Mit dem stählernen Rock übers Wasser gepilgert

Der Zeitpunkt hätte passender nicht sein können, und auch der Ort schien gut gewählt: Nur wenige Stunden nachdem bekannt geworden war, dass die rund 240 Beschäftigten des insolventen Trierer Stahlwerks noch mehr als schon zuvor um ihre Jobs bangen müssen, fand am Mittwochmorgen im Ehranger Hafen der Auftakt des Tags der „Aktion Arbeit“ im Bistum Trier statt. An Bord von fünf Fahrgastschiffen machten sich rund 1.000 Menschen auf den Weg nach Zurlauben. Angeführt wurde die kleine Flotte von einem Lastkahn, auf dem der sechs Meter hohe und mehr als drei Tonnen schwere „Schaff-Rock“ transportiert wurde. Das „Mahnmal gegen Arbeitslosigkeit“ steht nun auf dem Basilika-Vorplatz, derweil die Stahlwerker um ihre Stellen zittern und selbst die IG Metall wenig Hoffnung macht, dass sich noch ein Käufer für das Unternehmen finden wird.

TRIER. Irene Horras hat es fast geschafft. Mehr als zwei Stunden ist die Eppelbornerin nun schon zu Fuß unterwegs, vom Hauptbahnhof in den Hafen führt ihr Weg. Kurz vor dem Ziel passieren die 60-Jährige und rund 40 Pilgerinnen der Katholischen Frauengemeinschaft das Trierer Stahlwerk. Das liegt ruhig und verlassen im Westen des Hafengeländes, seit Februar ruht die Produktion und nun zeichnet sich ab, was Betriebsrat und Gewerkschaft noch abwenden wollen: dass die rund 200 freigestellten Beschäftigten sich wohl bald einen neuen Job werden suchen müssen. Der Insolvenzverwalter hat den Glauben, dass sich noch ein Investor für das TSW findet, offenbar aufgegeben.

Dass sich die Situation für das insolvente Unternehmen derart dramatisch zuspitzen würde, konnten die Organisatoren des Pilgertags der „Aktion Arbeit“ nicht ahnen. Ohnehin hatte es auch andere Gründe, dass man sich den Hafen als Versammlungsort aussuchte. Hier hat die Comes Maschinen- und Apparatebau GmbH ihren Sitz, bei der in den vergangenen Wochen der „Schaff-Rock“ erschaffen wurde. Die sechs Meter hohe und fast ebenso breite, mehr als drei Tonnen schwere Skulptur wurde am Mittwoch moselaufwärts verschifft. Im Gefolge des Lastkahns, der den Koloss über das Wasser transportierte, fuhren fünf Passagierschiffe mit Hunderten Pilgern.

„Vor allem war es Neugier“

Bevor die Schiffe ablegten, feierten die Teilnehmer einen kurzen Wortgottesdienst unter freiem Himmel. Man wolle ein „Zeichen gegen Arbeitslosigkeit“ setzen, erklärte Bischof Stephan Ackermann. Zwar werde man auch beten und Fürbitten für die Betroffenen halten, doch sei es damit nicht getan. Der Pilgertag bekomme vielmehr auch eine „politische Note“ und sei zudem eine Demonstration für die Anliegen der „Aktion Arbeit“, dem Arbeitslosen-Solidaritätsfonds des Bistums.

Unter den Teilnehmern der Schiffsprozession war auch Michael Keil. Am frühen Morgen hatte er sich auf den Weg von Mainz an die Mosel gemacht, im Bus ist der 52-Jährige in den Hafen gepilgert. Keil ist seit sieben Jahren arbeitslos, die Hoffnung, noch eine Stelle zu finden, hat er fast aufgegeben. Dass er an der Wallfahrt teilnahm, habe keine religiösen Gründe gehabt. „Im Endeffekt war es vor allem die Neugier“, beschrieb er am Mittwoch seine Beweggründe und ergänzte: „und der Wunsch, mit Menschen zusammen zu sein, die ähnliche Probleme haben, wie ich“. Tatsächlich waren nur einige wenige Arbeitslose unter den Pilgern. Zahlreicher waren wohl die Vertreter der Gewerkschaften. Die DGB-Chefs aus der Region und dem Land etwa, Christian Schmitz und Dietmar Muscheid. Während des Gottesdienstes rückten Muscheid und der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Kaster eng zusammen – was weniger politisch als meteologisch begründet war: Eine Schauer ging über dem Hafen nieder.

