Zwischen „Waldsofa“ und „Käferplatz“

Waldkita3-kleinNach rund dreijähriger Planungsphase wird seit Anfang Juli im Waldkindergarten die erste Generation Trierer „Waldpänz“ betreut. Wenn Mitte Dezember nun auch die langersehnte Schutzhütte in den Weißhauswald geliefert wird, wird die für die Moselstadt neuartige Waldkita ihr Angebot weiter ausbauen und von Halbtags- auf Ganztagsbetreuung umstellen. 16vor-Mitarbeiterin Julia Olk war mit den „Waldpänz“ unterwegs und sprach mit Erziehern und Eltern über die Vorzüge einer Waldkita für Immunsystem und Feinmotorik der Kinder, und über anhaltende Vorbehalte gegenüber der Einrichtung. 

TRIER-WEST/PALLIEN. Die angenehme Wärme der ersten Sonnenstrahlen im Frühling, die kühlende Wirkung des Walds im Sommer, die sanft fallenden goldenen Blätter im Herbst, oder das Gefühl, wenn die ersten dicken Schneeflocken die Nase kitzeln – den Lauf der Jahreszeiten erleben die neun Kinder des Waldkindergartens „Waldpänz“ tagtäglich live in der Natur. Triers erster Waldkindergarten, das ist eine Kita ohne Dach, Wände und wärmende Heizung, in dem die Betreuung während des gesamten Jahres ausschließlich im Freien stattfindet.

„Außer natürlich bei sehr gefährlichen Witterungsbedingungen wie Sturm oder Schneebruch, halten wir uns mit den Kindern ausschließlich im Wald und am Wildgehege auf“, erzählt Ingo Langner, 1. Vorsitzender des Vereins Waldpänz e.V. „Richtig starken Regen hatten wir erst an zwei Tagen. Dann spannen wir einfach eine Plane oder suchen uns Schutz unter einem der vielen Bäume.“ Langner, dessen vierjähriger Sohn Jonas selbst die Waldkita besucht, ist Mitbegründer des Vereins, der 2010 aus einer Elterninitiative entstanden ist.

Waldkita4-kleinReges Treiben herrscht bereits früh am Morgen auf dem Spielplatz im Weißhauswald. Ausgestattet mit bunten Regenhosen, festem Schuhwerk, Rucksack und Sandspielzeug machen sich die kleinen „Waldpänz“ wie jeden Morgen zunächst auf den Weg zum Wildtiergehege. Aus einer Gruppe mit neun Mädchen und Jungen im Alter von zwei bis sechs Jahren bestehen die „Waldpänz“ zurzeit. Bis zum nächsten Frühjahr werden insgesamt 15 Kinder in zwei Gruppen den Waldkindergarten besuchen, die schrittweise in das Leben der Waldkita eingewöhnt werden, erwarten die Verantwortlichen. Da der Altersdurchschnitt der Kinder aktuell bei zwei bis drei Jahren liegt, werden ein bis zwei Plätze stets für spontan hinzukommende viereinhalb- bis sechsjährige Kinder freigehalten. Nur so kann eine ausgeglichene Alters-Balance der Gruppe gewährleistet werden. „Würden sich heute zum Beispiel die Eltern eines Fünfjährigen bei uns melden, so hätte dieser sofort einen Platz“, erklärt Langner. Auch wenn die „Waldpänz“ Triers erste Waldkinder sind, so ist das Konzept doch keinesfalls neu. Bereits seit den 1950ern werden in Skandinavien immer häufiger Kinder ausschließlich im Wald und außerhalb fester Gebäude betreut. Die erste deutsche Waldkita eröffnete 1993 in Flensburg.

Endlich bei den Tieren angekommen, werden Wildschweine, Rehe und Ziegen wie jeden Morgen ausgiebig von den Kindern begrüßt. „Kasimir, Elfrieda, kommt mal her. Ich habe Futter für euch!“ Hannes, mit sechs Jahren das älteste Waldkind, kennt fast alle Ziegen beim Namen. Etwas weiter „backt“ Henna, warm eingepackt in Mütze und Schneeanzug, aus Zweigen, Tannenzapfen und Sand einen Kuchen und lädt im Anschluss daran stolz alle zum Probieren ein. „Das Besondere ist ganz einfach, dass wir immer draußen sind. Die Kinder lernen so die Verbundenheit zur Natur. Das bedeutet auch, dass wir, bis auf gelegentlich Sandspielzeug, keine handelsüblichen Spielsachen haben, sondern mit dem spielen, was der Wald und die Natur uns bieten“, erzählt Ruth Wollscheid, die zusätzlich zu ihrem Pädagogik-Studium eine Ausbildung zur Walderzieherin absolviert hat.

