„Schwerwiegende Fälle“

In der Benediktinerabtei St. Matthias hat es mehr Opfer sexuellen Missbrauchs gegeben, als bislang bekannt. Abt Ignatius Maaß bestätigte jetzt gegenüber 16vor, dass sich seit Mai weitere drei Personen gemeldet haben, die als Jugendliche von einem Ordensmann missbraucht wurden. Der Abt spricht von „schwerwiegenden Fällen“, die Staatsanwaltschaft sei informiert. Unterdessen erhebt eines der Opfer schwere Vorwürfe: Bereits in den 1990ern sei der seinerzeitige Abt Ansgar Schmidt über den sexuellen Missbrauch durch Bruder B. informiert gewesen. Der Orden weist diese Darstellung zurück. Man sei sowohl von dem Mitbruder wie auch dem Opfer, das laut Maaß zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt gewesen sein soll, hinters Licht geführt worden.

TRIER. Vergangene Woche postierte sich G. vor dem Portal des Trierer Doms. Im Schatten der Bischofskirche hielt er über mehrere Tage eine Mahnwache ab und trat in einen „Hungerstreik aus Protest gegen die Haltung der Benediktinerabtei St. Matthias im Umgang mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs an mir“, wie auf einem Schild zu lesen war. G. sorgte vor Ort für Aufsehen. Touristen und Kirchgänger machten Halt, kamen mit ihm ins Gespräch. In einer „Eidestattlichen Erklärung“, die der Redaktion vorliegt, erhebt er schwere Vorwürfe gegen die Trierer Benediktiner. Die Leitung der Abtei sei bereits Mitte der 1990er-Jahre „auf den Missbrauch an mir, und zwar von mir selbst, aufmerksam gemacht“ worden, behauptet er. Infolge dieser Begegnung habe Bruder B. eine psychotherapeutische Behandlung angetreten, die allerdings ohne Erfolg geblieben sei, so die Version von G.

Am 22. Mai diesen Jahres informierte Abt Ignatius Maaß die Öffentlichkeit darüber, dass ein Mönch des Klosters in den 70er und 80er Jahren mindestens drei Schutzbefohlene sexuell missbraucht haben soll. Im Jahr 2010 habe er erstmals vom Missbrauch durch den Bruder erfahren, versicherte Maaß im Mai auf Nachfrage. Trotz der Versicherung des Abtes, erst 2010 von den Missbrauchsvorwürfen gegen B. erfahren zu haben, bleibt die Frage, wann die Verantwortlichen der Abtei tatsächlich von den Übergriffen ihres Mitbruders erfuhren. Denn offenbar gab es schon vor Jahrzehnten Gerüchte über den Ordensmann, der lange Jahre auch an Schulen unterrichtete. Angeblich erzählte man sich bereits in den 70ern auf dem Abteiplatz von Versuchen des Bruders, sich Minderjährigen zu nähern und diese sexuell zu missbrauchen. Das berichteten mehrere Zeitzeugen unabhängig voneinander gegenüber 16vor.

Ob diese Gerüchte damals bis zur Ordensleitung durchdrangen, ist unklar. Spätestens seit den 90ern war dem damaligen Abt Ansgar Schmidt aber bekannt, dass Bruder B. homosexuell ist und regelmäßige Kontakte in die Stricherszene unterhielt. Sein Nachfolger erklärt: „Die Beziehung (mit G.; Anm. d. Red.) stellte sich Abt Ansgar aber nicht als sexueller Missbrauch dar, sondern als ein Verhältnis von Erwachsenen, das auf Gegenseitigkeit beruhte“. Maaß spricht in diesem Zusammenhang von „Sex gegen Geld“. Ferner habe G. das jüngst gegenüber dem Anwalt der Abtei selbst als „Freier-Stricher-Verhältnis“ bezeichnet. Der Abt weiter: „Herr G. forderte schon damals Geld und drohte damit, an die Öffentlichkeit zu gehen“. Maaß bestätigt, dass sich B. einer „therapeutischen Begleitung“ unterzogen hat. Doch diese habe nicht im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch gestanden. „Sie erfolgte vielmehr im Blick auf die homosexuellen Kontakte von Bruder B. zu Erwachsenen, einem Verhalten, das nicht im Einklang mit der Lebensweise eines Ordensmannes stand“.

Weitere Opfer melden sich

G. behauptet, von Bruder B. brutal vergewaltigt worden zu sein. Er verlangt von der Abtei Geld und dass die Ordensleitung einräumt, schon viel früher über den Missbrauch Bescheid gewusst zu haben. Tatsächlich wurde der Mann als Opfer anerkannt. Zwischenzeitlich erhielt er eine „Anerkennung des Leids als Opfer sexuellen Missbrauchs“ in Höhe von 10.000 Euro. Die Experten der Zentralen Koordinierungsstelle beim „Büro für Fragen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich“ der Deutschen Bischofskonferenz bewerteten ihn damit als Härtefall. In einem Schreiben an G. bittet Bruder B. „um Verzeihung (…) für alles, was ich dir an Argem und Schändlichem angetan habe“. Laut Abt Ignatius soll das Opfer zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt gewesen sein.

Da die Taten verjährt sind, wird Bruder B. strafrechtlich nicht mehr belangt werden können. „Meine Brüder ertragen mich“, schrieb er im vergangenen Jahr an G. Abt Ignatius verhehlt nicht seine tiefe Enttäuschung über den Mitbruder, spricht gar von einem „Zusammenwirken von Herrn G. und Bruder B.“ und behauptet, dass sein Vorgänger im Amt, „von beiden getäuscht“ worden sei. Dann wird er konkret: „Bruder B. hatte die falsche Behauptung von Herrn G. gedeckt, er schulde ihm einst ausgeliehene Bilder beziehungsweise den finanziellen Gegenwert in Mark.“ Bruder B. habe G., der sich mehrfach wegen finanzieller Schwierigkeiten an ihn gewandt habe, „immer wieder größere Summen Geld besorgt, in der Meinung, das Geld käme den Kindern von Herrn G. zugute und nicht dessen Drogenkonsum“, so die Darstellung des Abts. Dass er drogenabhängig war und auch schon eine Haftstrafe verbüßte, bestreitet G. nicht. Seine Mahnwache verlagerte er in dieser Woche zeitweilig vor die Abtei, auch gestern machte er dort auf sein Anliegen aufmerksam. Am Donnerstagabend erklärte er gegenüber 16vor, noch diese Woche die Stadt wieder verlassen und in seine derzeitig Heimat Sachsen zurückkehren zu wollen. „Das bringt nichts mehr, das raubt mir nur den letzten Nerv“. Seinen Hungerstreik hat er offenbar abgebrochen.

Derweil haben sich seit Mai drei weitere Opfer von Bruder B. gemeldet, wie Abt Ignatius gegenüber 16vor erklärte. Es handele sich um „schwerwiegende Fälle“, die Betroffenen seien zum Tatzeitpunkt allesamt unter 14 Jahre alt gewesen. Die Staatsanwaltschaft sei bereits unterrichtet worden. Ob sein Mitbruder die Taten einräume? B. könne oder wolle sich „im Detail nicht mehr erinnern“, sagt Maaß, doch gehe man nach intensiven Gesprächen mit den Betroffenen davon aus, dass die Vorwürfe zuträfen. Auch in diesen Fällen seien die Taten wohl verjährt.

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