Auch „Silent Dancing“ tabu
Am Gründonnerstagmorgen, 4 Uhr, greift es wieder – das Landesgesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage, kurz Feiertagsgesetz; noch kürzer: LfTG. 84 Stunden lang wird dann landesweit ein umfassendes Tanzverbot gelten. Unter das fallen auch Veranstaltungen wie „Silent Dancing“. An Karfreitag und Ostersonntag sind zudem Sportveranstaltungen verboten. An Karsamstag indes nicht, weshalb die Basketballer zu ihrem Heimspiel antreten können. Triers Ordnungsdezernent Thomas Egger hält die Regelungen des LfTG zwar für „durchaus überdenkenswert“, sagt aber auch: „Die Verwaltung ist an Recht und Gesetz gebunden“. Übrigens: Am Samstag feiert das Theater Trier Premiere – mit dem Tanztheaterstück „Marc Chagall – La Vie“.
TRIER. Karfreitag gilt als höchster protestantischer, Ostersonntag als wichtigster katholischer Feiertag. 1952, zu einer Zeit, als Tanzveranstaltungen noch deutlicher hörbar waren, wurde das österliche Tanzverbot erlassen. Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgeprägt. Paradox ist, dass das Tanzen verboten, Musik aber erlaubt ist. Denn um zu sehen, ob jemand tanzt, muss man eigens eine entsprechende Veranstaltung in Augenschein nehmen, während die Musik eventuell auch für jene zu hören ist, die lediglich an der Örtlichkeit vorbeikommen, an der diese Musik gespielt wird.
Simon, hochgewachsen mit kurzen braunen Haaren, tanzt gerne. Selbst wenn er religiös wäre, wollte er sich den Spaß hieran nicht nehmen lassen. Aber es bestehe ja immer noch die Möglichkeit, in einem geräumigen Wohnzimmer die Möbel zur Seite zu schieben und dort „ein bisschen abzurocken“. Allerdings könne man sich auch mal „einen schön gechillten Abend machen und sich einfach aufs Sofa lungern“, meint er. Der 21-Jährige ist zwar katholisch, aber „nicht wirklich gläubig“. Er findet das Tanzverbot „einfach antiquiert. Vor allem in einem Land, in dem viele Religionen zusammenleben, muss man nicht alle zusammen einschränken, nur weil eine Religion die vorherrschende ist“. Simon hat auch kein Verständnis dafür, dass die Kirche, die junge Menschen braucht, um weiter bestehen zu können, sich ins eigene Fleisch schneide, wenn sie den jungen Leuten das Tanzen verbiete. Zwei junge Frauen vor der Großraumdiskothek A1 finden das Tanzverbot dagegen gut – weil „die Auferstehung von Jesus gefeiert wird, ist das richtig so“, sagt die 20-jährige Julia. Ihre gleichaltrige Freundin Jessica sieht das ähnlich. Doch dass beide an Ostern nicht tanzen werden, ist noch längst nicht ausgemacht: Man sei bei einer Freundin zum Geburtstag eingeladen, gut möglich, dass dort auch getanzt werde.
Soweit es sich im privaten Rahmen bewegen sollte, würden die Gastgeberin und ihre Freunde nicht gegen das Tanzverbot verstoßen. Denn das umfasst ausschließlich öffentliche Veranstaltungen, betont das Rathaus. Allerdings nicht nur solche, auf denen getanzt wird: Wie ein Sprecher der Stadt auf Anfrage gegenüber 16vor konkretisierte, sind laut Landesfeiertagsgesetz an Karfreitag und Ostersonntag auch andere öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen wie Sport oder Turnen nicht erlaubt. Das erklärt auch, weshalb die Basketballer des TBB am Samstagabend in der Arena zu einem Heimspiel antreten können – wohl inklusive Chearleader-Einlagen als Pausenfüller. Wer gegen das Tanzverbot verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Um die Einhaltung der Vorschriften kümmern sich kommunaler Vollzugsdienst sowie die Polizei.
