß, während sie am Sozialgericht ihre Prüfung ablegte, könnte ihr im Vorfeld das zu behandelnde Aktenstück zugespielt haben. Beide behaupten, dass sie als Vorbereitung für die Prüfung lediglich die Technik des Aktenvortrags eingeübt, nicht aber den Prüfungsfall durchgesprochen hätten. Alle Mitglieder der Kommission, welche die Studentin an dem Tag prüften, gaben übereinstimmend an, dass sich der Aktenvortrag der Studentin sehr stark an der Lösungsskizze orientiert habe. Außerdem sei ihr aufgrund der eher bescheidenen Vorleistungen nicht zugetraut worden, nun die landesweit beste Note zu erzielen. Wie würden sich angehende Juristen bei dieser Fallbeschreibung entscheiden? Für das Landesprüfungsamt oder für die Examenskandidatin?

Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Trier entschied sich für die Darstellung der Klägerin und kassierte den Bescheid des Landesprüfungsamtes, das Prüfungsergebnis in der mündlichen Prüfung zum Steuerrecht aufzuheben (Akz: 5 K 869/10.TR). Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Ausmaß der Übereinstimmungen des Aktenvortrags mit der Lösungsskizze „im Nachhinein […] nicht mehr exakt feststellbar“ sei. Daher fehle ein „maßgeblicher Umstand, der die Annahme einer Täuschungshandlung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises tragen könnte“. Damit schenkte die Justiz den Ausführungen des Professors und seiner Lebensgefährtin Glauben. Der Hochschullehrer hatte als Zeuge ausgesagt, dass er das Aktenstück erst am Vortag der Prüfung zwischen zwei Vorlesungen vorbereitet und am Abend bei einem Spaziergang mit seiner Lebensgefährtin nicht darüber gesprochen habe. Es entspreche „nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Prüfer nicht Willens bzw. in der Lage ist, vertraulich zu behandelnde Prüfungsunterlagen gegenüber ihm persönlich nahestehenden Personen geheim zu halten“, schreiben die Richter in ihrer Urteilsbegründung. Weiter heißt es: „Nach dem Ergebnis der Zeugeneinvernahme steht danach für die Kammer fest, dass die Klägerin über den Zeugen keine Kenntnis vom Inhalt des der Prüfung zugrunde liegenden Aktenstückes hatte“.

Ein einziger Zeuge

Doch auch nach dem Prozess bleiben zentrale Fragen unbeantwortet. Warum waren bei der Verhandlung neben dem Professor keine weiteren Zeugen geladen worden, beispielsweise die Mitglieder der Prüfungskommission oder andere Prüfungskandidaten vom 12. Mai 2009, dem Tag der Prüfung? Heidi Heinen, Mediendezernentin des Verwaltungsgerichts und an der Verhandlung beteiligte Richterin, sagt dazu: „Wir haben es im Kollegium nicht als sinnvoll betrachtet, weitere Zeugen zu laden“. Dabei hätte bei einer Befragung beispielsweise die Aussage der Examenskandidatin widerlegt werden können, dass die Prüfung nur „absolute Grundlagen des Einkommenssteuergesetzes“ behandelt habe. Nach Informationen von 16vor beinhaltete das Aktenstück der Prüfung drei kleinere Fälle, von denen einer nicht einmal im einschlägigen Kommentar nachzulesen gewesen sein soll; also alles andere als die Abfrage absoluter Grundkenntnisse.

