Enthüllung im Trierer Dom
Mit einem Pontifikalamt im Dom ist am Freitagmittag die erste Heilig-Rock-Wallfahrt des 21. Jahrhunderts eröffnet worden. Um kurz vor 15 Uhr nahmen Dompropst Werner Rössel und Wallfahrsleiter Georg Bätzing das rote Tuch vom hölzernen Schrein. Unter einer mehrere Hundert Kilogramm schweren Glasplatte ist die Reliquie nun bis zum 13. Mai zu sehen. Der römische Kurienkardinal Marc Ouellet, der als Sondergesandter des Papstes gekommen war, erinnerte in seiner Predigt an die „tiefgreifenden Krisen“, durch welche die Kirche nicht nur in Deutschland „verunsichert“ sei. Auf dem Domfreihof hielten derweil zur gleichen Zeit Mitglieder des Opferbündnisses „Missbrauch im Bistum Trier“, kurz MissBIT, eine Mahnwache ab.
TRIER. Es sind noch einige Stunden bis zur Öffnung des Doms, doch Ferdinand Fuchs hat sich schon vor dem Portal postiert. Mit dem Fahrrad sind er und seine Frau in den vergangenen Tagen nach Trier gefahren, wegen des bescheidenen Wetters legten sie jedoch nur einen Teil der Strecke auf zwei Rädern zurück. Nun wollen sie unter den ersten sein, die einen Blick auf das angeblich letzte Gewand Jesu werfen dürfen. Die Wallfahrt sei für ihn eine Möglichkeit, zumindest für eine kurze Zeit den Alltag hinter sich zu lassen, sagt Ferdinand Fuchs, das Ereignis sei wie eine „Oase der Ruhe“.
Allzu ruhig dürfte es indes nicht werden in den kommenden vier Wochen, wenn erstmals seit 16 Jahren wieder der Heilige Rock zu sehen ist. Vor fünf Jahren rief der damalige Trierer Bischof und heutige Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, die Wallfahrt aus. Marx spielt am Freitag nur eine Nebenrolle, im Mittelpunkt des Pontifikalamts im völlig überfüllten Dom stehen zwei andere: Bischof Stephan Ackermann und Marc Ouellet. Der römische Kurienkardinal verliest ein Schreiben des Pontifex, „meinem verehrten Bruder Stephan Ackermann“ ist es überschrieben. Natürlich soll sich die Botschaft aber nicht nur an den Bischof richten. Benedikt XVI. nennt den Heiligen Rock „eine Mahnung an die Kirche, ihrem Ursprung treu zu bleiben“. Der Papst erklärt weiter: „Zugleich kann und darf die besondere Würde und Integrität der Kirche nicht preisgegeben und dem Geschrei auf dem Richtplatz der öffentlichen Meinung ausgeliefert werden“.
Die Mahnwache, die Mitglieder der Opfergruppe „Missbrauch im Bistum Trier“ (MissBIT) zur gleichen Zeit nur wenige Hundert Meter vom Altar des Doms entfernt abhalten, verläuft eher lautlos. „Rettet den letzten Rockzipfel der Glaubwürdigkeit“, fordern Thomas Schnitzler und seine Mitstreiter auf Flyern. Stephan Ackermann, der bekanntlich auch Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist, müsse sämtliche als pädophil in Erscheinung getretene Priester aus der Seelsorge entfernen, fordert Schnitzler. Wäre es nach ihm und den Mitgliedern von MissBIT gegangen, die Wallfahrt würde einen viel stärkeren Akzent auf die Auseinandersetzung mit der Missbrauchsaffäre legen. „Uns helfen Fürbitten nicht“, kommentiert Schnitzler die Ankündigung Ackermanns, dass der Opfer sexuellen Missbrauchs durch Geistliche in Gebeten und Fürbitten gedacht werden solle. Eine Ordensschwester kommt mit Mitgliedern der Opfergruppe ins Gespräch. Es entwickelt sich ein sachlicher Austausch, die Nonne zeigt Verständnis für einige der Anliegen von MissBIT. Zugleich warnt sie davor, nun alle Geistlichen zu verdächtigen. „Das machen wir nicht“, stellt daraufhin ein MissBIT-Mitglied klar.
Ackermann konzentriert sich an diesem Nachmittag auf die Eröffnung der Wallfahrt. Die Dimensionen der Feierlichkeiten übertreffen noch jene bei seiner Einführung als neuer Bischof von Trier vor fast drei Jahren. Drei Kardinäle und ein halbes Dutzend Bischöfe sind gekommen, außerdem mehrere Weihbischöfe. Ackermann spricht die Eröffnungsworte und überzieht gleich zu Beginn den minutiös vorbereiteten Ablaufplan. Und gleich zum Auftakt macht der Bischof auch deutlich, dass er insbesondere den ökumenischen Charakter der Wallfahrt herausstellen möchte. „Wir können heute eine Heilig-Rock-Wallfahrt nicht mehr ausrufen, ohne dazu unsere Schwestern und Brüder aus den anderen christlichen Konfessionen einzuladen“, so Ackermann. Dass diese die Einladung angenommen haben, freue ihn, so der Bischof. Kardinal Ouellet erklärt später in seiner Predigt, er sei „aufrichtig“ dankbar, dass die Wallfahrt ein „ökumenisches Gesicht“ bekommen solle. Der 67-Jährige weiter: „Schon die Kirchenväter haben beim Nachdenken über das nahtlose und unzerteilte Gewand des Herrn darin ein Zeichen für die Einheit der Kirche gesehen“.
Das Gewand zu sehen bekommen die Gläubigen im Dom und an den Bildschirmen erstmals um kurz vor 15 Uhr. Pauken und Trompeten kündigen die Enthüllung an. Ackermann und Ouellet schreiten gemeinsam die Stufen des Altars hinab, ebenso Werner Rössel und Georg Bätzing. Der Dompropst und der Wallfahrtsleiter sind es, die das rote Tuch vom Schrein nehmen. Zum Vorschein kommt die Reliquie, geschützt durch eine rund 300 Kilogramm schwere Glasplatte. Offiziell eröffnet wird die Wallfahrt jedoch erst am Ende des zweistündigen Gottesdienstes. Ackermann ist der erste Pilger, ihm folgen die Kardinäle und Bischöfe sowie die weiteren Geistlichen. Dann sind die Laien an der Reihe. Maike Kranich zum Beispiel. Schon seit längerem wollte sie an die Mosel reisen, berichtet die Freiburgerin, die Wallfahrt sei nun eine gute Gelegenheit gewesen. Doch auch wenn sie das Großereignis beeindruckt, steht für sie doch fest: „Trier ist schön, aber gegen Freiburg kommt es nicht an“. Tunika hin oder her.
von Marcus Stölb