Zehntausende wollen nach Trier
Der Dom ist dicht, der Südwestrundfunk hat Triers alte Bischofskirche in Beschlag genommen. In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde der Schrein für die Reliquie in die Kathedrale gebracht. Während der SWR seine Live-Übertragung der Feier vorbereitet, mit der am Freitag dem 13. die erste Heilig-Rock-Wallfahrt seit 1996 eröffnet wird, vermeldet das Bistum, dass sich bereits 960 Gruppen mit mehr als 117.000 Pilgern angemeldet haben. Auch aus Brasilien, Georgien und von den Philippinen machen sich Menschen auf den Weg. Schon am Samstag kommt Luxemburgs Premier Juncker mit Tausenden seiner Landsleute nach Trier. Für die meisten Pilger scheint die Devise indes „hin und weg“ zu lauten. Viele Hotels melden noch freie Kapazitäten.
TRIER. „Aufgeregt bin ich eigentlich nicht“, erklärte der Bischof am Dienstagvormittag. Anstrengende Tage und Wochen liegen hinter Stephan Ackermann. Weniger die Kar- und Ostertage mit ihren zahlreichen Pontifikalämtern dürften ihn belastet haben. Vielmehr treibt den Bischof die nicht abreißende Berichterstattung über die Missbrauchsaffäre innerhalb der katholischen Kirche um. Keine eineinhalb Stunden bevor er am vergangenen Samstagabend das Osterfeuer entzündete, hatte sich die ARD-Tageschau dem Thema gewidmet. Im Fokus des mehrminütigen Beitrags: der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der in seinem Bistum pädophile Priester weiterbeschäftigte. Kurz vor Beginn der Osternacht erfuhren nun mehrere Millionen Fernsehzuschauer, dass der Bischof zwei pädophile Geistliche „entpflichtet“ hat. Dass sie bis vor kurzem noch als Seelsorger im Einsatz waren, hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt.
Bei der letzten Pressekonferenz vor der Wallfahrt griff Ackermann die Missbrauchsaffäre auf. Er wolle „nicht verschweigen“, dass er sich in den vergangenen Wochen „mehr inneren Freiraum gewünscht hätte, um mich noch bewusster auf die Wallfahrt einzustellen“, erklärte der Bischof, um gleich darauf klarzustellen: „Wir müssen nichts ausblenden“, die Missbrauchstproblematik werde auch im Rahmen des Großereignisses nicht verschwiegen. Im Gegenteil: Es sei ihm ein Anliegen, dass in Gebeten und Fürbitten immer wieder der Opfer sexueller Gewalt durch Geistliche gedacht werde. Zudem werde es einen Raum geben, um sich auch während der Wallfahrt mit der Thematik auseinanderzusetzen. Denn man sei mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche „noch lange nicht durch“, so der Bischof, der aber zugleich deutlich machte, dass es eine große, mediales Aufsehen erregende Geste wohl nicht geben wird. Er habe inzwischen gelernt, dass sich manche Opfer durch eine solche Geste unter Druck gesetzt fühlen könnten, begründete er seine Zurückhaltung.
Ackermann weiß, dass er in den kommenden Wochen unter noch stärkerer medialer Beobachtung stehen wird. Eine Heilig-Rock-Wallfahrt ist schließlich ein Großereignis, mit dem sich allenfalls Katholiken- und Kirchentage vergleichen lassen. Als Reinhard Marx 2007 ankündigte, nur 16 Jahre nach der letzten eine weitere Wallfahrt zur ebenso berühmten wie umstrittenen Reliquie ausrichten zu lassen, konnte sein damaliger Weihbischof nicht ahnen, dass er dereinst Gastgeber sein würde. Am Freitag nun wird Ackermann im Dom nicht nur Ministerpräsidenten und Oberbürgermeister begrüßen, sondern auch eine Vielzahl von Kardinälen und Bischöfen. Aus Rom reist der Kanadier Marc Ouellet an, Gesandter des Papstes und Präfekt der römischen Bischofskongregation. Der Kurienkardinal wird den Eröffnungsgottesdienst leiten, der vom Südwestrundfunk live übertragen wird. Was Ouellet im päpstlichen Auftrag mitzuteilen hat, berichtete in Auszügen bereits Radio Vatikan.
