„Solar-Else“ kämpft weiter
Der Bericht des „Club of Rome“ öffnete Else Fichter die Augen, seine Lektüre ließ aus der leidenschaftlichen Autofahrerin Anfang der 70er Jahre eine unermüdliche Umweltaktivistin werden. In den vergangenen vier Jahrzehnten stieg die spät berufene Ökologin nicht wenigen aufs Dach – etwa wenn es darum ging, Sonnenenergie zu produzieren oder der Atomkraft den Garaus zu machen. Sie sponserte Photovoltaikanlagen, investierte in Windräder und redete jedem ins Gewissen, der ihrer Ansicht nach noch nicht zur ökologischen Vernunft gekommen war. Von ihrem kleinen Apartment in einem Trierer Altenzentrum führt Else Fichter ihren Kampf gegen Cattenom, Kohlestrom und rund um die Uhr beleuchtete Aquarien unbeirrt fort. Mit dem ihr eigenen Charme versucht „Solar-Else“ weiterhin, die Energiewende im Großen und Kleinen voranzubringen. Marcus Stölb besuchte die alte Dame und verabschiedet sich mit diesem Text von den Leserinnen und Lesern von 16vor.
TRIER. „Wenn Frau Fichter das sieht, flippt sie aus“. Es klingt wie eine freundliche Vorwarnung, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Ich stutze, mustere die beiden Tassen vor mir. Darin frischer Kaffee, der eine schwarz, der andere mit aufgeschäumter Milch – nichts ungewöhnliches eigentlich. „Wenn Frau Fichter was sieht?“, frage ich nun ebenso höflich wie hilflos zurück. „Die ganzen Zuckerstückchen auf Ihrem Unterteller“, antwortet die freundliche Mitarbeiterin der Caféteria nachsichtig. Frau Fichter werde sich doch wohl nicht noch Sorgen um meine Gesundheit machen, suche ich nach einer möglichen Erklärung für die offenkundige Besorgnis. „Nein, aber das ist doch alles Verpackung“, klärt mich die junge Frau auf und berichtet jetzt von Frau Fichters gelegentlichen Auftritten im Frühstücksraum des Altenzentrums; davon, wie sie ihre Mitbewohner schon mal mit Nachdruck zum Strom sparen anhält und fürs Abfall vermeiden sensibilisiert. Auch von morgendlichen Unterschriftensammlungen für das schnellere Abschalten von Atomkraftwerken ist die Rede. „Die Frau ist echt cool“, sagt die Cafeteria-Mitarbeiterin noch, „ich finde das gut, dass sie das macht“.
Drei Stockwerke darüber: „Energiesparen ist clever!“ steht auf einem Aufkleber, der in zweifacher Ausführung auf und neben der Außentür zu Else Fichters Apartment klebt. „Einen Moment bitte“, ertönt es nach dem Klopfen mehr singend als sagend aus dem Innern. Auf ihren Rollator gestützt, empfängt die Bewohnerin ihren Besucher. Sie trägt ein kariertes Hemd, strahlt und blickt ihr Gegenüber mit hellwachen Augen an. Ganz die Alte, vielleicht ein paar Jährchen älter. Auf Else Fichters kleinem Tisch stapeln sich die Zeitungen, auch die Stühle sind belagert mit Lektüre. Natürlich darf das Greenpeace-Magazin nicht fehlen, Else Fichters Pflichtlektüre seit vielen Jahren. „Ich war schon Umweltaktivistin, da gab es Greenpeace noch nicht“, sagt sie und lacht jetzt ihr „Solar-Else“-Lachen. Ihre Behauptung wird den Fakten-Check nicht überstehen. Schließlich ist Else Fichter in gewissem Sinne eine Spätberufene: Es brauchte den Bericht des „Club of Rome“, um aus ihr eine Umweltaktivistin zu machen. Der „Club of Rome“ zeigte 1972 die „Grenzen des Wachstums“ auf, 1971 war im kanadischen Vancouver Greenpeace gegründet worden.
In Else Fichters Biographie gibt es ein Leben vor und eines nach 1972 – beide haben nicht mehr viel gemein. Vor 72 war sie eine veritable Autonärrin, sieben PS-starke Fahrzeuge besaß sie, eines nach dem anderen, versteht sich. Dafür, dass ihre Karossen nicht unbewegt in der Garage standen, hatte sie früh gesorgt – indem sie eine Stelle am Gymnasium Saarburg annahm. Eine vergleichbare Möglichkeit in Trier schlug sie aus, den Weg dorthin hätte sie nur zu Fuß zurücklegen können. Eine Schülerin aus den 80er erinnert sich noch gut und gerne an ihre damalige Lehrerin. „Resolut“ sei diese gewesen, „vom Typ her eher alte Schule“. Doch habe man bei Else Fichter viel gelernt, und ihren ganz eigenen Charme habe sie schon damals gehabt. Die Schülerin erinnert sich auch daran, dass Else Fichter allmorgendlich mit ihrem Wagen samt Fuchsschwanz an der Antenne vorfuhr. „Mein vorletztes Auto war ein Manta“, sagt Else Fichter, „ohne Fuchsschwanz“, korrigiert sie die Erinnerungen ihrer einstigen Schülerin. Mit ihren Autos fuhr sie mit Vorliebe auch die Simeonstraße entlang – als diese und andere Straßen noch nicht Teil einer Fußgängerzone waren. Was sie davon gehalten hat, dass die Autos von dort verbannt wurden? „Wahrscheinlich fand ich das damals ziemlich blöd“, sagt sie trocken; so genau wisse sie das aber nicht mehr.
