Wer hat an der Uhr gedreht?

Im Circus Roncalli ticken die Uhren anders, und trotzdem vergeht die Zeit im Fluge: Fotos: Malte LegenhausenNachdem schon am vergangenen Dienstag die über einhundert Jahre alten Zirkuswagen des Circus Roncalli in Trier einliefen und das 16 Meter hohe Zelt errichtet wurde, trudelten am vergangenen Freitag auch die Clowns in der Stadt ein – und suchten erst mal ihr Zirkuszelt. Vom Hauptbahnhof zogen sie zur Porta Nigra und durch die Innenstadt zur Basilika. Dabei hielten sie ständig Ausschau nach ihrem Zirkus und fragten Passanten nach dem Weg – oder jonglierten mit dem Obst des Obstverkäufers auf dem Hauptmarkt. Sie mussten sich beeilen, denn auch, wenn ihr Auftritt in der Fußgängerzone so manchem Kind und Erwachsenen den Tag versüßte – zu ihrer Gala-Premiere von „Time is Honey“ mussten sie pünktlich im Messepark sein.

TRIER. Dass die drei Clowns des Circus Roncalli und ihre weiblichen Begleiterinnen mit ihren auffällig bunten Kostümen in der Innenstadt für Aufsehen sorgen würden, war den Rotnasen sicherlich bewusst. Dass sie aber am Hauptmarkt auf einen weiteren Zirkus stießen, erstaunte Eddy, Sergey und Oriol dann doch. Neben dem Petrusbrunnen führte der „Zirkus Diobili“, ein Sommerferienprojekt für Kinder, in der Mittagshitze Kunststücke vor. Die Roncalli-Artisten schauten den Nachwuchskünstlern nicht nur lange und begeistert zu, sondern mischten sich beim Seilspringen und Turnen auch mal selbst unter die Akrobaten.

Dann mussten sie aber schnell weiter, denn auf der Suche nach ihrem Zirkuszelt, passierten sie noch den Palastgarten und sprangen an der Basilika auf den Touristen-Doppeldeckerbus. Zurück an der Porta Nigra fanden sie endlich ihren Zirkuswagen, der sie zum Messepark brachte, wo der Circus Roncalli bis zum 4. August gastiert.

Viel Zeit bis zur Gala-Premiere am Abend, blieb den Clowns nicht mehr. Sie mussten sich beeilen. Und genau darum geht es Bernhard Paul, Gründer und Direktor des Circus Roncalli, in seiner Show „Time is Honey“ („Zeit ist Honig“), mit der er nach 28 Jahren wieder in Trier seine Zelte aufschlägt. Für ihn leben wir in einer hektischen, schnelllebigen Gesellschaft, in der sich niemand mehr richtig Zeit für sich und seine Mitmenschen nimmt. Mit seinem Zirkus möchte Paul die Zuschauer mit auf eine Reise nehmen, in der sie die Zeit vergessen und einfach nur genießen können. Das begeisterte Trierer Publikum ließ sich am nicht ganz ausverkaufen Gala-Abend gerne auf diese Reise entführen.

Direkt zu Beginn der Show wurde das Thema durch eine riesige Uhr aufgegriffen, die in der Manege lag, und um die herum Michael Ortmeier über Flaschen lief. Paul hatte Ortmeier 2011 bei der ZDF-Sendung „Wetten dass…?“ entdeckt, der ihn an den vor zweihundert Jahren berühmten Clown Auriol erinnerte. Dieser konnte ebenfalls über Flaschen laufen. Als Hommage an ihn tritt Ortmeier in Auriols Kostüm auf.

„Lassen Sie Ihren Kummer draußen und kommen Sie in unsere Herzen. Werden Sie Kind, werden Sie Clown“, verkündete Patrick Philadelphia in rotem Frack als Sprechstallmeister und führte damit in ein abwechslungsreiches Programm, das keine Zeit für Pausen ließ.