Davon abgesehen galt die Studentin während ihres gesamten Studiums als potenzielle Durchfallkandidatin. Neben dem Prädikat „besonders hervorragend“ in der mündlichen Prüfung erhielt sie durchweg unterdurchschnittliche Noten. Hierzu erklärte das Gericht: „Dass das Ergebnis des Aktenvortrags in keiner Weise dem Leistungsbild der Klägerin entspricht, rechtfertigt für sich alleine nicht die Annahme, dass die Klägerin das Ergebnis durch eine Täuschungshandlung herbeigeführt hat“. Weiter befanden die Richter: „Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein vom generellen Leistungsbild her schwacher Kandidat keine sehr gute Einzelleistung zu erbringen vermag“. Dass einer der Richter seit vielen Jahren Lehrbeauftragter an der Uni Trier ist und bei der Verhandlung einen seiner Fachbereichskollegen vernahm, wirkt für Außenstehende zumindest fragwürdig. Gegenüber 16vor wollte sich der Richter dazu nicht äußern. Bei der Urteilsbegründung schließlich stützte sich das Gericht auf den Umstand, dass bei der mündlichen Prüfung kein Wortprotokoll geführt wurde. Damit wurden gleichfalls die übereinstimmenden Notizen der vier Prüfer unberücksichtigt gelassen.

Beim Landesprüfungsamt in Mainz wird man sich derweil weiter damit beschäftigen müssen, warum der Professor für die Prüfungskommission am Verwaltungsgericht zugelassen wurde. Das Zweite Juristische Staatsexamen, auch als Befähigung zum Richteramt bezeichnet, wird traditionell von Praktikern geprüft. Die Beteiligung eines Hochschullehrers im Fach Steuerrecht, das an diesem Tag geprüft wurde, gilt dem Vernehmen nach als absolute Ausnahme. Auch hätte das Prüfungsamt durch einen Antrag dafür sorgen können, dass weitere Zeugen zur Verhandlung am 16. Februar geladen werden. Warum aber begnügte sich das Amt mit dem Lebensgefährten als einzigem Zeugen? Eine Anfrage von 16vor ergab, dass sich die Unterabteilung des Justizministeriums schlicht zu sicher war, den Fall zu gewinnen. Deshalb wurde lediglich das Aktenstück mit den Aussagen der Mitglieder der Prüfungskommission am Verwaltungsgericht zur Verhandlung eingereicht, ansonsten vertraute man auf die Amtsermittlung des Gerichts.

Koblenzer Richter müssen entscheiden

Die Richter gaben der Studentin Recht, sie darf damit ihre Prüfungsnote behalten und muss bis auf weiteres nicht ein weiteres Mal antreten. Richterin Heidi Heinen vom Verwaltungsgericht räumte auf Nachfrage jedoch ein, dass „ein Geschmäckle“ bleibe. Auch die Kollegen aus der juristischen Fakultät rümpfen ob der Vorfälle die Nase, öffentlich möchte sich jedoch niemand äußern. Der Professor selbst behauptet, dass niemand der am Gerichtsverfahren Beteiligten davon ausgegangen sei, dass er sich bewusst für die Prüfungskommission am 12. Mai 2009 beworben habe. Und der ehemalige Universitätspräsident Professor Peter Schwenkmezger will von den Ereignissen gar nichts mitbekommen haben. Auf Anfrage verteidigt er den Rechtsprofessor als einen „allseits geschätzten Kollegen“, der auch bei den Studierenden beliebt gewesen sei. Recherchen von 16vor ergaben jedoch, dass der Hochschullehrer mit Durchfallquoten von 50 Prozent und mehr dafür sorgte, dass der Schwerpunkt Steuerrecht bei den Studierenden immer unbeliebter wurde und heute kaum noch geprüft wird.

Nun wird das Oberverwaltungsgericht entscheiden müssen, ob bei der Prüfung tatsächlich alles mit rechten Dingen zuging. Die Berufung des Landesprüfungsamts wurde zugelassen. Die Absolventin mit dem Ausreißer nach oben hat mittlerweile eine Stelle bei einer international tätigten Anwaltskanzlei gefunden. Der Professor wird die Universität Trier zum Wintersemester gen Süden verlassen. Ob der Weggang im Zusammenhang mit möglichen Konsequenzen im Falle einer erfolgreichen Berufung steht? Der Rechtsgelehrte widerspricht: „Mein Wechsel ist die Rückkehr an meine Heimatuniversität“, dieser habe mit der Prüfung im Mai 2009 „nichts zu tun“.

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