„Gesellschaftlicher Skandal“
TRIER. In einer kämpferischen Rede zum 1. Mai hat der Vorsitzende des DGB in der Region Trier, Christian Schmitz, die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der amtierenden sowie ehemaliger Bundesregierungen kritisiert.
Zwar lasse sich nicht leugnen, dass die Beschäftigung in den vergangenen Jahren zugelegt habe, auch seien die Arbeitslosenzahlen zurückgegangen. Doch könne und dürfe dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich immer mehr Menschen in prekären und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen befänden. Schmitz warnte vor einer weiteren „Amerikanisierung“ des deutschen Arbeitsmarktes, erklärte aber zugleich, dass sich die Bundesrepublik in mancherlei Hinsicht auch ein Beispiel an den USA nehmen könne. So gebe es dort eine Substanzbesteuerung hoher Vermögen, außerdem würden Transferleistungen der Lohnentwicklung angepasst. Beides sei hierzulande bekanntlich nicht der Fall. Der Gewerkschafter sprach sich dafür aus, Vermögende stärker zu besteuern.
Schmitz kritisierte außerdem den bisherigen Kurs in der Schuldenkrise innerhalb der Euro-Zone. „Wir treiben Europa auf den Abgrund zu“, warnte er, die Sparpolitik habe in Ländern wie Griechenland zu einer beispiellosen Abwärtsspirale geführt. Mit Blick auf die noch von Rot-Grün durchgeführten Reformen auf dem Arbeitsmarkt warnte der Sozialdemokrat davor, es sich mit der Selbstkritik zu leicht zu machen: Nur zu sagen, man habe es seinerzeit versäumt, auch einen Mindestlohn einzuführen, ansonsten aber alles richtig gemacht, greife zu kurz, so Schmitz.
Hauptredner der zentralen Mai-Kundgebung in der Region Trier war der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Klaus-Peter Hammer. Der GEW-Chef erinnerte zunächst daran, dass die Nationalsozialisten am 2. Mai vor 80 Jahren versucht hatten, die Gewerkschaften zu zerschlagen. Dies sei ihnen am Ende nicht gelungen, was in erster Linie das Verdienst derjenigen gewesen sei, die der Verfolgung durch die Nazis standhielten und unbeirrt für die Sache der Arbeiterbewegung weitergekämpften. Aktuell, so Hammer, befinde man sich in einer „spannenden, aber auch gefährlichen Phase“. Der Gewerkschafter sprach von einem gespaltenen Arbeitsmarkt, es gebe heute „Arbeitsarmut“, weil immer mehr Menschen trotz einer Beschäftigung ihren Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren könnten. Hammer forderte einen Mindestlohn, einheitliche Löhne für Frauen und Männer und plädierte für eine soziale Wohnraumförderung.
Während sowohl Schmitz als auch Hammer nicht der Versuchung erlagen, Wahlkampftöne anzuschlagen, gelang dies Alexander Schweitzer (SPD) nicht. Der Nachfolger Malu Dreyers an der Spitze des Mainzer Sozialministeriums warb offen für einen Regierungswechsel auf Bundesebene und berichtete von einer Bundesratsinitiative, welche Rheinland-Pfalz in die Länderkammer einbringen werde. In dem Papier werde nicht nur die Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro auftauchen, sondern auch Maßnahmen, mit denen der „massenhafte Missbrauch“ der Leiharbeit eingedämmt werden könne. So solle das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gelten. Schweitzer nannte es einen „gesellschaftlichen Skandal“, dass sich inzwischen jeder vierte Arbeitnehmer in einem „atypischen Beschäftigungsverhältnis“ befinde. Das sei denn auch der Grund, weshalb man mit Blick auf die insgesamt durchaus positive Lage auf dem Arbeitsmarkt von „Licht und Schatten“ sprechen müsse.
Die Gewerkschaft Ver.di nutzte den Auftritt Schweitzers, um gegen Pläne für die Gründung einer Pflegekammer für Rheinland-Pfalz zu protestieren. Der Minister verteidigte das Vorhaben, es gehe darum, dass die Angehörigen der Pflegebranche ihre Interessen besser wahrnehmen und gegenüber den anderen Kammern im Gesundheitswesen wirksamer vertreten könnten. Thorsten Servatius von der Gewerkschaft Verdi hielt dem entgegen, dass eine Kammer mit Zwangsmitgliedschaft keines der drängenden Probleme von Pflegekräften lösen könne, diesen aber eine finanzielle Belastung bringe. Er verlangte stattdessen besser Kontrollen, ob die Richtlinien eingehalten würden. Zugleich appellierte der Gewerkschafter an die Beschäftigten, sich gewerkschaftlich sowie in Betriebsräten besser zu organisieren und mit mehr Nachdruck die eigenen Interessen zu vertreten.
von Marcus Stölb