Der SWR begann gestern Morgen mit den Vorbereitungen für die Übertragung. Zuvor, in der Nacht zu Dienstag, war der Schrein in den Dom gebracht worden. Hinter dem Domschreiner lägen ein paar schlaflose Nächte, berichtete ein sichtlich ausgeschlafener und bestens aufgelegter Georg Bätzing in der Pressekonferenz. Er selbst sei „entspannt“, so der Wallfahrtsleiter. „Ohne große Mühe“ habe man 2195 ehrenamtliche Helfer zusammen bekommen, bislang laufe alles nach Plan. Was den Monsignore ebenso erfreut: Bis Dienstag hatten sich bereits 960 Gruppen mit 20 und mehr Teilnehmern angemeldet, insgesamt über 117.000 Menschen. Das klingt wenig gemessen an der halbe Million Menschen, die bis zum 13. Mai in der Moselstadt erwartet werden. Doch 1996, so Bätzing, hätten sich bis zum Ende der Wallfahrt rund 160.000 Menschen in Gruppen angemeldet, insgesamt waren aber 700.000 Pilger gekommen. Für den Wallfahrtsleiter sind die aktuellen Zahlen denn auch ein „sehr hoffnungsvolles Zeichen“.
Bei den meisten Besuchern des Doms wird es sich um Eintagspilger handeln. Sie werden in Bussen, mit Zügen und Autos anreisen, oder in einer der 270 Fußpilger- oder 120 Fahrradpilgergruppen. Die wenigsten werden länger vor Ort bleiben, weshalb es auch am Dienstag noch ein Leichtes war, über die bekannten Online-Portale Zimmer zu buchen. Hört man sich bei den Hoteliers um, berichten nur wenige von großer Nachfrage. „Bei uns haben sich schon mehrere Gruppen angemeldet“, sagt Ludmilla März vom Hotel „Aulmann“, viele kämen mit Bussen. Christian Henzler vom Hotel „Deutscher Hof“ ist zurückhaltender: „Wir bleiben unter unseren Erwartungen“. Laut Henzler haben manche Reiseveranstalter ihre Bustouren nach Trier wieder storniert, weil die Nachfrage zu gering gewesen sei. „Mit Pilgern ist kein Geschäft zu machen“, sagt Jörg Müller vom „Hotel Kessler“. Weil er aber ohnehin nicht mit einem großen Ansturm gerechnet habe, sei er auch nicht enttäuscht. Auch andere Hoteliers sprechen von einer „sehr preissensiblen Klientel“. Tatsächlich ist die Nachfrage nach den 60 Feldbetten der „Pilgeroase“ auf dem Gelände des Brüderkrankenhauses groß, wie Karin Müller-Bauer vom Wallfahrtsbüro berichtet. Manche Nacht in den Zelten sei deshalb längst ausgebucht. Die Übernachtung ist gratis, für einen kleinen Obulus gibt es ein Frühstück im Klinikum.
Das Gros der Besucher wird aus Deutschland und den angrenzenden Ländern kommen, die weitaus meisten unangemeldet. Doch auch aus Übersee werden Pilger erwartet, aus Brasilien, Bolivien und von den Philippinen sind Gruppen angemeldet. Und aus Tiflis: Allein aus der georgischen Hauptstadt wollen rund 120 Gläubige kommen. Aus Lyon hat sich eine Gruppe angekündigt, an ihrer Spitze Kardinal Philippe Barbarin. Den Auftakt der Pilgermassen bilden die Luxemburger, die schon am Samstag kommen werden. Auch Premier Jean-Claude Juncker, Triers einziger Ehrenbürger, wird an die Mosel pilgern. Ackermann, der dem Ereignis erwartungsvoll entgegen sieht, kündigte unterdessen an, sich für anderthalb Tage zurückziehen zu wollen, um sich innerlich auf die Wallfahrt einzustellen.
Sein Weihbischof Jörg Peters schaute am Dienstag auf der eigens für die Wallfahrt eingerichteten Polizeiwache in der Palaststraße vorbei. Laut Gesamteinsatzleiter Jürgen Schmitt werden täglich bis zu 60 Beamte im Zwei-Schicht-Betrieb für die Belange der Pilger und der Besucher im Dienst sein. Die Polizeiwache ist von 7 bis 22 Uhr, samstags sogar bis 24 Uhr, durchgehend geöffnet. Die uniformierten Beamten werden unterstützt von Kollegen aus dem benachbarten Saarland sowie aus Luxemburg, Belgien und Frankreich. Gemeinsame, internationale Streifen werden in der Innenstadt präsent und ansprechbar sein. Unterstützung bekommen die Beamten auch von der Stadt Trier: Mitarbeiter des Kommunalen Vollzugsdienstes werden während der Heilig-Rock-Wallfahrt ebenfalls in der Palaststraße 8 ihren Dienst tun. Neben uniformierten Streifen im Innenstadtbereich und im Bereich der Veranstaltungsörtlichkeiten werden auch Zivilstreifen für die Sicherheit in der Stadt sorgen. Eine weitere Aufgabe der Polizeiwache Heilig-Rock wird es sein, die Sicherheit in der Hohen Domkirche zu gewährleisten. Die Bischofskirche wird täglich durchsucht.
„Jetzt muss es auch losgehen“, beschrieb Bischof Ackermann die Stimmung unter den Hunderten Helfern und Verantwortlichen des Bistums.
von Marcus Stölb