Der Ofen ist noch lange nicht aus

Ende der 70er-Jahre zählte Trier noch mehr als 70 Bäckereien, heute sind von diesen Betrieben nur noch einige wenige übrig geblieben. Stattdessen dominieren Unternehmen wie die Biebelhausener Mühle oder Dietz aus Kordel den lokalen Markt, auf dem auch Discounter Fuß fassen konnten. Doch es gibt sie noch, die selbstständigen Bäckermeister, die keine Expansionsgelüste hegen. Am Donnerstag traten sie zur Brotprüfung an und stellten sich der freiwilligen Selbstkontrolle. Während das Bäckereisterben fortschreitet, gibt es auch positive Entwicklungen in der Branche.

TRIER. Bernd das Brot war einmal Kult. Das sprechende Kastenweizenbrot aus dem Kinderkanal verzückte Jung und Alt und brachte manche auf den Geschmack; weshalb es auch nicht lange dauerte, bis die entsprechende Backmischung auf den Markt kam. Plötzlich hätten Eltern an der Ladentheke gestanden und nach zwei der kuriosen Kastenweisbrote verlangt, erinnert sich Michael Braunshausen. Die Begründung: „Wir haben zwei Kinder“. Anfangs habe er noch überlegt, ob er „diesen Hype“ mitmachen wolle – „aber wenn Sie nicht mitmachen, dann verzichten Sie auf Umsatz“, zeigt er das Dilemma auf.

Braunshausen ist selbstständiger Bäckermeister, einer von der alten Sorte, obwohl er gerade mal 38 Jahre alt ist. In vierter Generation führt er seinen Familienbetrieb im Stadtteil Ruwer, inklusive zweier Filialen in Schweich und Waldrach. Mehr Standorte sollen es auch nicht werden, „eine Expansion kommt nicht mehr infrage“, stellt er klar und erklärt: „Sonst müsste ich vom Traditionellen wegkommen und anders produzieren“. Doch genau das möchte Braunshausen vermeiden, denn er versteht sein Handwerk und will es bewahren. „Bei uns wird nach wie vor jedes einzelne Brot von Hand rund gemacht“, berichtet er im Gespräch mit 16vor, und auch den Sauerteig stellt er noch selbst her. Die Treue zum Handwerk scheint aufzugehen: Der Anteil der Stammkundschaft liege in seinen Läden bei 70 bis 80 Prozent, schätzt er.

Natürlich spürt auch Braunshausen die Veränderungen in der Branche. 431 Jahre nachdem die Trierer Bäcker sich eine eigene Zunftordnung gaben, lassen sich die selbstständigen Handwerksbetriebe im Stadtgebiet beinahe an zwei Händen abzählen. Zum Vergleich: Zu Beginn der 30er-Jahre gab es in Trier noch mehr als 100 Bäcker, Ende der 70er waren es immerhin noch um die 70. Heute zählt die Biebelhausener Mühle in der Region rund 70 Filialen, davon allein fast 20 in der Moselstadt. Mehr als 800 Menschen arbeiten für das Unternehmen aus Ayl an der Saar, das seine Croissants und Tafelbrötchen längst auch in Baumärkten verkauft. Trotz der Größe wird die Qualität der Produkte von Biebelhausener branchenintern anerkannt, und auch einen Preiskampf kann man der Großbäckerei nicht nachsagen. Wie auch das Kordeler Unternehmen Dietz an seinen acht Trierer Standorten nicht mit Dumpingpreisen lockt. Das unterscheidet beide Unternehmen von Selbstbedienungsdiscountern wie Backwerk oder Back-Factory, die deutlich günstiger anbieten.

Karl-Ernst Schmalz weiß von unvorstellbaren Dimensionen in der Branche: „Es gibt in Bocholt eine Fabrik, in der jede Stunde 50.000 Brötchen hergestellt werden“. Die landen über Discounter auch in Trier. Überhaupt fragt man sich, wer all das Brot und die Brötchen isst, die allein auf dem Trierer Markt jeden Tag angeboten werden. Die Nachfrage nach Brot ist ungebrochen, und ein Großteil der Kundschaft scheint sogar anspruchsvoller und wählerischer geworden zu sein. Braunshausen hat heute mehr als 30 Brot- und rund 15 Brötchensorten im Sortiment – vor einer Generation wäre eine solche Vielfalt kaum vorstellbar gewesen.  Dabei reagiert der Markt auch stark auf neue Erkenntnisse der Ernährungswissenschaften und auf Gesundheitstrends. Beispiel Cholesterin: Als vor einigen Jahren verstärkt darüber berichtet wurde, dass Hafer cholesterinsenkend wirke, stieg die Nachfrage nach Haferbroten spürbar an. Inzwischen ist sie wieder abgeebbt. Dafür kann es sich momentan kaum eine Bäckerei noch leisten, ohne Eiweißbrot im Regal dazustehen – der Low-Carb-Hype fordert in den Backstuben seinen Tribut.