Verboten sind auch Veranstaltungsformate wie „Silent Dancing“, erläutert man im Rathaus. Denn es handele sich schließlich nicht um ein Musikverbot, sondern um ein Verbot, öffentlich Tanzbewegungen zu vollziehen. Nachfrage beim zuständigen Ordnungsdezernenten Thomas Egger, ob er eine solche Regelung noch für zeitgemäß halte? „Die Verwaltung ist an Recht und Gesetz gebunden. Auf die eigene Meinung oder Bewertung der Verwaltung, ob eine Regelung sinnvoll ist oder nicht, kommt es daher nicht an“, schickt der Freidemokrat voraus, um dann zu ergänzen: „Persönlich bin ich jedoch der Meinung, dass die Regelungen unseres Feiertagsgesetzes an einigen Stellen durchaus überdenkenswert sind, wie ja auch die Diskussion um die sonntäglichen Flohmärkte gezeigt hat“.
Für Artur Bonarski, Geschäftsführer der „Grünen Rakete“ am Domfreihof, ist klar, dass „in Trier strenge Sitten herrschen, wo man sich eher anpasst, als dagegen rebelliert“. Als gemeinnütziger Verein mit der Stadt als Vermieter „können wir eigentlich gar nichts dagegen tun“. Am Gründonnerstag wollen, so der quirlige Bonarski, „alle Leute raus. Und jeder macht was.“ Das Ordnungsamt schaue an einem solchen Gründonnerstagabend einmal vorbei. „Sie warnen einen und kommen dann eigentlich nicht mehr wieder…“, weiß Bonarski aus Erfahrung. Gründonnerstag sei der Tag, mit dem er die meisten Schwierigkeiten habe – „das andere ist alles verständlich, nachvollziehbar und funktioniert eigentlich auch ganz gut. Die Stadt will einfach Ruhe haben und der Tag dient dazu, sich mal im Kreise der Familie zu entspannen.“ Am Samstag mache er nur im „Kokolores“, dessen Chef Bonarski ebenfalls ist, „was Kleines“. Am Sonntag sei dann „der große Veranstaltungstag, den wir richtig nutzen. Wir müssen wirtschaftlich denken.“ Wenn Gründonnerstag und Ostersonntag sehr stark seien, würde dies das komplette Wochenende ausgleichen.
„Zeitgemäß ist das Tanzverbot überhaupt nicht“, sagt Artur Bonarski noch und führt dann aus: „Den Freitag verstehe ich ja. Aber der Ostersamstag ist doch auch in der Kirche ein fröhlicher, hoffnungsvoller Tag. Die Vorbereitung auf den Ostersonntag, Wiederauferstehung Christi und so weiter. Das Ausmaß, der Umfang ist für mich zu hoch. Es ist nicht mehr zeitgemäß, weil die Leute heute nicht mehr so religiös sind wie in den fünfziger Jahren, deshalb.“ Oliver Neufang, Geschäftsführer der „Timeless Kunst und Kultur Events“, hält das Tanzverbot für „ein bisschen veraltet“. Der freundliche Mann mit der Glatze organisiert Partys im „Forum“, in der „Grünen Rakete“, im MJC, aber auch überregional in Koblenz, Köln oder in München. Der Veranstalter kritisiert vor allem die Dauer des Verbots in Rheinland-Pfalz. In anderen Bundesländern dauerten die Beschränkungen weniger lange. Es sei „nicht fair, das Ganze“, auch nicht an anderen religiösen Feiertagen, wie beispielsweise am Totensonntag. Er selbst sei nicht getauft, seine Eltern hätten ihm das offen gehalten und er habe nie ein Verhältnis zur Kirche aufgebaut. Er glaubt, dass „viele Leute überhaupt nicht wissen, dass das Tanzverbot von der Kirche ausgeht“. Die heutige Jugend „setzt sich nicht damit auseinander, woher das rührt“.
Wer über Ostern abtanzen will, muss das privat tun oder nach Berlin gehen: Dort besteht das Tanzverbot nur am Karfreitag, und das auch nur von 4 Uhr morgens bis 21 Uhr abends, also faktisch gar nicht. Wem Berlin oder auch Köln zu weit ist, der kann über die Grenze nach Luxemburg hoppeln. Dort wird am Ostersamstag das Hasenfest gefeiert: Nach dem Motto „Hoppel dech fräi!“ geht es auf der Huesefest-Party am Karsamstag um 19.30 Uhr im Club Exit 07 los. In Trier besteht zur selben Zeit immerhin die Möglichkeit, tanzende Menschen zu sehen: Im Theater am Augustinerhof beginnt dann die Premiere des Tanztheaterstücks „Marc Chagall – La Vie“. (flo/mst)
von 16vor