„Danach gab es kein Halten mehr“

Vor zwei Jahren berichtete 16vor über die Geschichte einer geraubten Kindheit – die des Trierer Kopierladenbesitzers Jenö Alpár Molnár. Der heute 64-Jährige wurde im Alter von zehn Monaten von seinen Eltern getrennt. Seine gesamte Kindheit verbrachte er in österreichischen Heimen, wo er von Erziehern und weltlichen Schwestern misshandelt wurde. Die traumatischen Erinnerungen hat Molnár in einem Buch niedergeschrieben und nach einer Lesung in Wien eine regelrechte Lawine losgetreten. Inzwischen wurden Hunderte ehemaliger Heimkinder entschädigt, Bundesländer wie Tirol zahlten bis zu 25.000 Euro pro Opfer. Doch Molnár lässt nicht locker: Vor wenigen Tagen erst trat er wieder im ORF auf und forderte die Aberkennung von Verdienstorden. Die hatten einstige Erzieher erhalten, die auch dem Trierer noch in unguter Erinnerung sind.

WIEN/TRIER. Am 5. März letzten Jahres hatte Jenö Alpár Molnár seinen großen Auftritt in der Alpenrepublik. Ein Auftritt, auf den er gerne verzichtet hätte, für den es aus seiner Sicht aber keine Alternative gab. Im Wiener Parlament las er aus seinem autobiographischen Buch „Wir waren doch nur Kinder…“. Der Lesung schloss sich eine Diskussion an, an der vom Trierer Soziologen Dr. Waldemar Vogelgesang moderierten Runde nahmen Wissenschaftler aus Graz, Salzburg, Wien und Köln teil. Zehn Tage später berichtete das österreichische Nachrichtenmagazin Profil über „Die Gezeichneten“ und den „Terror in staatlichen Heimen“. Zu Wort kamen neben Molnár Leidensgenossen, die, wie der Trierer, Willkür und Gewalt durch Erzieher und weltliche Schwestern ausgesetzt waren.

„Nach dem Profil-Bericht gab es kein Halten mehr“, berichtet Molnár im Gespräch mit 16vor. Man hört Genugtuung heraus, einen gewissen Stolz, in der tragischen Angelegenheit doch noch etwas erreicht zu haben. Jahrelang war er das Opfer, bestimmten andere über ihn: 1946 in Lambach in Oberösterreich als Sohn eines US-Amerikaners und einer Ungarin geboren, wird er in den Wirren der Nachkriegszeit von der US-Militärpolizei entführt und mit Hilfe österreichischer Behörden in staatlichen Kinderheimen untergebracht. Selbst seine Mutter soll nicht erfahren, wo der Junge sich aufhält. Jenö Molnár kommt zunächst in ein Säuglingsheim, knapp ein Jahr später dann in das Landeskinderheim Schloss Leonstein. Später wird er in Schloss Neuhaus untergebracht. Insgesamt 14 Jahre voller Gewalt durchlebt er in diesen Einrichtungen, doch seinen Charakter brechen sie ihm nicht. Und so wird er eines fernen Tages auch die Kraft finden, ein Buch über seine Erlebnisse in den Heimen zu schreiben. Es ist eine bittere Rückschau, und doch gibt es auch anrührend schöne Momente in diesen Erinnerungen. Etwa wenn Molnár von der Freundschaft zu anderen Kindern berichtet.

Wirbel um Verdienstmedaillen für Ex-Erzieher

Doch im Vordergrund stehen die Entbehrungen und Schikanen, die körperliche und seelische Gewalt, denen Hunderte Heimkinder in all den Jahren ausgesetzt waren. Dass Molnár mit seinem Schicksal keineswegs allein war, zeigte die Diskussion, die seine Lesung im Wiener Parlament auslöste. Molnár reiste noch nach Salzburg und Insbruck, auch in Linz, der Landeshauptstadt Oberösterreichs, hielt er eine Lesung. Die Verantwortlichen reagierten. Die oberösterreichische Landesregierung stellte insgesamt mehr als 622.000 Euro bereit. Das Geld erhielten 51 Opfer, die in landeseigenen Einrichtungen physischen, psychischen und sexuellen Misshandlungen ausgesetzt waren.´Das Bundesland Tirol zahlte rund 80 Opfern, die sich gemeldet und ihre Misshandlungen glaubhaft gemacht hatten, jeweils bis zu 25.000 Euro, woraufhin die Salzburger Landessozialrätin von einem Vorbild für ihr Bundesland sprach.  Auch andere Bundesländer haben inzwischen Entschädigungen geleistet. Schon im Dezember letzten Jahres hatte der Gemeinderat von Wien eine Summe von insgesamt zwei Millionen Euro bewilligt.

Molnár kann es noch immer nicht fassen, wie schnell die Politik in Österreich auf die auch durch sein Buch losgetretene Diskussion reagierte. Das sei „ein Wahnsinn“, sagt er ein ums andere Mal. Doch Molnár ist noch aus einem anderen Grund fassungslos: Nur drei Monate nach seiner Wiener Lesung zeichnete der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer zwei ehemalige Erzieher des damaligen Heims in Linz-Wegscheid mit der Verdienstmedaille des Landes Oberösterreich aus. Laut Salzburger Nachrichten berichteten mehrere Dutzend ehemalige Heimkinder von Misshandlungen durch die Beiden, und auch Molnár bestätigt im Gespräch mit 16vor, dass er an die Männer schlimme Erinnerungen hat. Seit einem Jahr sorgen die umstrittenen Auszeichnung in Linz für Wirbel, am vergangenen Samstag erst meldete sich Molnár wieder zu Wort – in der ORF-Sendung Oberösterreich heute. Einen Teilerfolg hat der Trierer auch hier erreichen können: Die Landesregierung beschloss eine Regelung, wonach einmal verliehene Verdienstmedaillen wieder aberkannt werden können. Die beiden Ausgezeichneten wehren sich gegen die Vorwürfe der Heimkinder, sprechen von Lügen und Verleumdungen. Doch laut ORF hat immerhin einer der „Verdienten“ seine Medaille inzwischen wieder zurückgegeben.

Einen ausführlichen Bericht über Jenö Molnár finden Sie hier: Geschichte einer geraubten Kindheit

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