„Als ob ich der größte Verbrecher wäre“

KSJ-1Es sollte eigentlich nur eine unbekümmerte Fahrt zu einer privaten Feier werden. Dass Beamte der Bundespolizei einige Mitglieder der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ) bei einer Kontrolle in den Verdacht der Menschenschleusung rückten, ahnten diese vorher nicht. Schockiert über die Anschuldigungen gegen sie und den Umgang der Polizisten wandten sich die Betroffenen an die besagte Behörde sowie an die Presse; sie prangern die Gesetzeslage an, die das sogenannte „Racial Profiling“ begünstige . Eine Praxis, von der bei Weitem nicht nur Asylbewerber betroffen sein können, wie ein weiterer Fall aus Trier zeigt.

TRIER. Die vier Mitglieder der KSJ sind immer noch erbost, wenn sie über die Polizeikontrolle am Abend des 21. Augusts reden. Sie trafen sich am Trierer Hauptbahnhof und wollten von dort aus gemeinsam mit dem verbandseigenen Bus zu einer Feier fahren. Student und KSJ-Diözesanleiter Jonas Becker traf auf der vorangegangenen Bahnreise derweil auf einen Flüchtling aus Syrien. Von Dortmund war dieser auf dem Weg zur Aufnahmeanstalt für Asylbegehrende (AfA) in Trier-Nord. Es gab einen Konflikt mit dem Schaffner, Becker vermittelte und kam mit dem Syrer ins Gespräch. Um die 40 war er, in zwei schweren Koffern transportierte er sein verbliebenes Hab und Gut. Daher boten die Studierenden dem Syrer an, ihn ob seiner schweren Koffer vom Hauptbahnhof bis zu seinem Ziel in der Dasbachstraße mitzunehmen. Dort sollte er sich auf Anweisung der Dortmunder Behörden einfinden, für die Studis war die Mitnahme daher reine Selbstverständlichkeit und Menschlichkeit, wie sie betonen.

Auf dem Gelände der AfA jedoch wurde die Gruppe samt Flüchtling von Zivilbeamten der Bundespolizei in Empfang genommen. Diese verdächtigten sie sogleich der Schleuserkriminalität, wie Bildungsreferent Rainer Schulze die Situation wiedergibt: „Ich habe einen Beamten gefragt, was wir Schlimmes gemacht haben. Da sagte er, dass wir uns bei nicht stimmenden Papieren des Syrers der Schleusung von Illegalen schuldig gemacht und sofort festgenommen werden könnten.“ Darüber ist Susi Schwarz, die ebenfalls Zeugin des Vorfalls wurde, wütend: „Wir haben nicht einmal vorgehabt, ihn zu verstecken oder irgendetwas Illegales zu tun. Wir sind mit einem Asylbewerber zu einem Asylbewerberheim gefahren. Mit unserem Bus, auf dem das Logo der KSJ drauf steht und wo ein Kennzeichen dran hängt.“ Die Gruppe hatte Glück, der Syrer war mit korrekten Papieren unterwegs. Dennoch beschäftigt sie die Vorgehensweise der Polizei noch immer – und die Gesetzeslage, die eine einfache Hilfeleistung kriminalisiert. Schulze hält besonders das raue Verhalten der Polizisten und die Dauer der Kontrolle für kritikwürdig. Die Bundespolizei hingegen verweist auf die Gefahren, denen Polizisten bei Kontrollen täglich ausgeliefert sind. Daraus resultiere ein kühles und vorsichtiges Verhalten der Beamten.

Die Gesetzeslage selbst erscheint etwas undurchsichtig in solchen Fällen. In puncto Mitnahme scheinen Helfer tatsächlich in einer rechtlich komplizierten Lage zu sein: Strafbar macht sich zwar prinzipiell nur, wer sich einen finanziellen Vorteil dabei verschafft. Stellt der Flüchtling später einen Asylantrag, handelt es sich zudem um einen sogenannten Strafaufhebungsgrund. Ein theoretisch für den Helfer noch mögliches Verfahren wegen „Hilfestellung zum Grundtatbestand des unerlaubten Aufenthalts“ würde durch einen Asylantrag beendet, so die Bundespolizei. Im Fall von fehlenden Papieren eines Flüchtlings müssten die Beamten jedoch generell erst einmal ein Verfahren einleiten – auch wenn es später durch den Strafaufhebungsgrund aufgehoben würde, kann dies dennoch für den Betroffenen äußerst ärgerlich sein. Wer also hilft, kann durchaus selbst ins Fadenkreuz geraten. Die Bundespolizei empfiehlt daher, einem desorientierten oder hilfesuchenden Flüchtling die nächste Polizeidienststelle als Anlaufstelle zu nennen. Diese könne auch den Weg zur nächsten Unterkunft weisen.

