Aufbruch zu neuen Ufern
„Die ewige Unruhe der Kunstschule. Sie ist nicht ein Zeichen von Schwäche, sondern sie ist ein Zeichen der Aktivität des Wirklichen.“ Diesen Satz Gustav Hassenpflugs aus dem Jahr 1956 haben Studenten und Kollegium in der Abschlussfeier zum 100-jährigen Bestehen der Hochschule für Gestaltung Trier mit Leben erfüllt. Unter dem Titel „Ewige Unruhe“ zeigten sie Beispiele auf dem Weg zur kreativen Stadt, in der die Studenten nicht im Elfenbeinturm Hochschule sitzen, sondern ihre Ideen, ihre Kreativität einbringen und umsetzen – über Fächer- und Landesgrenzen hinweg. „Wir wollen Trier als älteste Stadt Deutschlands und das Neue zusammenbringen“, erklärte Dekan Professor Franz Kluge.
TRIER. Unruhig flackern Lichtfetzen über die Fassade der Hochschule Trier am Paulusplatz. Die älteren unter den mehr als 1500 Gästen werden sich wohl an das frühere Testbild im Fernsehen erinnert fühlen. „Binary Patina – architectural remix“ nennt sich die Fassadenprojektion des in Trier lebenden Medienkünstlers Jeong Ho Park, die Michael Kreft alias Flextronic und Marcus Haberkorn alias Myom (Klänge) mit mal auffordernden, mal sphärischen Klängen unterlegen. Das Thema zur Abschlussveranstaltung des Jubiläumsjahr des Fachbereichs Gestaltung an der Hochschule Trier, „Ewige Unruhe – 100 Jahre Paulusplatz und mehr!“, ist gut gewählt.
Anfangs bilden sich bunte Lichtsäulen zwischen den Fenstern, erinnern an die römische Vergangenheit der ältesten Stadt Deutschlands, gehen in kubistische, geometrische Muster über – eine der Stilrichtungen, die zu Zeiten der Gründung der damaligen Handwerker- und Kunstgewerbeschule im Jahr 1912 en vogue war. Nach und nach wechseln die Farben und Muster; Parabeln und Zahlenkolonnen rasseln über die Wand – der Computer hält Einzug in die Lehre an der heutigen Hochschule, Fachbereich Gestaltung.
Erkennbar ist dies nicht nur außen. Wurde früher in den Werkstätten und Laboren gesägt, geschnitten, geklebt, ist heute die analog-digitale Schwelle längst überwunden. CNC-Technik, Laser-Cutting, 3D-Visualisierung und Ähnliches haben häufig ihren Platz eingenommen – auch an der Trierer Hochschule. Computer beherrschen weitgehend das Bild. Dies demonstriert eindrücklich die noch junge Fachrichtung Intermedia Design in Gebäude R. Unter dem Titel „Dunkel war’s … call for cooperation!“ zeigen Studenten Installationen mit Licht – vielfach digital erzeugt oder zumindest präsentiert und immer in Kooperation mit weiteren Fachbereichen. Gemeinsam mit Kommilitonen von Innenarchitektur und Kommunikationsdesign erarbeiteten sie 20 Projekte, die sie nun präsentieren und die, so Dekan Professor Franz Kluge, eine „sehr positive“ Resonanz haben. Etwa die Installation „Gezeiten – wir bringen den Fluss in die Stadt“. Aus unterschiedlichen Materialien und Techniken entsteht ein lebendiges Gewässer – inklusive Wasserbewohner.
Im Untergeschoss haben sich Studenten Gedanken gemacht, wie die Unterführung zum Martinsufer in Szene gesetzt werden kann. „Unsere Idee ist eine Bemalung des Tunnels, die in den Hauptgang führt mit einer laserbespielten Skulptur in Richtung Moselufer“, erklärt Andreas Stoffels (23), Kommunikationsdesign-Student. Beleuchtet wird der Weg durch eine Lichtschiene auf dem Boden. „Die fluoreszierenden Graffiti sind mit UV-Farbe gemalt, tagsüber sieht man sie kaum.“ Zur Visualisierung haben er und seine Kommilitonen ein Mauerstück, ein farbiges Modell und einen Miniatur-Prototypen der Skulptur gefertigt sowie einen Film gedreht, der die aktuelle Situation mit der Vision vergleicht.
