„Bei uns kommen einfach alle vorbei“

freweini1 (1)Es war ein Zufall, dass die 17-jährige Äthiopierin Freweini Kidane vor einigen Jahren einen Entwicklungshelfer aus Trier kennenlernte. Jetzt lebt sie bereits seit fast einem Jahr in verschiedenen Trierer Gastfamilien, Ende Juli kehrt sie in ihr Heimatland zurück. Freweini schätzt die Organisiertheit und Pünktlichkeit ihres Gastlandes – und wundert sich doch zugleich über manche Eigenart der Deutschen. Etwa die, für jede Feier erst einmal umständlich Einladungen auszusprechen und vorab ihre Kinder zu fragen, ob sie zu Besuch kommen dürfen. Gut möglich, dass Freweini Kidane in nicht allzu ferner Zukunft wieder in Deutschland leben wird – als Studentin der Medizin.

TRIER. „Wie heißt ‚Teff‘ eigentlich auf Deutsch? Kann man das überhaupt auf Deutsch sagen?“ Ratlos blickt Freweini in die Runde, doch weder ihre Gasteltern Alexandra und Mike Otto noch Gastschwester Vanessa (14) können der 17-jährigen Äthiopierin eine Antwort geben. Fest steht nur: Teff ist ein wesentlicher Bestandteil des typisch äthiopischen Gerichts Injera, eine Art Fladenbrot aus Sauerteig. Freweini, die mittlerweile seit fast einem Jahr in Deutschland lebt, hat es schon mehrfach für Familie Otto, ihre vierte und letzte Trierer Gastfamilie, gekocht. Jetzt würde die Jugendliche, die innerhalb eines Jahres fließend Deutsch gelernt hat, gern ihr Lieblingsgericht erklären können. Gastvater Mike hat schließlich eine schnelle Lösung parat: Mit dem Tablet-PC findet er innerhalb weniger Sekunden heraus, dass „Teff“ bei uns unter dem Namen „Zwerghirse“ bekannt ist.

Mal eben schnell ein Tablet aufklappen, zügiges WLAN nutzen, mit ein paar Klicks ein Zugticket buchen und das ganze Land bereisen – das sind technische Standards und Freiheiten, die für Freweini ziemlich neu sind. Die sie in ihrer Heimatstadt Mekelle nie genossen hat. „Ich kenne mittlerweile viel mehr von Deutschland als von Äthiopien“, stellt die lebenslustige junge Frau fest. Dass sie zwölf Monate in Trier lebt, geht auf den Einsatz mehrerer Mitglieder des Rotary Clubs Trier-Porta zurück.

Rotary International ist eine weltweite Vereinigung, die sich in regionalen Clubs für Frieden, Völkerverständigung und die Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen überall auf der Welt einsetzen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Projektarbeit ist der Jugendaustausch. Doch aufgrund von rechtlichen, organisatorischen und sicherheitstechnischen Hürden bleibt der Austausch mit dem schwarzen Kontinent lediglich auf Südafrika beschränkt. Eine Ausnahme unter allen deutschen Rotary Clubs ist der RC Trier-Porta mit seinen rund 60 Mitgliedern: Er hat ein eigenes, unabhängiges Austauschprogramm auf die Beine gestellt.

Wie es dazu kam, erklärt Mike Otto, ehrenamtlicher Sekretär im Vorstand des Clubs: „Der Sohn unseres Rotariers Bert Hofmann arbeitet als Entwicklungshelfer und hat Freweini, eine Halbwaise, vor einigen Jahren kennengelernt. Über seinen Vater wurde der Club auf die Jugendliche aufmerksam und beschloss, sie auf eigene Kosten nach Deutschland zu holen.“ Der privat organisierte Austausch ist ein Einzelfall – und das würdigt Freweini durch großes Engagement. Sie hat sich gut in die insgesamt vier Gastfamilien integriert, hat in Deutsch-Kursen schnell die Gastsprache gelernt und nimmt an zahlreichen Veranstaltungen des offiziellen Rotary-Programms in ganz Deutschland teil. So konnte sie nebenbei auch Schloss Neuschwanstein und das Musical „Rocky“ in Hamburg sehen.

Jeweils drei Monate lebte Freweini bei einer Gastfamilie. Schon nach kurzer Zeit fühlte sie sich auch bei Familie Otto im Stadtteil Feyen heimisch. „Sie ist für uns wie ein zweites Kind geworden“, sagt Alexandra Otto. Der Austausch habe für beide Seiten etwas Bereicherndes, und man habe viel voneinander lernen können. So bewundert Alexandra die Spontaneität ihres Gastes: „Ich habe von Freweini gelernt, gelassener zu sein – man muss nicht immer alles im Voraus perfekt organisiert haben.“ Freweini lobt die Pünktlichkeit und Organisiertheit, wundert sich aber über manche Sitten der Deutschen. Etwa die Pflicht, zu einer Feier Einladungen auszusprechen. „Bei uns kommen einfach alle vorbei, wenn etwas gefeiert wird“, erklärt Freweini. So habe sie sich sehr gewundert, als die Eltern von Gastmutter Alexandra gefragt hätten, ob sie zu Besuch kommen könnten: „Das ist bei uns alles viel selbstverständlicher.“

Freiweinis Vater starb, als sie sieben Jahre alt war. Seither lebt sie mit ihrer Mutter, einer älteren Schwester, einer Cousine und zwei Halbbrüdern zusammen. Per Skype hält sie den Kontakt nach Zuhause. „Wir haben in Äthiopien einen stärkeren Zusammenhalt in den Großfamilien“, sagt sie. Wenn Ende Juli die Rückkehr nach Äthiopien ansteht, muss das kein Abschied für immer sein. Denn seit einem Praktikum in einem Trierer Krankenhaus hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt: „Mein Traum wäre es, Medizin in Deutschland zu studieren“, sagt sie und weiß, dass dem noch einige Hürden im Weg stehen. Die Trierer Rotarier wollen Freweini nach Möglichkeit bei diesem Ziel unterstützen. Doch erst einmal gilt es, in Äthiopien die Schule zu beenden.

Was sie nach ihrer Rückkehr am meisten vermissen wird? Da muss Freweini nicht lange überlegen: „Meine Gastfamilien – und ganz sicher den Schnee.“

Michael Merten

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