Bomben-Experten setzen auf Zeitzeugen

Es läge nahe, ein Wortspiel zu bemühen und von einem „Bomben-Jahr“ zu berichten. Tatsächlich verzeichnete der Kampfmittelräumdienst Rheinland-Pfalz 2011 einen Rekord: Landesweit wurden mehr als 42 Tonnen Munition geborgen, allein fast 80 Blindgänger mussten entschärft werden. Das mache deutlich, wie wichtig die Arbeit des KMRD auch 67 Jahre nach Ende des Kriegs sei, erklärte ADD-Präsidentin Dagmar Barzen am Mittwoch bei der Präsentation der Zahlen. Im Rampenlicht stand indes ein Mann, der die Ruhe in Person scheint: Horst Lenz, Leiter des 14-köpfigen Dienstes. Lenz hat schon Hunderte Bomben entschärft, ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Doch dann erzählt er von einem spektakulären Einsatz Anfang der 90er Jahre, als amerikanische Streubomben in eine Trierer Schrottpresse geraten waren.

 TRIER. Es war nur ein Versehen, doch eines mit verheerenden Folgen: Vor zwei Jahrzehnten kam es im Trierer Hafen zu einer Beinahe-Katastrophe. Irrtümlich waren Clusterbomben der US Airforce in eine Schrottpresse geraten. Als die „Mutterbomben“ in der Anlage zerteilt wurden, krachte es. Hunderte Bomblets flogen über das Gelände in Richtung Mosel, in bis zu 70 Metern Entfernung wurden noch vereinzelte Sprengkörper gefunden. Feuer brach aus, eine Hunderte Meter hohe Rauchsäule stieg in den Himmel. Über Wochen waren die Experten im Einsatz, bis alle Bomblets vor Ort gesprengt waren und das Areal wieder gefahrlos betreten werden konnte. Horst Lenz haben sich diese Ereignisse eingebrannt, auch wenn wie durch ein Wunder niemand getötet wurde. Fragt man ihn vor diesem Hintergrund, ob denn die Entschärfung einer 4000-Pfund-Bombe im vergangenen Dezember in Koblenz eine besondere Herausforderung gewesen sei, antwortet er lakonisch: „Die war einfach nur groß“.

Groß war auch die Masse an Munition, die im vergangenen Jahr von Lenz und seinem Team geborgen wurde: auf insgesamt fast 42 Tonnen kamen die Experten, deutlich mehr als in den 13 Jahren zuvor. Nahezu 40 Hektar Fläche wurden abgesucht, fast 80 Blindgänger entschärft. Zwischen 50 und 1800 Kilogramm wogen die Bomben, die der KMRD unschädlich machte, vor allem in den letzten beiden Monaten des Jahres ballten sich die Funde, waren die Kampfmittelräumer mehr denn je gefragt. Betroffen war insbesondere der Rhein, der extremes Niedrigwasser führte und in dessen Verlauf zwischen Vallendar und Ludwigshafen zahlreiche Bomben sowie Artilleriemunition und Nebelfässer zu Tage gespült wurden. Bei der Entschärfung des Blindgängers in Koblenz hatten mehr als 45.000 Menschen vorübergehend ihre Häuser verlassen müssen. Das tue ihm immer leid, sagt Lenz; es klingt fast, als wolle er sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen.

Er selbst schont sich nicht, und gleiches lässt sich auch von den Räumungsgruppenleitern Dietmar Schmid (Koblenz) und Frank Bender (Worms) sagen. Doch die Männer trumpfen nicht auf, und so springt die zuständige Referatsleiterin bei der ADD, Claudia Bies ein: Lenz und seine Leute neigten nunmal zu großer Bescheidenheit, wirft sie ein und macht deutlich, wie hart die Arbeit tatsächlich ist. Nicht nur, dass der KMRD bis heute Luftbilder von überwiegend bescheidener Qualität auswertet, um Anhaltspunkte für weitere Fundstellen zu bekommen – die Mitarbeiter suchten unter oftmals „unmöglichsten Bedingungen“ riesige Gelände ab. Und sie befragen Zeitzeugen, denn diese seien für ihre Arbeit wichtige Quellen, betont Lenz. Gerade Menschen, die während des Krieges im Jugendalter waren, könnten oft noch gute Hinweise geben, wo die Bomben niedergingen.

Wie wichtig Zeitzeugen sein können, zeigte sich auch 1996: Vor einem Haus in der Saarstraße hatte der KMRD über Wochen nach einem Blindgänger gesucht, alles sprach anfangs für einen Bombenfund. Doch Lenz und seine Kollegen fanden nichts. „Triers unheimlichste Baustelle“ titelte der Trierische Volksfreund. Der Bericht weckte bei einem Zeitzeugen Erinnerungen. Der Trierer machte sich auf ins Stadtarchiv und grub einen Artikel vom November 1949 aus: In diesem wurde über eine Unterbrechung der Straßenbahnlinie durch die Saarstraße berichtet, weil sich die Schienen über einem im Boden verborgenen Bombenleitblech durchgebogen hatten. Und dieses Teil gehörte zu jener Fliegerbombe, nach der Lenz gesucht hatte, die aber schon während des Krieges geborgen worden war.

Die Arbeit von ihm und seinem Team wird noch lange nicht erledigt sein. Er werde nicht mehr erleben, dass der Auftrag des Kampfmittelräumdienstes erledigt ist, sagte der Chef. Der konnte sich mit gemeinsam mit seinen Kollegen kürzlich über eine außerplanmäßige Zulage freuen. Die hatte das Landeskabinett noch kurz vor Weihnachten beschlossen, als Anerkennung für die Arbeit der Männer bei den meist gefährlichen Einsätzen. Das Jahr 2011 habe einmal mehr gezeigt, wie wichtig die Arbeit der Experten auch Jahrzehnte nach Ende des Weltkriegs ist, erklärte ADD-Präsidentin Dagmar Barzen am Mittwoch. Allein seit 1998 sammelte der 1949 eingerichtete KMRD rund 480 Tonnen Munition ein. Mehr als 480 Blindgänger wurden entsorgt, eine Fläche von 1.300 Hektar abgesucht. Dass es Zeitgenossen gibt, die eine gewisse Affinität zu Sprengstoffen haben, weiß Lenz, doch auch Ahnungslose mahnt er, verdächtige Gegenstände liegen zu lassen. „Halten Sie zur eigenen Sicherheit Abstand und informieren sofort die örtlichen Polizeidienststellen oder das Ordnungsamt“, rät der Experte.

Etwa 1,3 Millionen Euro ließ sich das Land den KMRD im vergangenen Jahr kosten. Der Bund beteiligt sich an den Kosten der Munitionsbeseitigung – zumindest was die „reichseigene Munition“ anbelangt.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.