Beide Installationen gehören zur Programmlinie „trier univers.city – auf dem Weg zur kreativen Stadt“. „Das Wortspiel aus Universität und City soll zum Ausdruck bringen, dass beide Welten zusammenkommen können“, erklärt Dekan Kluge. „Es ist ein Impuls, ein offenes Format, das in viele Richtungen ausgebaut und stabilisiert werden kann.“ So zeigen etwa zwölf Arbeiten von Architekturstudenten im Gebäude am Paulusplatz, was gestalterisch in der alten Lokrichthalle in Trier-West möglich ist. Maria Scheifer lässt beispielsweise nur ein Stahlgerippe stehen, in dessen Mitte sie dreigeschossige Gebäude setzt – alle bestehenden Mauern der Halle sind herausgerissen. Zu sehen sind auch Stadtmarketing-Ideen, die zu einem neuen Corporate Design für Trier münden, eine Masterarbeit von Silvia Gessinger. Und nicht nur zu diesem Thema gibt es Vorträge.
Direkten Bezug zur Hochschule hat das 3D-Strategiespiel „Die ewige Unruhe“ (Download: ewige-unruhe.de), das dem gesamten Abend seinen Namen gab. „Man tippt auf die Punkte, folgt dann den roten Verbindungslinien und baut an denen ein Netzwerk auf“, erklärt Michael Mietzner (24). So entstehen immer größere Komplexe, die es zu pflegen gilt. Der Kommunikationsdesign-Student empfiehlt das Spiel besonders für Tabletts. Denn eine Bewegung über das Display, und schon dreht sich die gesamte Konstruktion. Beim Spielen erfährt der Nutzer in jedem Level mehr über die Geschichte der Gestaltungsschule, beginnend bei einer Bürgerinitiative, die sich 1909 für eine solche stark machte.
„Bei ‚trier univers.city‘ wollen wir Projekte vorstellen, die aus der Hochschule in die Stadt hinausstrahlen“, sagt Mietzner, einer der Mitorganisatoren der Jubiläumsveranstaltung. Dazu gehört auch die Performance „Landgang“, deren Mitwirkende sich als lebendige Lampions wie ein chinesischer Drache durch die Menschenmenge auf dem Paulusplatz schlängeln. Wem das bekannt vorkommt: „Landgang“ in den phantastischen Papiergewändern, ein Projekt des grenzüberschreitenden Cross-Border-Networks, war bereits Bestandteil der Illuminale 2013. Filme und Animationen wie etwa über Rassentrennung oder auch einen Tag im Leben eines Menschen in der Großstadt, inklusive Traum vom Landleben, zeigen Studenten unter dem Titel „Screenworks“ im Gebäude Irminenfreihof. „Die Videos waren interessant und teilweise sehr gut“, meint Informatikstudent Rafael Manussek. „Und die Installation fand ich ziemlich cool!“, sagt der 23-Jährige.
Kluge und sein Team sind „sehr zufrieden“ mit der Besucherresonanz des Abends. „Wir wollten dem Bereich Gestaltung als Campus größeres Gewicht geben und unser urbanes Potential zur Geltung bringen, auch innerhalb der Hochschule“, sagt der Dekan. Denn nicht nur eine gute Außendarstellung, wie sie seit Jahren etwa mit den Modenschauen gelänge, auch die Innenperspektive sei wichtig. „Das wollten wir beispielhaft mit Projekten belegen.“ Heute, das sei ein Beispiel „par exellance“ gewesen. „Wir haben den ganzen Ort verzaubert.“ Ein weiteres Ziel, so Kluge: „Wir wollen Trier als älteste Stadt Deutschlands und das Neue zusammenbringen.“ Dass dies gelingt, konnten die Besucher bei „Binary Patina“ erleben.
Mechthild Schneiders
von 16vor