An 365 Tagen im Jahr wird produziert

Moden und Trends zum Trotz – das Handwerk ist auch von Beständigkeit geprägt, was sich beispielsweise daran zeigt, dass es Möhren-, Wurzel- oder Algenbrote nie vermochten, die klassischen Mischbrote aus Weizen und Roggen ernsthaft zu gefährden. Gerade mit dem Rückgriff auf Wesensmerkmale wie die starke Natur- und Traditionsverbundenheit des Bäckerhandwerks könnten auch die kleinen Familienbetriebe stärker punkten. Dafür müssten die Meister aber selbstbewusster auftreten und nach außen deutlicher machen, was den Wert ihrer Arbeit ausmacht, fordert Schmalz. Seit einem Vierteljahrhundert ist der gelernte Bäckermeister als Brotprüfer unterwegs, bereist er als Fachmann die Republik. Am Donnerstag war er in Trier, insgesamt zehn Betriebe hatten rund 70 Brote zur Prüfung abgeliefert. Die eingereichten Brote waren fast allesamt mindestens 24 Stunden alt – so schreiben es die Regularien vor. Schmalz und zwei Kollegen beurteilten nun Form und Aussehen, Geruch und Geschmack sowie Struktur und Elastizität des Brots. Wie ist die Oberfläche beschaffen, wie steht es um die Kruste? Wurde zu viel Streumehl genutzt? Ist die Krumenfarbe eher ungleichmäßig? Auf solche und weitere Fragen gaben die Prüfer Antworten und manchem Bäcker auch ein paar Ratschläge mit auf den Weg in die Backstube. Ist die Kruste beispielsweise aufgeplatzt, könnte die Ofenbeschickung zu dicht ausgefallen sein. Mitunter rät Schmalz auch, die Teigausbeute, also das Verhältnis von Mehl zu Wasser im Teig zu verändern.

Er lerne noch fast jedes Mal hinzu, berichtet Schmalz. Erst kürzlich bekam er einen wirklich schlimmen Fall vorgelegt: eine veritable Brotkrankheit, die unter dem Namen „Fadenziehen“ firmiert. Bakterien hatten die Brotkrume zerstört, der betroffene Bäcker hatte nun ein ernsthaftes Problem. Mit Essigwasser musste er die gesamte Backstube reinigen. Nicht, dass der Handwerker unsauber gearbeitet hätte – die Bakterien stammten wahrscheinlich von belastetem Getreide. Für einen Betrieb kann eine solche Brotkrankheit existenzgefährdend werden, doch sind  derartige Fälle extrem selten. Deutlich häufiger sind da schon die Prämierungen der Brote, die man schon bald auf der Homepage des Instituts für die Qualitätssicherung von Backwaren abrufen kann.

Michael Braunshausen will weiterhin dem Trend der flächendeckenden Filialisierung trotzen. Dass er mit Leib und Seele Bäckermeister ist, merkt man ihm sofort an. Ohne Leidenschaft ist ein solcher Beruf auch kaum aus- und durchzuhalten. An 365 Tagen im Jahr wird produziert, in der Regel beginnt die Arbeit in Ruwer zwischen 1 und spätestens drei Uhr in der Nacht – auch in jener zu Sonn- und Feiertagen. Weil Braunshausen zudem Hotels und Restaurants beliefert, kann er nicht mal eben zwei Tage den Ofen ausmachen. Mag er auch keine Expansionsambitionen mehr haben – seine Belegschaft hat er in den vergangenen Jahren stetig ausgebaut. Als Braunshausen vor 14 Jahren den elterlichen Betrieb übernahm, arbeitete er mit zwei Gesellen – inzwischen sind es sechs und zwei Auszubildende, bald kommt ein dritter Azubi hinzu.

Nun hofft er, dass die Talsohle in der Branche bald durchschritten ist. Der Trend der vergangenen Jahres spricht indes gegen Braunshausens Hoffnung. Laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks sank die Zahl der Bäckereibetriebe seit 2006 um mehr als 2.100 auf 14.170 im letzten Jahr. Die Zahl der Verkaufsstellen blieb jedoch weitgehend konstant. Gibt ein Meister auf oder geht in den Ruhestand, ohne einen Nachfolger zu haben, tritt meist ein Filialist an seine Stelle.

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