Auf in ein anderes Land

Wer wird denn gleich den Kopf in den Sand, äh, den Eimer stecken? Die Theatergruppe "Bühne 1" zeigt im Studio des Theaters das Stück "Der Mann in der Badewanne oder wie man ein Held wird". Foto: Bühne 1Die Theatergruppe „Bühne 1“ der Universität Trier nimmt sich in ihrer fünften Produktion einem Schweizer Nachwuchsdramatiker an, der in seinem 2012 uraufgeführten Stück „Der Mann in der Badewanne oder wie man ein Held wird“ die Perversion des antiken Heldenmythos durch moderne Politik- und Medienstrategien aufzeigt. Dabei setzt Regisseur Michael Gubenko bei seiner Inszenierung auf das epische Theater Brechts – wodurch das Bühnenwerk stilistisch an Reiz verliert. Noch bis Ende Juni ist das Stück im Studio des Theaters zu sehen.

TRIER. Das Stück „Der Mann in der Badewanne oder wie man ein Held wird“ des Schweizer Dramatikers Lukas Linder soll laut Verlagsseite als „schwarzes parabelhaftes Märchen“ verstanden werden: Der Protagonist Albert Wegelin gerät in eine Abwärtsspirale, nachdem ihn seine Freundin Dora verlassen und mit Max angebändelt hat. Dominohaft verliert er erst seinen Appetit, dann seinen Durchschnittsjob, schließlich den klaren Kopf und ist kurz vor dem Verhungern. Dazwischen sind Episoden der Schlechtigkeit des Menschen geschaltet, die von schadenfreudigen Kollegen über schlagzeilengeile Journalisten bis hin zu unterkühlten Analytikern reichen. Das Motto dieser linearen dramaturgischen Zielrichtung ist klar: Die Welt ist dermaßen korrupt, dass sie selbst die letzten Reste an gutgläubiger Wohlgefälligkeit im Nu auszurotten weiß – Auslöser ist dabei ein privater Schicksalsschlag.

Das Ensemble der studentischen Theatergruppe von „Bühne 1“ um Regisseur Michael Gubenko interpretiert die Textvorlage des 29-jährigen Linder als klassisches Lehrstück nach Brechtschem Vorbild: eine karg eingerichtete Bühne (Bühnenbild: Angela Weyer) mit schwarzen Plastikstühlen und neonbeleuchteten Stoffvorhängen, die gleichzeitig als Projektionsfläche einzelner Kapitelüberschriften dienen, unterstreicht den modellhaften Charakter der vorgeführten Geschichte genauso wie die uniforme Baumwoll-Bekleidung der Schauspieler (Kostüme: Kirsten Wilmes). Diese wechseln zudem ihre Rollen mit roten Bademänteln und Westen oder entfremden diese stellenweise durch homoerotische Momente oder das Eintunken des Kopfes in einen Wassereimer während des Sprechens. Die einzelnen Rollen sind reine Typenbildung und entziehen sich jeder Psychologisierung. Die Tragödie, die sich hinter dem Verfall des Menschen Albert Wegeling verbirgt, wird durch diese Stilelemente so gut es geht entkräftet beziehungsweise auf ihre intellektuelle Werthaltigkeit konzentriert.

Wer in dieser Offenbarung unmoralischer Menschentypen schlecht ist, wird dem Zuschauer schnell verständlich: alle. Die Kollegen wiehern ihre Schadenfreude geradezu heraus, als sie vom Rausschmiss des Mitarbeiters Wegeling erfahren. Freundin Dora möchte, nachdem dieser nach der fristlosen Kündigung verfrüht nach Hause gekommen ist, noch ihre Toilette beenden, bevor sie ihren neuen Liebhaber Max trifft. Die Mutter stellt sich als Großmeisterin von verachtender Pietätlosigkeit dar, als sie ihren Sohn besucht und von seinem Fall in die Arbeitslosigkeit erfährt: „Dein Sohn, wie ein Asozialer, liegt in der Badewanne“ – sagt sie an den Vater gerichtet. Es folgt eine Szene mit dem Journalisten Spitz, der – um seine Storyline besorgt – dem Liebeskranken Wegeling eine politische Agenda und damit den Hungerstreik diktiert, damit die Reportage ihren „Pfiff“ erhält. Dieser antwortet zunächst lakonisch – „Hungerstreik? Da bin ich überfragt“ –, um dann auf die Linie des Reporters unfreiwillig einzuschwenken. Es folgt die Wiederannäherung von Dora, die den Heldenstatus ihres Exfreundes durch die mediale Aufmerksamkeit als erste erkennt und ihm ihre Liebe heuchelt.

So geht es immer weiter, eine Taktlosigkeit im Umgang mit der Hauptfigur löst die andere ab. Die stärkste Szene ist ein Streit verschiedener Dramaturgen um die zu wählende Nuancierung, wenn Wegeling vor den Toren seines ehemaligen Arbeitgebers zu rebellieren beginnt – hier zeigt sich eine metadramatische Selbstkritik, die Autor Linder bereits in anderen Stücken zum Ausdruck brachte. Es ist der tote Punkt eines Theaters, das beim Sittenverfall kräftig mitzumachen scheint.

Wie also diesem Fanal entkommen, das jedermann jederzeit in einer Welt voll von kleinen Weltuntergängen zu drohen scheint? Die Antwort auf diese Frage findet sich in den philosophisch-diskursiven Einschüben, die der herausragende Ansgar Depping mit einnehmendem Timbre vorträgt. Es sei die „hervorstechendste Eigenschaft, das Leben – egal wie schlimm es ist – schön zu finden“. Sein Motto zur Rückkehr zu Moral und Anstand lautet: Der freie Wille einer individualistischen Erfolgsdiktatur verfault die Seele des Menschen, die echte Freiheit zeigt sich hingegen in der Nächstenliebe. Während die Schauspielerkollegen die ersten Sentenzen Deppings noch demonstrativ mit Befremdung aufnehmen und ihn – auf Händen getragen – der Bühne verweisen, lassen sie sich von seinem Weltverbesserungspathos gegen Ende doch anstecken und schreien dem (Halb-)Verhungerten Wegelin ins Ohr: „Essen!“ Ob dieser Appell zu spät kommt, Wegelin in ein anderes Land flüchtet – wie im Schlusslied von Jessica Anuschka Arnet besungen – oder alles nur ein Alptraum war, bleibt am Ende der 70-minütigen Vorstellung für den Zuschauer ungewiss.

Insgesamt besticht die Vorstellung des achtköpfigen Ensembles sowohl durch starke Bühnenpräsenz als auch Souveränität bei der Regie. Inhaltlich geht durch die skizzenhafte Darstellung der Figuren die dem Autor Lindner nachgesagte Neigung zur Groteske spürbar verloren. Auch die am Ende herausgestellte Forderung nach mehr Liebe zwischen den Menschen wird durch die Verbindung mit der epischen Darstellungsform auf eine konservierbare Essenz zur Weltenrettung eingekocht. Das hat zur Folge, dass ein Gefühl von Flüchtigkeit nach dem Theaterabend zurückbleibt.

Weitere Vorstellungen im Studio des Theaters Trier: Dienstag, 28. Mai.; Donnerstag, 6. Juni; Samstag, 8. Juni; Samstag, 22. Juni, jeweils um 20 Uhr.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.