„Wenn man für etwas brennt, macht es total Spaß“

JuliaReidenbachBrücken verbinden, helfen über Trennendes hinweg – sofern man sie passiert. Doch viele Menschen, die im Westen der Stadt leben, verschlägt es eher selten auf die andere Moselseite – und umgekehrt: Wer östlich der Uferstraße lebt, findet nur sporadisch den Weg in das Quartier links des Flusses. Der Musikerin Julia Reidenbach hingegen gelingt es, Trierer aus Ost und West näher zu bringen – mit ihrem vor zwei Jahren gegründeten „Chor über Brücken“. Kinder und Lehrer von Kurfürst-Balduin-Realschule plus und Egbert-Grundschule singen gemeinsam, Jungen und Mädchen mit sozialen Hintergründen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Schon auf der ersten Chorfreizeit seien viele der jungen Sänger wie selbstverständlich aufeinander zu- und ungezwungen miteinander umgegangen, berichtet die Initiatorin. Nur bei den Erwachsenen überwiege noch die Zurückhaltung, berichtet Julia Reidenbach, die gleichwohl schon eine Idee hat, wie sich auch hier mögliche Vorbehalte überbrücken lassen könnten.

TRIER. Julia Reidenbach wollte nicht nach Trier-West. Als die gelernte Erzieherin eine Stelle in der Kurfürst-Balduin-Schule angeboten bekam, hielt sich ihre Begeisterung zunächst in Grenzen. Inzwischen jedoch will Julia Reidenbach nicht mehr weg aus Trier-West; jetzt, wo sie so viele Menschen dort kennengelernt hat, allen voran Kinder, mit denen sie musiziert, aber auch deren Eltern. Was ihr an den Trier-Western gefällt? „Dass sie sagen, was sie denken“, antwortet die Pädagogische Fachkraft ohne Umschweife. Julia Reidenbach kommt diese Direktheit entgegen, auch sie hält mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg, spricht offen aus, was sie bewegt und denkt, und was sie berührt. Meist sind es ohnehin positive Dinge, von denen sie erzählt.

Eher unangenehm hingegen ist ihre Erinnerung an die spontane Bemerkung eines Drittklässlers der Egbert-Schule. Sie stand noch ganz am Anfang, hatte gerade erst mit ihren Proben begonnen, da berichtete Julia Reidenbach den Kindern, dass sie in Trier-West arbeite. „Oh Gott, Trier-West“, habe ein Schüler daraufhin gesagt. Die heute 31-Jährige, die einst ja selbst nichts in den Stadtteil auf der linken Moselseite zog, war schockiert. Doch der Vorfall sollte sich auch als Glücksfall herausstellen – weil er zu so etwas wurde wie eine Initialzündung. Denn dass es offenbar schon im Kindesalter Vorbehalte und -urteile gegenüber Menschen aus anderen, weniger gut situierten Stadtteilen gibt, dass war ihr bis zu diesem Zeitpunkt so noch nicht bewusst gewesen. Julia Reidenbach sah Handlungsbedarf – und handelte. Beiden Schulen schlug sie vor, ein außergewöhnliches Projekt zu starten: Kinder aus Ost und West sollten sich fortan gemeinsam Gehör verschaffen, mit dem „Chor über Brücken“. Die Kollegien beider Schulen hätten die Idee „sofort super gefunden“, erinnert sie sich.

So plante die junge Frau das erste Chorwochenende, nach Gerolstein sollte es gehen. Zwei Tage, eine Nacht, allein die Finanzierung musste noch gestemmt werden. Denn was die meisten Eltern im Osten wohl locker leisten können, hätte manche Eltern im Westen finanziell eventuell überfordert oder zumindest davon abgehalten, ihr Kind mit auf die Freizeit zu schicken. Also wandte sich Julia Reidenbach an die Nikolaus-Koch-Stiftung, die eine großzügige Unterstützung zusicherte und so allen Kindern die kostenlose Teilnahme an dem Probenwochenende ermöglichte. Wobei die Bezeichnung „Freizeit“ nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass die Jungen und Mädchen gleich zum Auftakt intensiv proben mussten; Textarbeit, Stimmbildung, alles, was so dazugehört.

Fast 40 Kinder der dritten bis siebten Klassen machten sich im März 2012 auf den Weg in die Eifel, mit dem Zug ging es nach Gerolstein. Und schon in der Bahn habe sich die Gruppe „ordentlich gemischt“. Statt in den eigenen Cliquen zu verharren, seien viele Kinder neugierig aufeinander zu- und unverkrampft miteinander umgegangen. „Da haben dann abends die aus Trier-West denen aus der Egbert-Schule beim Betten beziehen geholfen, und die aus Ost haben den anderen versucht, eine deutliche Aussprache einzuüben“, berichtet Julia Reidenbach sichtlich amüsiert. Mit ihrer ansteckenden Begeisterung unterhält die Musikerin nun auch die Gäste an den Nachbartischen des Cafés, vor dem sie interviewt wird.

