Alles im Kasten
Die Süddeutsche Zeitung hat`s in Deutschland als erste gewusst: Luxemburgs Wohlstand verdankt sich gar nicht den außerordentlich hohen „Kachkéis“¹-Exporten! Sondern hat irgendetwas mit – sagen wir mal – entgegenkommenden steuerlichen Regelungen für Großunternehmen zu tun. Herausgefunden hat das – darauf war man bei der Süddeutschen besonders stolz – ein Konsortium von 80 Journalisten aus 23 Ländern, indem sie die Unterlagen gelesen haben, die ihnen ein unzufriedener Mitarbeiter der Unternehmensberatung „PricewaterhouseCoopers“ zugeschustert hat. Und weil in letzter Zeit jede Weitergabe von flott zusammenhektographierten internen Papieren „Leaks“ genannt werden muss, war der „LuxLeaks“-Skandal schnell geboren.
Was also jeder wusste, der den Kirchberg nicht nur mitten in der Nacht und mit verbundenen Augen aufsucht, will plötzlich niemand geahnt haben: Amazon, Ebay, die Deutsche Bank, Google, Apple, Pepsi, Ikea und Eon haben sich in Luxemburg nicht nur des leckeren Simon-Dinkel-Bieres wegen angesiedelt, sondern bekamen von der luxemburgischen Steuerbehörde offenbar Angebote gemacht, die sie kaum ablehnen konnten. Dabei ging aus den „geleakten“ Unterlagen hervor (so zumindest die SZ), dass es vor allem der Leiter des luxemburgischen Steueramtes Marius Kohl war, der komplexe Firmenkonstrukte genehmigte und dann teppichbasaresk „Rulings“ aushandelte. Dass jemand mit dem Nachnamen Kohl irgendwie merkwürdige Dinger mit Geld dubioser Herkunft drehen könnte, war für die deutsche Öffentlichkeit natürlich ein Schock. Zu seinen besten Zeiten bearbeitete Kohl jedenfalls – wie die Süddeutsche Zeitung berichtet – bis zu 54 Anträge an einem einzigen Tag.
Während „Monsieur Ruling“ nun durch die „LuxLeaks“-Papiere im Rest der Welt als Steurvermeidungsbeihelfer erscheint, ist dieses schlechte Image natürlich eigentlich zutiefst ungerecht. Jemanden wie Kohl müsste man als Ein-Mann-Eingreiftruppe im Großherzogtum und darüber hinaus herumreichen: Innerhalb von knapp zwei Wochen dürfte er den mittlerweile wohl Jahre zurückreichende Aktenüberstand an Grenzgänger-Kindergeldanträgen in der Familienkasse abgearbeitet haben und Kohl hätte wahrscheinlich zudem noch für Luxemburg lukrative Deals mit den Kindergeldempfängern ausgehandelt.
Auch in Deutschland wäre Kohl gut zu gebrauchen: Berliner Flughafen, Stuttgart 21, Autobahn-Maut und die Sanierung der Trierer Egbert-Grundschule in der Olewiger Straße wären ruckzuck vom Tisch. Aus der teils hämischen internationalen Berichterstattung über die „Steuer-Rulings“ sprach dann auch eine gewisse Portion Neid, zum einen auf das offensichtlich bienenfleißige Steueramt und zum anderen auf den eigentlich naheliegenden Trick – mit niedrigen Steuern Firmen anzulocken, statt sie mit hohen abzuschrecken – nicht selbst gekommen zu sein.
Etliche Luxemburger sehen ihr Land dann auch eher zu Unrecht am Pranger. Und für die hohe Anzahl an Briefkastenfirmen hat Jean Asselborn doch schon eine zumindest originelle Erklärung geliefert: Luxemburg ist einfach zu klein, um all die Firmen zu beherbergen, die sich dort ansiedeln wollen. Da muss man sich halt auch mal mit einem Briefkasten zufriedengeben, wenn man nicht das komplette Ösling zubetonieren will.
Steuerdeals sind – im Gegensatz zu „Kachkéis“ – keine spezifisch luxemburgische Spezialität und die Entwicklung zum Finanzplatz hat das Ländchen nach dem Zusammenbruch der Stahlindustrie in den 70er Jahren erfolgreich aus einer tiefen Wirtschaftskrise geführt. Moralisch gefärbte Anwürfe von der anderen Moselseite kontert man seitdem mit einem süffisanten Verweis auf ein erfolgreiches deutsches „Geschäftsmodell“, an dessen Moralität nur ganz besonders Glaubensstarke nicht zweifeln werden. Denn wer glaubt, dass Indonesien, Saudi Arabien und Katar deutsche Panzer und Gewehre vor allem zur Sicherung von Demokratie und Menschenrechten brauchen, der darf getrost auch glauben, dass sich der luxemburgische Wohlstand den hohen „Kachkéis“-Exporten verdankt.
Tom Lenz
¹ luxemburgisch für „Moltofill“
von 16vor