Die Akrobatengruppe „Bingo“ wirbelte an Tüchern und Bändern unter dem Zirkuszelt, sodass man gar nicht wusste, wo man zuerst hinschauen sollte. Mit dem waghalsigen Auftritt von „Les Paul“ standen zum ersten Mal auch die drei Kinder des Zirkusdirektors auf Rollschuhen in der Manege. Sie drehten sich mit rasanter Geschwindigkeit auf einem Podest und verbogen sich dazu noch in den Spagat.

Neben schnellen Nummern, fanden sich auch anmutige, sogar romantische Showeinlagen. Die 17-jährige Geraldine Philadelphia jonglierte mit Reifen, während sie andere gleichzeitig um ihre Hüften und den Fuß kreisen ließ. Das ungarische Paar „Duo Viro“ glitt am Vertikaltuch durch die Manege, ihre ruhige Nummer (begleitet vom Lied „You raise me up“) endete mit einem Kuss, der so manchem Zuschauer ein seufzendes „Oh“ entlockte.

Geballte Muskelkraft zeigte das „Trio Laruss“. Als drei goldene Statuen, die zum Leben erwachten, formten sie unterschiedliche Hebefiguren. Dabei sah es aus, als täten sie das in Zeitlupe – die enorme Kraft, die dahinter steckt, ließ sich nur erahnen. Eine der vom Publikum am meisten gefeierten Nummern bot Encho Keryazov, der mit einer schier unglaublichen Körperspannung minutenlange Handstandakrobatik vollführte.

Die von Karl Trunk geleitete Pferdenummer, in der er insgesamt acht Pferde dazu brachte, sich im Kreis zu drehen, auf den Hinterbeinen und paarweise nebeneinander her zu laufen, bräuchte es für einen erfolgreichen Abend gar nicht. Wenngleich die Reaktionen aus dem Publikum eine Vorliebe für Tiereinlagen deutlich machten. Der Circus Roncalli war einer der ersten Zirkusse, der auf wilde Tiere verzichtete, betonte Paul bereits im Juni gegenüber 16vor. „Zirkus ist aus Pferdeshows entstanden. Dann kamen erst Clowns und Akrobaten dazu. Das Pferd ist ein Haustier und von der Haltung kein Problem. Man weiß, was es frisst, was es von der Bewegung braucht. Mich interessieren aber viel mehr die Menschen im Zirkus, vor allem die Clowns.“

Und von denen hat er gleich fünf in die Manege geholt. Die Clowns – allen voran die beiden KGB-Clowns, deren Namen für die „Kunst von Gestik und Bewegung“ steht (darin sind sie eindeutig Meister) – überbrückten die Umbauarbeiten mit abwechslungsreichen Einlagen. Sie übernahmen aber auch immer wieder die ganze Manege für sich und ihre mitreißend komischen Sketche.

Die Liebe für Details, die sich sowohl an den verzierten Logen als auch an den Kostümen der Popcorn- und Getränkeverkäufer zeigt, findet sich auch in der Show „Time is Honey“ wieder. Sie schafft eine Gesamtatmosphäre, die den Zuschauer völlig in die Zirkuswelt eintauchen lässt. Zwischen dem Geruch von gebrannten Mandeln, der Livemusik des „Royal Roncalli Orchestra“ und den Bildern, die sich einem in- und außerhalb der Manege bieten, kann man nicht anders, als sich fallen zu lassen und die Zeit einfach zu vergessen.

Die zweieinhalbstündige Vorstellung vergeht daher so schnell, dass man sich wundert, als die Clowns am Ende mit verschlafenem Blick und in Nachthemden das Symbol der Uhr wieder aufgreifen und darauf aufmerksam machen, dass es Zeit ist, nun zu gehen. Nur die Glühbirnen am Zirkuszelt brennen noch die ganze Nacht.

Vorstellungen sind immer von Mittwoch bis Samstag um 15 Uhr und 19.30 Uhr und sonntags um 14 Uhr und 18 Uhr. Tickets gibt es hier oder an der Kasse beim Zirkuszelt; am 28. Juli gewährt der Circus Roncalli von 10 bis 12 Uhr einen Blick hinter die Vorhänge am Tag der offenen Tür.

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