Ob es denn keinerlei Probleme oder Konflikte gegeben habe? Nein, betont die Chorleiterin und ergänzt sofort: „Allenfalls solche, wie sie zwischen Kindern in diesem Alter auch sonst üblich sind“. Sie sei selbst überrascht gewesen, wie unkompliziert die Kinder miteinander umgingen, ergänzt sie noch, „ich habe mir das auch viel heftiger vorgestellt“. Wo sich doch die Gemeinsamkeiten zwischen den Kindern beider Schulen in Grenzen halten. Julia Reidenbach beschreibt die Unterschiede an einem konkreten Beispiel: „Wenn ich in Egbert frage, wer ein Instrument spielt, zeigen fast alle auf. Wenn ich dieselbe Frage in Trier-West stelle, zeigen allenfalls zwei auf – an der ganzen Schule“. Dass die soziale Herkunft und der intellektuelle Hintergrund der Eltern darüber entscheiden, ob ein Kind sich musikalisch betätigen darf oder nicht, ist für Julia Reidenbach eine Ungerechtigkeit, die sie um- und antreibt. Aber, stellt sie auch sofort klar, „wir sind kein integrativer Chor“.

Die Kinder sollten „schon singen können“, konkretisiert die Chorleiterin, „mir ist schon wichtig, dass ein musikalisches Talent gegeben ist.“ Aber, ergänzt sie gleich darauf, es soll allen auch Spaß machen. Das Singen vom Blatt, wie es beispielsweise in professionellen Chören wie den Trierer Sängerknaben schon früh gelehrt wird, steht bei ihr nicht auf dem Programm. Das könne man von Kindern, die kein Instrument spielten, auch nicht verlangen; gutes Nach- und Mitsingen erwartet Julia Reidenbach und berichtet jetzt von einem sehr schüchternen Jungen, der noch Wochen nach seinem ersten Solo stolz wie Oskar von seinem Auftritt berichtet habe.

ChorüberBrückenDas sind dann die Momente, welche die Mühe mehr als aufwiegen. Denn dass das Projekt ihr auch einiges abverlangt, leugnet die Initiatorin nicht. „Das ist echt schon Arbeit“, sagt sie, „aber wenn man für irgendwas total brennt, dann macht das auch total Spaß“. Julia Reidenbach brennt – für das Chorprojekt, für die Musik sowieso. Die Tochter des bekannten Trierer Kirchenmusikers Joachim Reidenbach hat die musikalische Leidenschaft geerbt und Gesangsunterricht genommen. „Aber wenn mich jemand musikalisch wirklich geprägt hat, dann würde ich sagen: meine beiden älteren Brüder Christian und Benedikt“. Benedikt Reidenbach, der unter anderem in Luxemburg, Bosten und Amsterdam Gitarre und Jazz-Improvisation studierte, lebt und arbeitet heute in Berlin. Im März nächsten Jahres wolle man gemeinsam ins Studio gehen und mit einer Auswahl des Chores von ihr komponierte Lieder einspielen, kündigt seine Schwester an. Und dann sind da noch die Formationen, in den sie selbst als Sängerin aktiv ist: „Fine Tact“ etwa, und, gemeinsam mit Tanja Silcher, „Zweierlei“.

Derweil zeichnen sich schon die weiteren Projekte des „Chor über Brücken“ ab: In der Weihnachtszeit soll es wieder zwei Konzerte geben, voraussichtlich in Trier-Nord, wo man erneut in St. Ambrosius auftreten wird, und in Trier-West. Warum nicht auch in Trier-Ost? „Wir wären gerne schon bei unserem ersten Konzert nach St. Agritius gegangen, aber das wurde vom zuständigen Pfarrer abgelehnt, weil ihm das Programm zu weltlich war“, berichtet Reidenbach. Ob sie denn einen neuerlichen Versuch starten werde? „Ich renne niemandem hinterher“, sagt sie nun resolut und konzentriert sich stattdessen auf die Ankündigung weiterer Neuerungen, die schon spruchreif sind. So wird es bald freitags Chorstunden in der Grundschule St. Matthias geben, an denen dürfen dann auch Kinder aus anderen Stadtteilen teilnehmen.

Der „Chor über Brücken“ öffnet sich, im kommenden Jahr vielleicht sogar für Väter und Mütter. Denn da gebe es durchaus noch Berührungsängste zwischen Ost und West, hat Julia Reidenbach beobachtet, was wohl auch daran liege, dass die Eltern bislang nur selten miteinander in Berührung kämen. Weil manche aber schon ihr Interesse daran signalisiert hätten, selbst mitzusingen, denkt Julia Reidenbach über diese Möglichkeit nun ernsthaft nach.

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