Das Telefon klingelt, ein Mitarbeiter des SWR-Fernsehens ruft an. Es geht um einen Dreh, der wenige Tage später über die Bühne gehen soll. Vor blühenden Apfelbäumen will der Sender Else Fichter filmen, auf dem Mohrenkopf, hoch über den Dächern Triers. Dem jungen Anrufer erzählt sie lebhaft von früheren Protestaktionen gegen das nahe gelegene Atomkraftwerk Cattenom – „da habe ich mal auf der einen und das andere Mal auf der anderen Moselseite gesessen“. Bisweilen erinnert sie sich nicht mehr an den Anlass einer Demonstration: „Ich weiß nicht mehr, wogegen ich damals war“, sagt sie dann, „bestimmt gegen Cattenom oder so“. Sie überlegt, setzt wieder an: „Gorleben war es bestimmt nicht. Aber wenn das nicht so weit weg wäre, hätte ich mich da auch mal auf die Schienen gesetzt“.
Auf ihrer Fensterbank türmen sich Unterschriftenlisten. Die aktuelle Forderung: Das französische Atomkraftwerk Fessenheim am Oberrhein muss alsbald abgeschaltet werden! Stolz hebt Else Fichter die mehr als 500 Unterschriften, die sie selbst gesammelt oder über Freunde organisiert hat, in die Luft. „Die schicke ich jetzt zu Greenpeace nach Hamburg“. Es folgen ein paar wenig schmeichelhafte Bemerkungen über den Präsidenten der Republik – Francois Holland ist bei ihr unten durch. Anders als Triers Noch-OB Klaus Jensen: „Das ist ein klasse Mann“, schwärmt Else Fichter, „schade, dass er nicht nochmal antritt“.
Dass der Oberbürgermeister als Aufsichtsratschef der Stadtwerke wesentlichen Anteil daran hatte, den regionalen Versorger auf erneuerbare Energien zu trimmen, ist so ganz nach ihrem Geschmack. Wie auch das geplante Pumpspeicherkraftwerk bei Riol ein Projekt ist, dass sie unterstützen möchte. „Die 500 Millionen werde ich nicht haben“, sagt Else Fichter, schmunzelt und schunkelt jetzt ein wenig in ihrem Stuhl, „aber ein kleines Sümmchen…“ Wenn sie von etwas überzeugt war, hat sie schon viele kleine und auch großere Sümmchen investiert und gespendet. Etliche Solarkraftwerke wären ohne ihre Unterstützung nie geplant und errichtet worden, und auch am ersten Windrad der Region war sie beteiligt. Ende der 1970er war das, bei Trierweiler wurde das „Windrädchen“ (O-Ton Fichter) aufgestellt. „Das hatte noch drei Füßchen und war das erste in einem Mittelgebirge. Davor standen die nur an der Küste“. Kürzlich unterstützte Else Fichter die Initiatoren des Trierer „Repair Cafés“ mit einer großzügigen Geldspende – die Wegwerf-Mentalität ist ihr zutiefst suspekt.
Draußen dämmert es, im Zimmer wird es merklich dunkler. Es wäre nun an der Zeit, eine Lampe anzuschalten. Doch Else Fichter macht keinerlei Anstalten und bittet auch nicht darum, Licht ins Dunkel zu bringen. Vielmehr genießt sie die Dämmerung in den eigenen vier Wänden und berichtet davon, dass sie zum Mittagessen nur selten die Caféteria aufsucht – weil dort immer alle Lampen brennen, was ihr – Stichwort Energiesparen – ein Dorn im Auge ist. Bisweilen tritt die alte Dame noch so auf, wie sie vor Jahrzehnten auch am Gymnasium gewirkt haben muss: resolut, manchmal ungeschmeidig und doch irgendwie auch immer liebenswert. Hat sie sich etwas in den Kopf gesetzt, gibt sie so schnell nicht auf. Das gilt auch für ihr neuestes Vorhaben: Auf dem Dach ihres Altenzentrums möchte sie alsbald eine Photovoltaikanlage sehen, von ihr finanziert. Bis es soweit ist, kämpft sie weiter fürs Energiesparen und stellt schon mal die Beleuchtung des Aquariums auf ihrem Gang aus. Dass die Fische Tag und Nacht angestrahlt werden, sei ja nicht nur Energieverschwendung, sondern auch Tierquälerei. Und Tierschutz liegt Else Fichter ebenfalls sehr am Herzen.
Mag sie auch keine direkten Nachkommen haben, denkt die 87-Jährige doch nahezu täglich an kommende Generationen. Von ihrem Idealismus hat sie auf ihre alten Tage nichts eingebüßt, nun steuert sie ihren Kampf für saubere Energie und gegen Kernkraft von einem wenige Quadratmeter großen Apartment aus. Es sind Menschen wie sie, von denen eine Stadt nicht genug haben kann.
Und wie ist das nun mit den Zuckerstückchen? „Kein Problem“, sagt Else Fichter vollkommen unaufgeregt, bevor sie freundlich aber bestimmt ergänzt: „Wenn die Verpackung ins Altpapier kommt „.
Anmerkung des Autors: Mit diesem Beitrag verabschiede ich mich nach sieben Jahren als Redaktionsleiter von 16vor und bedanke mich bei den Leserinnen und Lesern für vielfältige Erfahrungen, interessante Gespräche, prägende Begegnungen und die wohlwollende und auch kritische Begleitung meiner Arbeit.
von Marcus Stölb