Waldkita1kleinSo wird beim Spielen der von Alba entdeckte Tannenzapfen schnell in ein Rennauto umfunktioniert, und Hennas Stock zur Kerze für den Sandkuchen. Das freie ungeleitete Spielen im Wald fördert nicht nur die Kreativität der Kinder, sondern auch ihre sprachliche Entwicklung. „Wenn ein Tannenzapfen nun eben kein Tannenzapfen mehr ist, sondern ein Auto, dann müssen die Kinder das ihrem Spielpartner irgendwie mitteilen“, erklärt Wollscheid. Dies erhöhe auch die Konzentrationsfähigkeit der Waldkinder, denn sie könnten nicht, wie in einem Regelkindergarten, aus einem großen Pool an Spielzeugen auswählen, sondern lernten, sich auf wenige Dinge zu konzentrieren.

Der Aufenthalt in der Natur, ungeachtet des Wetters, birgt aber noch weitere Vorzüge. „Gerade während der Erkältungszeit im Winter sind Waldkinder weniger oft krank“, erklärt Langner. Dies liege zum einen daran, dass sie durch den Aufenthalt im Freien ein besseres Immunsystem hätten, zum anderen seien sie nicht den ganzen Tag mit vielen anderen Kindern in einem stickigen Raum mit Heizungsluft. Auch die motorischen Fähigkeiten würden in der Waldkita geschult, so zum Beispiel durch Klettern in unebenem Gelände. „Aus Zweigen, Tannenzapfen und Steinen legen wir oft Mandalas, das schult zusätzlich die Feinmotorik“, fügt Wollscheid hinzu.

Negative Erfahrungen haben die fünf Erzieher der „Waldpänz“ bisher noch keine gemacht, einigen Skeptikern sind sie allerdings schon begegnet. „Es gab auch schon besorgte Eltern oder Großeltern, die beim Jugendamt anriefen und sich darüber beklagt haben, dass die Kinder bei uns bei Wind und Wetter draußen sind“, erzählt Langner. Ein klärendes Gespräch habe die Wogen allerdings schnell wieder glätten können. Generell höre man auch immer wieder Stimmen die kritisierten, Kinder, die ihre komplette Kindergartenzeit im Wald verbringen, würden weniger gut auf die Schule vorbereitet. Diese Meinung teilen Langner und sein Team nicht und merken an, dass besonders Schulanfänger durch eigenständige Projekte und weitere freiwillige Angebote individuell gefördert würden.

Gegen 10.30 Uhr steht dann das erste gemeinsame Frühstück mit anschließendem Morgenkreis auf dem Programm. „Auch wenn die Kinder ihren Tag frei gestalten können und es kein vorgefertigtes Ziel gibt, geben wir gewisse Strukturen und Rituale vor“, erklärt Wollscheid, selbst Mutter eines Kindes. Nachdem alle auf der blauen Fleece-Decke am Wildtiergehege Platz genommen haben, darf heute Leo die Klangschale anschlagen. Noch etwas schüchtern zählt der Zweijährige, der erst seit ein paar Wochen dabei ist, mit Unterstützung der anderen die anwesenden Kinder und rechnet dann, anhand von Steinen aus, welcher Tag ist. Drei Steine legt er auf die Schieferplatte. Für jeden bis heute bereits vergangenen Tag der Woche einen.

Riesige Spielwiese zum Toben und Klettern

Den Wald nicht nur als eine riesige Spielwiese zum Toben und Klettern erleben, sondern auch als einen Ort zum Wohlfühlen und Entspannen, das ist das Ziel der Erzieher. So lernen die Kinder den Wald, der je nach Jahreszeit komplett anders wirken kann, täglich neu zu entdecken. Das Augenmerk der Kinder soll dabei auf das Alltägliche gerichtet werden: die Forstarbeiter beim Zuschneiden der Hecken beobachten oder den Weg einer Schnecke verfolgen, zum Beispiel. Der Platz am Wildtiergehege ist dabei nur einer von fünf fest erschlossenen Plätzen im Weißhauswald, auf denen die Kinder regelmäßig spielen. „Ausgewaschener Weg“, „Wurzelwerkstatt“, „Waldsofa“ und „Käferplatz“, wurden diese von den Kindern getauft, je nachdem welches besondere Merkmal sie aufweisen.

Zurzeit müssen die „Waldpänz“ noch ohne eine Schutzhütte auskommen, in die sie sich bei schlechter Witterung kurz zurückziehen können. Doch Mitte Dezember soll diese nun endlich fertig sein, sodass voraussichtlich ab 15. Dezember der Betrieb auf Ganztagsbetreuung (8-16 Uhr) umgestellt werden kann. Probeweise wird das Studierendenwerk bis kommenden Februar dann auch ein warmes Mittagessen für die Kinder liefern.

Den Abschluss des Morgenkreises bildet ein Herbstlied, das alle „Waldpänz“ gekonnt anstimmen. Auch Leo, der heute zum ersten Mal ohne seinen Papa dabei ist, summt schon leise mit. Als dann passend zum sonnigen Herbstwetter ein paar goldene Blätter durch die Luft und auf die Decke geweht werden, ist die Herbstatmosphäre in der Waldkita perfekt.

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