Letzter Mann im Turm (Aravind Adiga)

Aravind Adiga, 1974 in Madras (heute Chennai) geboren, wuchs zeitweise in Australien auf, studierte englische Literatur in Oxford und arbeitete für die Financial Times und die Zeitschrift Time. Heute lebt er in Mumbai, dem ehemaligen Bombay, in Indien. Sein erster Roman „Der weisse Tiger“ (2008) wurde mit dem Booker Prize ausgezeichnet und erschien in fast 40 Ländern.

„Letzter Mann im Turm“, Adigas zweiter Roman, ist eine realitätsnahe Geschichte um Geld und Macht, Luxus und Entbehrung und vor allem das Porträt der Megacity Mumbai und den Menschen, die darin leben. Besonders den Menschen aus der Vishram Society, der Vishram Cooperative Wohnungsbaugesellschaft und den Bewohnern des Gebäudes Turm A. Diese Wohnanlage liegt halb kleinbürgerlich in Flughafen- und Slumnähe. Hier werden zahlreiche luxuriöse Wohnungen geplant, denen auch Turm A nun weichen soll.

Bislang bildeten die Bewohner eine funktionierende und mehrheitlich fröhliche Gemeinschaft mit Freundschaften, festen Ritualen und einem rechten Miteinander. Das ändert sich naturgemäß, als ein Bauunternehmer auf den Plan tritt, der den Mietern für ihre Wohneinheiten das 400-fache des indischen Jahreseinkommens bietet.

Die Meinungen der alten Mieter gehen auseinander, doch nach und nach erliegen alle der Geldgier, dem Mehr-haben-wollen, dem Druck der anderen Mitbewohner. Der letzte, standhafte Mieter erfährt nun seine bislang geschätzen Nachbarn neu: Als er nicht ihrem Willen folgt, sich nicht der Mehrheit beugt, zieht erst langsam, dann aber sicher, der Terror in sein Leben.

Wir lesen hier von „anständigen Menschen“, die in ihrer vermeintlichen Normalität plötzlich Böses wünschen, denken und schlussendlich auch tun. Ausgrenzung, Strafen, Hass und Gewalt sind die Folgen, alle mitmenschlichen Grenzen verschwimmen und verschwinden zuletzt. Es bedarf keines dämonischen Anführers, um die Verbrechen geschehen zu lassen, es reicht das übergroße Ego des Einzelnen. Und der Druck der Mitmenschen, denen manch Einzelner nicht standhält. Angst als Ratgeber, eine schwache Wahl.

Eine Realität also, die wir in Europa genauso kennen wie im fernen Indien. Deshalb ist das Buch so lesenswert: Es zeigt die Gnadenlosigkeit der Welt und auch speziell das Leben im heutigen Mumbai, die sozialen und gesellschaftlichen Gegensätze, es ist eine Liebeserklärung an die Stadt und die Menschen und gleichzeitig ein Aufruf, „Nein“ zu Korruption und Mitläufertum zu sagen und den Mut zu haben, dies auch zu leben. Das wünsche ich mir für Mumbai und den Rest der Welt.

Barbara Hammes (Filialleitung)

Adiga, Aravind: „Letzter Mann im Turm“. München, C.H. Beck. 2011. €19.95.

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