Auch Manfred Fritschen pilgerte am Mittwoch nach Ehrang. Der Verdi-Mann hätte gerne noch ein paar Kollegen mitgebracht, doch weil 170 Beschäftigte der Trierer Telekom streikten, habe er alleine kommen müssen. Im Gespräch mit 16vor schlug Fritschen einen Bogen von der Wallfahrt zu zwei berühmten Söhnen der Stadt: Karl Marx und Oswald von Nell-Breuning, dem Nestor der Katholischen Soziallehre. Auf deren Fundament stehe ja auch die Gewerkschaftsbewegung, da sei es für ihn nahe liegend, sich an einem solchen Pilgertag zu beteiligen.

Der fand seinen Abschluss auf dem Basilika-Vorplatz. Nachdem der Lastkahn den „Schaff-Rock“ sicher nach Zurlauben gebracht hatte, wurde die Skulptur mit einem Krahn auf einen Tieflader gehoben. Dass der Rock liegend und obendrein mit umgelegten Ärmeln durch die Innenstadt gefahren wurde, verhagelte manchem das erwünschte Fotomotiv. Er habe den „Schaff-Rock“ vor der Porta Nigra ablichten wollen, berichtete ein etwas enttäuschter Kollege, so sehe das ja aus „wie eine Pershing“, wählte er einen gewagten Vergleich. Dem Team von SAT 1 lief derweil die Zeit davon, einen halben Tag hatten sie nun schon in Trier verbracht, in Mainz mussten sie den zweiminütigen Beitrag noch schneiden, auf dass er um 17.30 Uhr gesendet werden konnte.

Kaum noch Hoffnung für Stahlwerker

Während die „Aktion Arbeit“ ihre Kundgebung abhielt, richteten Mitarbeiter der Firma Steil den „Schaff-Rock“ auf. Die freigestellten Mitarbeiter des Trierer Stahlwerks könnten jetzt auch etwas gebrauchen, was sie mental ein wenig aufrichtet. Doch was Roland Wölfl von der IG Metall gestern nach einem Treffen des Betriebsrats mit dem Insolvenzverwalter berichtete, lässt wenig hoffen. Der Insolvenzverwalter dränge auf Verhandlungen über einen Interessensausgleich und plane, das Werk schon bald endgültig stillzulegen. Was die aktuell 40 bis 50 Mitarbeiter anbelangt, die noch im Stahlwerk nach dem Rechten schauen, sei damit zu rechnen, dass auch sie bald ihre Jobs verlieren. Zwar sagte Wölfl auch, dass es nach wie vor einen potenziellen Investor gebe, doch der Gewerkschafter verwies im Gespräch gleich mehrfach auf das „insgesamt schwierige Marktumfeld“. Wölfl: „Vor zwei Jahren wäre die Baustelle einfacher gewesen“. Zumal sich ein Interessent das Werk, das binnen zehn Jahren gleich zwei Mal zahlungsunfähig wurde, besonders gut anschauen müsse. Vor der Insolvenz arbeiteten 306 Menschen im TSW. 200 verloren bereits ihre Jobs, weitere hatten nur befristete Verträge oder waren Leiharbeiter.

Ihnen droht nun das gleiche Schicksal wie Michael Keil. Denn dass die Trierer Arbeitsagentur den Stahlwerkern schon bald neue Stellen vermitteln kann, scheint eher ungewiss. Oder um es mit den Worten des Bundeswirtschaftsministers zu sagen: Die Chancen auf eine „Anschlussverwendung“ sind für die Betroffenen nicht eben rosig. Hans Casel, Beauftragter des Bischofs bei der „Aktion Arbeit“ warnte indes am Mittwoch davor, die Ursache für Probleme vor allem bei den Arbeitsagenturen zu suchen.  Da mache man es sich zu einfach, so Casel. Das Problem sei vielmehr die Struktur des Arbeitsmarkts. Casel erneuerte deshalb die Forderung der „Aktion Arbeit“ nach einem dritten Arbeitsmarkt. Untersuchungen hätten gezeigt, dass öffentlich geförderte Beschäftigung den Staat günstiger komme als Arbeitslosigkeit.

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