Für Sandra Fait (KSJ) ein unfassbarer Umstand: „Leben wir wirklich in einem Land, in dem man, wenn man jemanden mitnimmt und denjenigen nicht nach seinem Personalausweis fragt, schuldig ist?“ Jonas Becker schließt sich der Kritik an: „Auch wenn ich das nicht pauschal über jeden Polizisten sagen möchte, wird unmenschliches Verhalten durch bestehende Gesetze gerechtfertigt.“

Aus Sicht der Bundespolizei befinden sich Kontrollen wie die der KSJ im Rahmen der Verpflichtungen. Denn der Aufgabenbereich der Bundespolizei im 30-Kilometer-Bereich zur Landesgrenze, zu dem auch Trier als grenznahe Stadt gehört, wird durch das Polizeigesetz bestimmt. Dieses legt unter anderem fest, dass Menschen verdachtsunabhängig überprüft werden können – um unerlaubte Einreisen zu verhindern. Die Bundespolizei selbst betont, mit Migranten gut umzugehen. Auch wenn in bestimmten Bereichen von Trier-Nord tatsächlich besonders häufig kontrolliert werde, geht es den Fahndern laut eigenen Aussagen vor allem um die Schleuser. Auf die Flüchtlinge sei man dagegen als Kooperationspartner angewiesen, da sie häufig die einzigen Zeugen seien. Daher legten die Beamten besonderen Wert auf eine Zusammenarbeit mit ihnen, um verwertbare Aussagen gegen die Schleuser zu bekommen. Nicht zuletzt hätten auch Flüchtlinge oft schlechte Erfahrungen mit solchen Gruppen hinter sich, wie man bei der Bundespolizei betont. Das ist laut Bundespolizei auch der Grund, warum die KSJ mit ihrem Bus ins Visier der Beamten geriet. Die Studis hingegen sind davon nicht ganz überzeugt, sie vermuten, dass das Aussehen des Syrers eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben könnte.

So wirft auch Patrick Zimmer vom Multikulturellen Zentrum Trier der Bundespolizei vor, am Trierer Hauptbahnhof gezielt nach nicht mitteleuropäisch aussehenden Menschen Ausschau zu halten. Diesen immer wieder laut werdenden Vorwurf des sogenannten „Racial Profiling“, also des gezielten Auswählens der kontrollierten Personen nach Hautfarbe, bestreitet die Bundespolizei dagegen. Als Herausgeber der Zeitschrift Grenzwertig kenne er jedoch Fälle in Trier, in denen Flüchtlinge und Menschen mit nicht weißer Hautfarbe ständigen und stigmatisierenden Kontrollen unterzogen würden. Die Polizei verweist indes darauf, dass sich Betroffene – wenn sie sich durch Kontrollen oder Vorgehensweise belästigt fühlen – durchaus bei der Dienststelle beschweren können. Das hält Zimmer bei Asylbewerbern jedoch für extrem unwahrscheinlich: „Wenn man einmal im Asylverfahren drin ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich auch nur einer beschweren würde.“ Lieber falle man nicht negativ auf, um das eigene Verfahren nicht zu gefährden.

Zwar können die Kontrollen in Trier und Umgebung theoretisch jeden treffen – die Bundespolizisten haben dafür eigenen Ermessensspielraum. Und es lässt sich auch trefflich darüber debattieren, dass Kontrollen sinnvoll sein können. Wenn man jedoch den Aussagen des Konzers Gauri Shankar Gupta Glauben schenkt, drängt sich tatsächlich der Verdacht auf, dass in erster Linie dunkelhäutige Menschen überprüft werden. Der aus Indien stammende Ingenieur, der seit über 50 Jahren in Deutschland lebt und seit 1977 deutscher Staatsbürger ist, werde regelmäßig von Bundespolizisten am Trierer Hauptbahnhof und in Zügen kontrolliert und kennt das von Zimmer angesprochene Problem der Stigmatisierung, denn „die anderen Reisenden starren mich in so einer Kontrolle oft an, als ob ich der größte Verbrecher wäre.“ Für den 71-jährigen bedeuten die Kontrollen jedes Mal Angst und Unsicherheit: „Ich habe so einen Horror, wenn ich den Trierer Hauptbahnhof betrete. Ich bin 71 Jahre alt, mein Herz fängt in solchen Situationen an zu rasen und ich mache ich mir deswegen Sorgen um meine Gesundheit.“ Er ließ die Praxis aber nicht auf sich sitzen, nahm die Empfehlung der Bundespolizei ernst und verfasste Beschwerden – erst an die Direktion, dann an Ministerpräsidentin Malu Dreyer und das Innenministerium als Dienstherr.

Die Bundespolizei wies seine Schreiben jedoch ab und stellte klar, dass auch andere Fahrgäste kontrolliert würden. Gupta hat dafür eine Erklärung: „Wenn ich bei einer Kontrolle den Dienstausweis des Polizisten sehen möchte und die Nummer für meine Beschwerde aufschreibe, fangen sie natürlich an, auch die Weißen zu kontrollieren. Damit hinterher keiner mehr sagen kann, dass es nur wegen meiner Hautfarbe gewesen wäre“, so Gupta. Genervt von der ständigen Ungleichbehandlung verzichtet er seit einem Jahr darauf, auf seiner Stammstrecke Trier-Konz mit der Bahn zu fahren. Mit den deutlich längeren Fahrzeiten im Bus hat er sich abgefunden, denn die Praxis der Kontrollen wird aufgrund der auch politisch gewollten Gesetzeslage vorerst nicht enden: „Ich kann mir ja nicht meinen deutschen Personalausweis wie eine Hundemarke um den Hals hängen.“

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